Als der SV Darmstadt 98 in der Wintertransferperiode Sebastian Polter leihweise vom kriselnden Zweitligisten FC Schalke 04 holte, verdeutlichte der Fußball-Bundesligist, welche Möglichkeiten er hat. Vor allem aber auch, welche er nicht hat. Polter darf sich Rekordspieler in der Fußball-Bundesliga nennen. Allerdings nicht, weil der 32-Jährige als Stürmer in der jüngeren Vergangenheit Tore und Vorlagen am Fließband produziert hätte, sondern weil der wenig Sesshafte schon beim siebten Bundesligisten angeheuert hat. Diesen Rekord teilt er mit einem gewissen Michael Spies, dessen Karriere nicht jedem sogleich vor Augen ist. Immer wieder wurde Polter ver- und geliehen, als unentbehrliche Kraft stufte ihn kaum ein Trainer ein. Dass Polter nun der Hoffnungsträger sein sollte, sagte einiges über die Situation der Darmstädter aus.
In der vergangenen Saison ist der Klub mit reichlich Euphorie und zugleich beschränkten finanziellen Möglichkeiten aufgestiegen. Schon ehe der erste Pass gespielt worden war, räumten Experten dem Neuling wenig Chancen auf den Klassenerhalt ein. Außerdem betätigte sich der FC Augsburg als abgeänderte Form des FC Bayern München, der in steter Regelmäßigkeit die Konkurrenz aus Dortmund, Bremen oder Leverkusen schwächte, indem er deren Personal an die Isar lotste. Augsburg holte mit Abwehrkante Patric Pfeiffer und Stoßstürmer Phillip Tietz zwei Garanten des Darmstädter Aufstiegs an den Lech.
Für Darmstadt kann es nur noch darum gehen, die Relegation zu erreichen
Mit jedem Auftritt in der ersten Liga durften sich Szenekenner bestätigt fühlen, dass die Mannschaft von Trainer Torsten Lieberknecht in etlichen Spielen konkurrenzfähig ist, ihr letztlich aber die Klasse fehlt, um dauerhaft zu punkten und die Klasse zu halten. Für den Tabellenletzten kann es in den verbliebenen elf Ligaspielen nur noch darum gehen, irgendwie die Relegation gegen den Abstieg zu erreichen. Zwölf Punkte beträgt der Rückstand auf das rettende Ufer, deren vier auf den Relegationsplatz, den aktuell der 1. FC Köln (17 Punkte) besetzt.
Mitkonkurrenten aus Augsburg, Köln, Mainz oder Berlin haben im Laufe der Runde versucht, mit einem neuen Übungsleiter Impulse zu setzen. Sind den Marktgesetzen gefolgt, haben den Trainer getauscht, um eine Wende herbeizuführen. Das kann, muss aber nicht gelingen. Veränderung gab es auch in der sportlichen Leitung der Darmstädter. Carsten Wehlmann, der seit Februar 2019 das Amt des Sportdirektors innehatte, hatte zum 31. März 2024 fristgerecht gekündigt. Daraufhin entschieden die Verantwortlichen um Präsident Rüdiger Fritsch sich zur sofortigen Trennung. Bleiben durfte Lieberknecht, mit dem der Verein wohl den Gang in die Zweitklassigkeit antreten würde. Das Vertrauen und die Loyalität scheinen groß, nachdem der 50-Jährige in den vergangenen dreieinhalb Jahren derart viel im umgebauten Stadion am Böllenfalltor bewirkt hat.
Trainer Torsten Lieberknecht genießt das Vertrauen der Darmstädter Verantwortlichen
Lieberknecht, so scheint es, bleibt der richtige Mann am richtigen Ort. Über die Passform seiner Trainingshosen ließe sich streiten, nicht aber über seine Qualifikation als Trainer. Nach Wehlmanns Aus ist seine Position gestärkt. Dass Darmstadt 98 sich nicht von Lieberknecht trennt, hat zudem einen einfachen Grund: In der Klubführung fehlt der Glaube, dass es unter einem anderen Übungsleiter mehr Ertrag gäbe. Spielerische Fortschritte in der Offensive sind in diesem Kalenderjahr unverkennbar. Verliert Darmstadt, dann knapp. Gegen Mönchengladbach und Bremen holte der SC einen Punkt. Beim 1:2 gegen das Spitzenteam aus Stuttgart VfB bewies das Team einmal mehr, was Lieberknecht danach bekräftigte: "Uns darauf zu reduzieren, dass wir kämpfen und darauf aus sind, Spiele zu zerstören, ist falsch." Auch die Zahl der individuellen Fehler in der Defensive reduziert sich zusehends. Seit der Rückrunde habe man "eine reifere Art", so der Trainer. Problem bleibt die Torausbeute (vier Tore in den jüngsten sieben Spielen).
Enorme Bedeutung hat das Heimspiel gegen den FC Augsburg (Samstag, 15.30 Uhr/Sky). Nicht wenige verknüpfen damit eine der letzten Chancen, sich noch aus dem Keller zu bewegen. Leistung allein genügt längst nicht mehr, das Ergebnis zählt. Kurioserweise hat Darmstadt sein bislang letztes Spiel in dieser Saison im Hinspiel in Augsburg gewonnen (2:1). Am 7. Oktober war das. Danach viel Lob, aber wenig Punkte. Mancher Satz wirkt wie eine Durchhalteparole, doch Lieberknecht vermittelt den Eindruck, tatsächlich an die Wende zu glauben. "Wir bleiben glaubhaft optimistisch, nicht gespielt", betont er. Schmerzen wird den Trainer der Ausfall seines Spielgestalters. Marvin Mehlem fällt nicht nur gegen Augsburg aus, wegen eines Wadenbeinbruchs könnte er auch alle anderen Partien verpassen.