Eigentlich war an diesem 4. Juni 2005 alles für ein rauschendes Fußballfest im Augsburger Rosenaustadion gerichtet. Ein Sieg gegen den SSV Jahn Regensburg am 34. und letzten Spieltag fehlte dem Regionalligisten FC Augsburg noch, um nach 23 Jahren endlich der Fußball-Diaspora zu entrinnen und wieder in die 2. Bundesliga aufzusteigen. Die Rosenau war seit langem mal wieder ausverkauft. 90 Minuten später setzte sich ein gewaltiger Trauerzug in Bewegung. Der FCA hatte einen sicher geglaubten Sieg aus der Hand gegeben und 1:2 (0:0) verloren.
Aus, vorbei – anstatt hinter der Haupttribüne, wo alles schon vorbereitet war, mit den Spielern zu feiern, verließen 27.000 Menschen mit einer gespenstischen Stille das Stadion. Kaum ein Wort war zu hören, aber viele Tränen zu sehen. Die FCA-Fans standen unter Schock. 1:0 hatte der FCA durch ein Freistoß-Tor von Sascha Benda (63.) bis in die Schlussphase geführt, ehe der Ex-Augsburger Grover Gibson mit seinem Ausgleich (86.) und Jan Hoffmann mit dem 1:2 in der Nachspielzeit den großen Traum 2. Bundesliga wie eine Seifenblase platzen ließen.
„Ich weiß gar nicht mehr genau, ob ich kurz nach dem Schlusspfiff überhaupt etwas gedacht habe. Ich konnte es schlichtweg erst einmal nicht begreifen“, lässt der damalige Trainer Rainer Hörgl 18 Jahre später diese Momente noch einmal Revue passieren.
Walther Seinsch wirft Armin Veh raus und holt Rainer Hörgl
Im September 2004 hatte der gebürtige Oberbayer aus Neukirchen am Teisenberg, direkt an der A8 zwischen Chiemsee und der österreichischen Grenze gelegen, die Nachfolge von Armin Veh angetreten. Den gebürtigen Augsburger und ehemaligen Bundesliga-Profi (Borussia Mönchengladbach) hatte der damalige FCA-Chef Walther Seinsch im Oktober 2003 als Nachfolger von Ernst Middendorp nach Augsburg zurückgeholt, um endlich seinen Traum vom Bundesliga-Fußball Wirklichkeit werden zu lassen.
2000 war der erfolgreiche Unternehmer Seinsch beim damals bankrotten FCA eingestiegen, hatte ihn vor der Insolvenz bewahrt und mit viel Geld und persönlichem Engagement aus der Bayernliga in die Regionalliga geführt. Dann kam sein Plan ins Stocken, mit bekannten Trainern weiter aufzusteigen. Weder Middendorp noch Veh gelang das, jetzt sollte es der eher unbekannte Hörgl, der zuletzt den FC Schweinfurt 05 trainiert hatte, richten.
Der FC Augsburg bleibt in der Regionalliga 20 Spiele ungeschlagen
Die Saison begann holprig. Nach zwei Siegen setzte es drei Niederlagen in Folge. Doch dann fand Hörgl die richtige Mischung. Zdenko Miletic im Tor, Markus Knackmuß, Sören Dressler als Eckpfeiler in der Abwehr, Marco Löring und Karsten Hutwelker als Denker im Mittelfeld und die treffsicheren Stürmer Marc Römer und Christian Okpala bildeten das Gerüst. 20 Spiele blieb der FCA ungeschlagen, am vorletzten Spieltag gewann man mit 6:0 in Nöttingen.
Mit einem Sieg eine Woche später wäre man Zweiter hinter Spitzenreiter Kickers Offenbach geblieben und aufgestiegen. An diesem 4. Juni sahen sich die FCA-Fans an die Zeit der Rückkehr von Helmut Haller aus Italien zurückversetzt. An die Saison 73/74, als die Massen in die Rosenau strömten, als der FCA an das Tor zur Bundesliga klopfte und nur knapp in der Aufstiegsrunde scheiterte.
Die Erwartungshaltung war also riesig. Trotzdem versuchte Hörgl vor dem Jahrhundertspiel die Normalität zu bewahren. „Eigentlich war Regensburg ein Team, das wir im Griff hatten. Von daher mussten wir nur schauen, dass wir ruhig bleiben, vernünftig trainieren und uns auf das konzentrieren, was wir die letzten 20 Spiele auch getan hatten.“
Ex-Bayern Profi Mario Basler trainiert den SSV Jahn Regensburg
Doch da hatte einer etwas dagegen: der Trainer der Regensburger, Mario Basler. Für den extrovertierten Ex-Bayern-Profi war dieser Showdown die ideale Bühne. Endlich mal raus aus dem Regionalliga-Mief, alle Kameras auf ihn gerichtet. Und das damalige „Enfant terrible“ des deutschen Fußballs lieferte. Er machte sein Team noch einmal heiß. Regensburg fightete, kämpfte um jeden Zentimeter. „Wir haben uns schwergetan. Man hat gemerkt, der Gegner hält dagegen und selbst ist man doch nicht so ganz frei. Das Hauptproblem war damals, dass wir das 2:0 nicht nachgelegt haben“, sagt Hörgl. „Wir hatten da zwei hundertprozentige Möglichkeiten.“
Doch Christian Okpalaübersah zu eigensinnig (75.) den mitgelaufenen Marc Römer, der später mit Gelb-Rot vom Platz flog, und Karsten Hutwelker traf nur die Unterkante der Latte (77.).
So kam es, wie es in diesem Drama fast kommen musste. Regensburg drehte das Spiel. „Da kannst du von der Bank aus nichts mehr machen“, sagt Hörgl. Mario Basler feierte wie bei seinen zwei deutschen Meisterschaften mit dem FC Bayern, der FCA trauerte. Hörgl erinnert sich: „Am Ende war da alles Makulatur. Da war nur noch Leere.“
Im Nachgang betrachtet war dieser sportliche Tiefpunkt die Basis für den folgenden sportlichen Höhenflug, der den FCA bis in die Bundesliga brachte, wo er sich nun auf seine 13. Saison vorbereitet.
Denn der FCA und Hörgl zerbrachen an diesem sportlichen Tiefpunkt nicht. Ganz im Gegenteil. „Natürlich habe ich die Nacht wenig geschlafen. Aber schon am nächsten Tag war für den damaligen Manager Max Krapf, Walther Seinsch und mir klar: Wir greifen wieder an.“
Seinsch machte damals nicht den Fehler und warf in der Enttäuschung alles über Bord. Er, Krapf und Hörgl analysierten, verfielen aber nicht in Hektik, sondern veränderten den Kader nur wenig. Torsten Traub (Erfurt) und Elton da Costa (Unterhaching) waren die wichtigsten Neuzugänge. Viel mehr war nicht nötig. Ansonsten vertraute Hörgl seiner Elf. „Die wollten unbedingt. Sie waren ganz nah dran und jetzt wollte jeder in diese verdammte zweite Liga aufsteigen. Die Qualität war da, ich habe meistens den richtigen Ton getroffen. Guten Fußball gespielt haben wir auch.“ Der war auch modern. Hörgl favorisierte ein 3-5-2-System, was damals nicht so verbreitet war.
In der folgenden Saison marschiert der FCA durch die Liga
Der FCA marschierte dann in der Saison 05/06 durch die Regionalliga. „Jeder hatte seine Position und gewusst, was er zu tun und was er zu lassen hat. Das haben wir immer trainiert und deswegen war die Mannschaft überzeugt, wenn wir das machen, dann steigen wir auf, dann wird uns keiner aufhalten. So ist es dann auch gekommen“, erzählt Hörgl. Schon Anfang Mai feierten die Augsburger an einem Mittwochabend nach einem 1:1 im Nachholspiel bei Eintracht Trier den Aufstieg. Nicht mit 27.000 Fans, sondern nur mit ein paar dutzend. Mehr hatten die weite Auswärtsfahrt nicht mitgemacht. Am Ende hatte der FCA als Meister zehn Punkte Vorsprung auf den Zweiten Koblenz.
Hörgl hatte den FCA in den Profi-Fußball zurückgeführt. Dort hielt er den FCA dann auch. Zusammen mit dem neuen Manager Andreas Rettig hatte er eine Mannschaft zusammengestellt, die als Aufsteiger Platz sieben belegte. Doch in der folgenden Saison merkte Hörgl, dass der Druck immer größer wurde. Nach einem 2:0-Sieg gegen den VfL Osnabrück erklärte er am siebten Spieltag seinen Rücktritt. „Ich habe da eine Pause gebraucht. Die Zeit beim FCA hatte doch mehr Körner gekostet, als ich lange Zeit dachte“, erinnert sich Hörgl. Eigentlich sollte er danach als Leiter des Nachwuchsleistungszentrums zum FCA zurückkehren. Doch daraus wurde nichts. Die Wege trennten sich etwas später.
Nun ist der 66-jährige Hörgl seit wenigen Monaten Rentner, betreut noch ein paar Spieler als sportlicher Berater. Ansonsten bereiten er und seine Frau Resi den Umzug von Neukirchen ins österreichische Villach vor. „Wir wollten uns verändern und gehen es nun an.“
Nur immer wieder um Platz 15 zu spielen, ist Hörgl zu wenig
Auch von dort wird er hin und wieder zu den Heimspielen des FCA kommen, der Aufstiegstrainer. Zum FCA-Präsidenten Max Krapf hat er immer noch einen intensiven Kontakt. „Ob ich darauf stolz bin? Stolz ist ein hochtrabender Begriff. Mich freut es, dass sich die Fans freuen, wenn sie mich erkennen. Das ist meine Anerkennung.“ Dass er noch nie aus der Bundesliga abgestiegen ist, ist für Hörgl nicht selbstverständlich. „Das darf man überhaupt nicht kleinreden, aber nach so vielen Jahren in der Bundesliga würde ich mir es schon wünschen, dass man nicht nur um Platz 15 mitspielt, sondern es gelingt, sich im Mittelfeld oder im einstelligen Bereich zu etablieren. Das sollte der Anspruch sein.“
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