In der vergangenen Woche war er wieder mal in Augsburg zu Besuch, fieberte mit dem FCA im Spiel gegen den VfB Stuttgart und traf sich mit Freunden. Andreas Rettig gilt als eine der prägendsten Persönlichkeiten im bundesdeutschen Fußball, arbeitete von 2006 bis 2012 als Geschäftsführer beim FC Augsburg und war maßgeblich an der herausragenden Entwicklung des Vereins beteiligt. An diesem Dienstag feiert der gebürtige Rheinländer und bekennende Kölner seinen 60. Geburtstag.
FCA und Rettig war keine Liebe auf den ersten Blick
Es war nicht gerade Liebe auf den ersten Blick zwischen dem Fußballfunktionär aus dem Westen der Republik und der historischen Stadt in Bayern. Dort hatte der FC Augsburg gerade den Aufstieg in die Zweite Bundesliga geschafft, Präsident Walther Seinsch suchte einen Geschäftsführer mit Bundesligaerfahrung. Eine Voraussetzung, die der uneitle und besessene Arbeiter bieten konnte. Er hatte vorher schon in Freiburg und Köln gearbeitet und sich in der Branche einen ausgezeichneten Ruf erworben.
Er erzählte vor einiger Zeit: "Als ich im Dezember 2006 beim 1. FC Köln zurückgetreten bin, wollte ich mir erstmal eine längere Auszeit gönnen, als mich zwei Wochen später ein mir bis dahin nicht bekannter Walther Seinsch anrief. Er wollte wissen, ob ich mir einen Wechsel nach Augsburg vorstellen könnte. Ich sagte zu Walther Seinsch: 'Aktuell nicht. Wenn Sie mich jedoch in drei Monaten anrufen …' Ich bin dann nach etwa sechs Wochen, ohne dass es einen weiteren Kontakt gab, mit meiner Frau nach Augsburg gefahren, um dort ein Wochenende zu verbringen und mir Land und Leute anzuschauen für den Fall, dass Herr Seinsch sich nochmals melden sollte. Das tat der FCA-Chef dann auch und das war der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit."
Ungewöhnliche Arbeitsbedingungen beim FCA
Wobei sich der Funktionär zunächst an die beileibe nicht professionellen Arbeitsbedingungen gewöhnen musste. Der FCA hatte seine Verwaltung an der Paul-Renz-Sportanlage, die Geschäftsstelle war im ersten Stock. Rettig erinnert sich: "Die Toilette der Vereinsgaststätte befand sich gleich neben meinem Büro. Dass dann ab und an Gäste bei mir vor dem Schreibtisch standen, das kannte ich vorher auch noch nicht."
Rettig war schnell klar, dass er im bayerischen SchwabenAufbauarbeit leisten musste. Mit Trainern wie Rainer Hörgl oder Jos Luhukay schaffte er es schnell, eine konkurrenzfähige Mannschaft zusammenzustellen, die 2011 auch den Sprung in die Bundesliga schaffte. Er holte Spieler wie Jan-Ingwer Callsen-Bracker aus der Bundesliga an den Lech: "Rettig hat mich schnell von Augsburgüberzeugt", erklärt der heute beim Deutschen Fußballbund (DFB) als Neuro-Athletik-Trainer arbeitende und immer noch am Lech wohnende Sportler, der den Funktionär über alle Maßen schätzt: "Rettig ist ein Stratege, der auch soziale oder umweltpolitische Themen anpackt."
Rettig, der in Leverkusen eine Lehre als Industriekaufmann absolviert hat, arbeitete nach seiner Zeit in Augsburg als DFL-Geschäftsführer und Manager beim FC St. Pauli und Viktoria Köln. Vereinschef Seinsch vertraute dem kritischen Fußball-Feingeist und Verfechter der 50+1-Regel, der Erfolg gab beiden recht. Er scheute auch keinen Konflikt, der ehemalige Bayern-Präsident Uli Hoeneß kann ein Lied davon singen: Kurz vor der WM 2022 in Katar hatte Rettig im Sport1-Doppelpass das Gastgeberland wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert. Die Folge war ein wütender Anruf des Bayern-Patrons. Heute lebt Rettig mit seiner Frau in Köln und ist momentan für keinen Verein tätig.