Normalerweise versucht Alexander Rosen es immer so einzurichten, dass er wenigstens ein paar Stunden in Augsburg verbringen kann, wenn die TSG 1899 Hoffenheim beim FC Augsburg gastiert. Der Direktor Profifußball der TSG ist in Augsburg geboren, in Mering aufgewachsen, hat im Rudolf-Diesel-Gymnasium sein Abitur gebaut. Seine Mutter wohnt immer noch in Mering. „Es ist immer wieder schön, in die Heimat zu kommen“, sagt der 43-Jährige. Doch an diesem Freitag wird es nur ein Kurzbesuch bleiben, wenn die TSG um 20. 30 Uhr (DAZN) in der WWK-Arena gegen den FCA antritt. Zu prekär ist die sportliche Lage bei den Kraichgauern.
Und Alexander Rosen hat viel damit zu tun. Mit 19 Zählern hat die TSG zwei Punkte weniger gesammelt und steht damit vor dem 21. Spieltag direkt hinter den Gastgebern auf Platz 14, mitten im Abstiegskampf. Nach dem 2:5 beim VfL Bochum hatte Rosen Trainer André Breitenreiter nach neun sieglosen Spielen in der Bundesliga und dem freien Fall in die Abstiegszone freigestellt.
Alexander Rosen holt Pellegrino Matarazzo vom VfB Stuttgart
Pellegrino Matarazzo soll es nun richten. Mit dem US-Amerikaner hat Rosen auf Bewährtes gesetzt. Matarazzo, 45, kennt Umfeld und Infrastruktur der TSG, war vor seiner Amtszeit beim VfB Stuttgart bereits U17-Coach und Co-Trainer bei den Profis unter Julian Nagelsmann. Zudem war der ins Sinsheim beliebte Matarazzo seit seiner Beurlaubung im Oktober beim VfB frei.
Doch der Einstand ging daneben. Hoffenheim unterlag gegen Bayer Leverkusen 1:3. Von Aufbruchstimmung war nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil. Von den gerade einmal 20.619 Zuschauern waren schon vor dem Schlusspfiff viele auf dem Weg nach Hause. Zuvor hatten einige TSG-Anhänger der Fangruppe "Young Boyz 07" ihren Ärger mit Bannern in der Südkurve zum Ausdruck gebracht.
TSG-Ultras kritisieren Dietmar Hopp und die Vereinsführung, aber (noch) nicht Alexander Rosen
Die Kritik richtete sich dabei vor allem an die Vereinsführung als auch an Mehrheitseigner Dietmar Hopp. Der ist inzwischen 82 Jahre alt, die TSG steht auf eigenen Füßen, trotzdem ist Hopp immer noch in alle Entscheidungen involviert. Rosen hat hingegen bei den Hoffenheimer Südkurven-Ultras noch Kredit. "Alex Rosen - das nächste Bauernopfer einer realitätsfernen GF?" lautete ein Plakat.
Alexander Rosens Großvater war Rekordspieler beim BC Augsburg
Rosen gilt als Identifikationsfigur, als Sympathieträger. Auch weil er bodenständig geblieben ist, nahbar im Raumschiff TSG. Auf seine Augsburger Wurzeln ist er stolz: "Ich habe eine besondere Verbindung zu der Stadt und zum Klub. Ich bin langjähriges Mitglied und werde das voraussichtlich auch bis zu meinem Lebensende bleiben. Das ist mein Jugendverein, meine Geburtsstadt, mein Großvater Gerhard Niklasch war Kapitän und Rekordspieler beim BCA. Ich habe jahrelang selbst für den FCA gespielt und ich finde es beeindruckend, dass sich der FCAüber eine so lange Zeit stabil in der Bundesliga etabliert hat."
Alexander Rosen absolviert 20 Regionalliga-Spiele für den FC Augsburg
20 Regionalliga-Spiele absolvierte Rosen in der Saison 1999/2000 für den FCA, ehe es auf Wanderschaft ging, die 2009 bei der TSG 1899 Hoffenheim endete. Als erfahrener Spieler gab er der U23 im defensiven Mittelfeld Halt, parallel schnupperte der 30-Jährige, schon ins Management.
Ein Jahr später wurde ihm die sportliche Leitung für das Nachwuchsleistungszentrum angeboten. "Das war unmittelbar nach dem Ende meiner aktiven Laufbahn schon ein großer Vertrauensbeweis, auch wenn ich mich neben dem Fußball permanent weitergebildet hatte", sagt Rosen. Im April 2013 wurde er dann zum Direktor Profifußball ernannt. Rosen sagt: "Seit nun fast einem Jahrzehnt trage ich die sportliche Verantwortung für die Profiabteilung der TSG und es ist nach wie vor eine große Freude, für diesen besonderen Club zu arbeiten, auch wenn wir gerade eine anspruchsvolle Phase durchmachen."
Alexander Rosen holt Julian Nagelsmann zur TSG 1899 Hoffenheim
Da untertreibt Rosen aber gewaltig. Es ist eine veritable Krise. Mit ihm im Mittelpunkt. Erstmals seit 2016, als ein gewisser Julian Nagelsmann in der Rückrunde den Klub vor dem Abstieg rettete, droht wieder der Absturz aus der Fußball-Bundesliga.
Die Berufung des damals 28-jährigen Nagelsmann war der Ritterschlag für Rosen. Aber für Hoffenheim ist seit dem Abschied des heutigen Bayern-Trainers 2019 zu RB Leipzig die Besetzung des Postens nie von Dauer gewesen. Nagelsmanns früherer Assistent, der Niederländer Alfred Schreuder, hielt sich nicht mal ein Jahr. Seinem Nachfolger Sebastian Hoeneß blieben in der Corona-Pandemie immerhin zwei Spielzeiten, er musste aber vergangenen Sommer nach der verpassten Europapokal-Teilnahme ebenfalls gehen.
Europapokal - das ist die Messlatte, die an den Trainern angelegt wird. Nicht wohl so sehr von Rosen, der ist Realist genug, aber in der obersten Hierarchie-Ebene soll es darunter nicht sein. Breitenreiter, der mit dem FC Zürich in der Schweizüberraschend Meister geworden war, schien diese Erwartungen erfüllen zu können. Den FCA besiegte Hoffenheim in der Vorrunde 1:0. Als die TSG am 14. Oktober 3:0 auf Schalke gewann, kletterte man zwischenzeitlich auf Champions-League-Platz vier. Vier Monate später steckt man im Abstiegskampf.
Millionengewinne durch Transfers zum FC Liverpool, Newcastle United oder Leeds United
Der Druck auf Rosen wächst. Irgendwann schützt auch sein herausragender Ruf als Talentesammler mit dem Goldfinger nicht mehr. Roberto Firmino für 41 Millionen zum FC Liverpool, Kerem Demirbay (32 Millionen) nach Leverkusen, Joelinton für 44 Millionen zu Newcastle. In der Winterpause transferierte er für 40 Millionen Euro Sturmtalent Georginio Rutter, 20, zu Leeds United. "Millionen-Macher" titelte der SWR.
Die wirtschaftlichen Zwänge siegten über die sportlichen Sorgen. Im Abstiegskampf setzt er auf Erfahrung, Lieh Thomas Delaney, 31, vom FC Sevilla aus, Kasper Dolberg, 25, von OGC Nizza. Holte John Anthony Brooks, 29, von Benfica Lissabon. Nun hat Rosen noch den Trainer gewechselt.
Sein Vertrag läuft bis 2025. Doch bei einem eventuellen Abstieg würde das alles nicht mehr zählen. Die Wohlfühl-Oase Hoffenheim ist in Aufruhr. Darum dreht sich derzeit alles um seinen Verein. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Da bleibt auch keine Zeit für einen längeren Besuch bei der Mama in Mering.