Dies ist die Geschichte eines Sinkfluges, wie es sie in unserer Region schon einige Male zu erzählen gab. In Füssen beispielsweise. Oder in Kaufbeuren. Und jetzt eben in Augsburg. Drei Städte, ein Phänomen. Eishockey war und ist dort seit Jahrzehnten tief verwurzelt. Fest verankert in der Gesellschaft. Doch die Liebe zum schnellsten Mannschaftssport der Welt speist sich hier wie dort aus einer besseren Vergangenheit. Manchmal liegt diese schon etwas weiter zurück.
Horrorszenario des AEV: Beim EV Füssen kam erst der sportliche, dann der finanzielle Absturz
Der EV Füssen feierte Ende des vergangenen Jahres stolz sein 100-jähriges Bestehen. 16 deutsche Meistertitel stehen in der Klubhistorie. Erfolge, die in der Nachkriegszeit gefeiert wurden. Die große Zeit des Vereins aus dem Städtchen im Schatten Neuschwansteins ging Mitte der 1970er Jahre zu Ende. Es folgten erst der sportliche, dann der finanzielle Absturz. Große Vereine aus großen Städten mit großen Sponsoren hatten das Geld, die besten Spieler zu holen. In Füssen fehlte diese Finanzkraft. Inzwischen spielt die Mannschaft in der drittklassigen Oberliga.
Oder der ESV Kaufbeuren. Zählte 1994 zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Drei Jahre später wurde den Adlern, wie sich der Traditionsklub nannte, mitten in der Saison die Lizenz entzogen. In einem veralteten Stadion und einem wirtschaftlich schwachen Umfeld konnten die Allgäuer nicht mithalten. Inzwischen spielt der ESVK in einer 2017 eröffneten städtischen Eishalle. Von kühnen DEL-Träumen hat man sich von vorneherein verabschiedet. Die Arena fasst nur 3100 Zuschauer, die DEL fordert eine Kapazität von mindestens 4500. Selbst wenn der ESVK die Meisterschaft in der DEL2 erringen sollte, würde er sein Aufstiegsrecht nicht wahrnehmen.
In Augsburg dachten sie lange, es besser zu machen. Und anzuknüpfen an die großartigen Bundesliga-Jahre unter dem Verleger und Eishockey-Mäzen Curt Frenzel. Später dann bedurfte es der Insolvenz im Jahr 1987, um einen bemerkenswerten Aufstieg zu beginnen. Aus den tiefsten Tiefen arbeitet sich der älteste Eislaufverein Deutschlands– gegründet 1878 – wieder nach oben. Davor hatte die Misswirtschaft erstaunliche Blüten getrieben. Am Gerichtsvollzieher vorbei, der die Abendeinnahmen kassierte, schmuggelten die Vereins-Verantwortlichen Bargeld in eine schwarze Kasse. Damit wurden die Zweitliga-Spieler nach dem Duschen ausbezahlt. Bar. Auf die Hand. Wer früh an die Reihe kam, wie die Ausländer und die deutschen Stammkräfte, erhielt Scheine. Als Juniorenspieler konnte es passieren, dass man in einem Leinensack mit Sparkassenaufdruck 600 Mark in Fünf-Mark-Münzen mit nach Hause nahm. Oder Papierrollen mit Zwei-Mark-Stücken.
Klub in Konkurs: Die Stadt drehte dem AEV damals kurzerhand den Strom ab
Eine weitere Anekdote aus den dunklen AEV-Jahren: Die Profis erschienen zum Training im Curt-Frenzel-Stadion. In der Umkleide brannten Kerzen. Die romantische Stimmung zwischen zerschlissenen Hosen und zigfach verschwitzten Helmen war dem Umstand geschuldet, dass der Klub vergessen hatte, seine Stromrechnung zu bezahlen. Die Stadt drehte dem AEV den Saft ab.
Konkursverwalter Herwig Lödlübernahm 1987 den Augsburger EV, der in der Oberliga mit dem Zusatz i. K. (in Konkurs) weiterspielte. Parallel dazu engagierten sich Fans und Helfer wie Lothar Sigl im Verein, um den Eishockeysport zu retten. Zu den Derbys mit den Königsbrunner Pinguinen in der dritten Liga stürmten 8000 Zuschauer das Stadion. Und knüpften einen Plüsch-Pinguin an einem selbst gebastelten Galgen auf. Konkursverwalter Lödlübergab nach zwei Jahren einen gesunden Klub. Sigl ist geblieben. Er ist Hauptgesellschafter und bis heute ein mächtiger und in ganz Deutschland bestens vernetzter Eishockey-Boss.
2010 feierten die Augsburger Panther mit der Vizemeisterschaft den größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Es folgte eine von der Stadt finanzierte Stadion-Renovierung. Erst die Einhausung (auch wenn sie anfangs mit zu flachen Tribünen völlig missriet) schuf die Basis für eine Zukunft in der Eliteklasse DEL. Jetzt konnten die Panther VIP-Logen und VIP-Plätze vermarkten und schufen Strukturen, um dauerhaft auch wirtschaftlich im Konzert der Großen mitzuspielen.
Trotzdem verpassten sie häufig die lukrativen Play-offs um die deutsche Meisterschaft. Dann wieder ärgerte der DEL-Zwerg aus Augsburg die Großen. Da sich die Deutsche Eishockey Liga lange den Gepflogenheiten im Profi-Fußball oder anderen Sportarten verweigerte und den Ab- und Aufstieg ausschloss, ließ sich auch im sportlichen Tiefflug problemlos planen. Die Liga als exklusiver Klub. Erst auf massiven Druck der DEL2 rangen sich die Gesellschafter der DEL-Klubs dazu durch, Auf- und Abstieg wieder einzuführen. Nur, um ihn in den wirtschaftlich schwierigen Corona-Jahren gleich wieder auszusetzen. Doch in der vergangenen Saison war es dann so weit: Krefeld musste den Gang in die Zweitklassigkeit antreten.
Und inzwischen deuten alle Vorzeichen darauf hin, dass jetzt auch die Erfolgsgeschichte der Augsburger Panther einen herben Dämpfer bekommen wird. Seit den rauschhaften Play-offs im Jahr 2019, als sich die Mannschaft erst in Spiel sieben dem haushohen Favoriten aus München geschlagen geben musste, ging es stetig bergab. Das einstige Erfolgsmodell scheint ausgedient zu haben.
Dieses bestand im Wesentlichen daraus, dass mit Sigl seit Jahrzehnten ein (inzwischen ehemaliger) Gastronom aus dem Landkreis Aichach-Friedberg die Fäden zieht. Für Interviews lud er gerne in seinen Gasthof nach Rederzhausen, vormittags vorzugsweise, wenn noch keine Gäste da waren. Sigl führte den Journalisten dann über den Hintereingang durch die Küche, vorbei an dampfenden Töpfen voller Spätzle, in den leeren Gastraum. Auf dem Weg wimmelte er mindestens zwei Anrufe von Spielerberatern ab, die ihm ihre Klienten schmackhaft machen wollten. Sigl verpflichtete mit großer Finesse und noch größerem Verhandlungsgeschick die Spieler, die sich seine Trainer wünschten.
Lothar Sigl hat wohl seinen Riecher für Eishockey-Trainer verloren
Am erfolgreichsten waren die Panther, als erst Larry Mitchell, später dann Mike Stewart die Wunschzettel schrieben. Als Stewart nach besagten Play-offs 2019 dem Ruf des Geldes in Richtung Köln folgte, begann dieses ebenso einfache wie erfolgreiche System zu kippen. Es folgten diverse Trainer, die alle nicht über eine vergleichbare Expertise verfügten. Sie waren der Aufgabe nicht gewachsen, hatten nicht die Verbindungen in die nordamerikanischen Ligen, hatten nicht dieses Gespür für unentdecktes Talent. Sigl, so scheint es, hat seinen Riecher für Trainer verloren. Vier verschiedene Übungsleiter standen im Jahr 2022 hinter der AEV-Bande. Mancher sieht gar schon Sigls sportliches Lebenswerk als Retter der Panther zerbröseln.
Nun rächt sich, dass die Panther die Last der Verantwortung nicht auf mehrere Schultern verteilt haben. Einen Manager gibt es nicht. Diesen Job übernimmt in Augsburg seit jeher der Trainer in Personalunion. Das spart Geld. Hat nun aber Konsequenzen. Die Glücksgriffe vergangener Jahre blieben aus. Es hatte seit den Anfängen der DEL zu deren Erfolgsgeschichte gehört, dass die Panther immer wieder Spieler aus dem Hut zauberten, die kein anderer Klub auf dem Radar hatte. Spieler wie François Méthot (später Adler Mannheim), Tommy Jakobsen (Düsseldorfer EG) oder zuletzt Matt White (Eisbären Berlin) nutzten den Klub als Sprungbrett zu satt dotierten Verträgen bei den DEL-Platzhirschen.
Die Augsburger Panther haben es nicht mehr geschafft, Rohdiamanten zu finden
Mitchell und Stewart hatten im Sommer stets wochenlange Reisen quer durch Nordamerika unternommen und Spieler gesichtet. So entdeckten sie Spieler, die sonst keinem aufgefallen waren. Klar, dass sich die finanzkräftigen Konkurrenten gerne in Augsburg bedienten. Das gehörte über viele Jahre zu den festen Ritualen des Geschäfts. Doch den Panthern ist die Fähigkeit abhandengekommen, Rohdiamanten zu finden. Stattdessen spielt nun die älteste DEL-Mannschaft in Augsburg. Es schien ein Fortschritt, als es die Panther endlich auch schafften, Leistungsträger zu halten. Der Klub wähnte sich angekommen in der Mittelklasse der DEL.
Doch die Leistungsträger von einst sind in die Jahre gekommen. Im Profisport zählen alte Verdienste nichts. Kapitän Brady Lamb hat sich zwar das Augsburger Rathaus auf den Arm tätowieren lassen, doch auf dem Eis kann er längst nicht mehr an seine goldenen Zeiten anknüpfen. Dazu kam, dass die Neuzugänge der jüngeren Vergangenheit oft schon den Zenit ihrer Karriere überschritten hatten oder einfach nicht hielten, was sich die Trainer von ihnen versprachen. Nun steht der Klub unmittelbar vor dem Abstieg und man fragt sich, was das für Konsequenzen haben wird. Die Prognosen schwanken zwischen „Weltuntergang“ und „auch egal“.
Definitiv absteigen muss nach dieser Saison der 15. der Tabelle, derzeit Bietigheim. Weil sich die Liga auf 14 Mitglieder verkleinern will. Allerdings greift auch in diesem Jahr die Verzahnung beider Ligen. Bedeutet: Der 14. muss ebenfalls den Gang in die Zweitklassigkeit antreten, falls in der DEL2 entweder Kassel, Krefeld oder Dresden den Meistertitel holen. Hintergrund: Nur diese drei Klubs haben die DEL-Lizenz beantragt und die dafür nötigen 800.000 Euro bei der DEL hinterlegt. Die Kassel Huskies drängen mit Macht zurück ins Oberhaus und führen derzeit die Zweitligatabelle mit 23 Punkten Vorsprung vor Kaufbeuren an. Der Augsburger Rückstand in der DEL wiederum auf den rettenden 13. Platz mit den Eisbären Berlin beträgt schon mehr als zehn Punkte. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass das Gründungsmitglied der Deutschen Eishockey Liga nach 29 Jahren absteigt.
Den Panthern kommen allerdings zwei Dinge zugute: die Treue ihrer Fans und die Struktur ihres Sponsorenpools. Selbst in diesen finsteren Zeiten strömen die Zuschauer ins Curt-Frenzel-Stadion. Durchschnittlich 5348 sind bisher zu den Heimspielen gekommen. Die Eishockey-Begeisterung ist ungebrochen und wird wohl auch in der zweiten Liga erst einmal erhalten bleiben. Zumal es dort dann wieder Derbys gibt, die sie in Augsburg schon lange nicht mehr gesehen haben. Gegen Kaufbeuren beispielsweise. Oder Landshut, auch so ein Klub mit großer Historie. Zudem könnte sich nun auszahlen, dass es bei den Panthern keinen Hauptsponsor gibt, von dem alles abhängt. Stattdessen engagieren sich zahlreiche kleine und mittelständische Unternehmen, die meisten von ihnen sind in Augsburg heimisch. Auch sie werden dem Klub erst einmal die Treue halten. Doch wie lange?
Warum die kurze Pause den Augsburger Panthern helfen kann
Es zeichnet Eishockeyfans in unserer Region aus, dass sie über eine gewisse Leidensfähigkeit verfügen. Wer Erfolg sehen will, der muss nach München fahren, sagen sie in Augsburg. Mit den Millionen eines österreichischen Brauseherstellers wurde dort eine exquisite Mannschaft komponiert, die in dieser Saison eine Klasse für sich ist. Die Panther haben alle vier Duelle gegen die Münchner verloren. Es dürften die vorerst letzten gewesen sein. Stattdessen könnten die Gegner bald Selb, Crimmitschau und Bad Nauheim heißen.