Beim 1. FC Nürnberg ist der Aufsichtsrat nicht nur ein Kontroll-, sondern das entscheidende Gremium, denn er beruft die beiden Vorstände Finanzen und Sport. Das Interesse, im Aufsichtsrat des ehemaligen deutschen Rekordmeisters mitzuarbeiten, ist - trotz oder wegen des im Juli haarscharf vermiedenen Absturzes in die 3. Liga - größer denn je.
Drei der neun Posten werden bei der wegen Covid-19 ersten virtuellen Mitgliederversammlung der Vereinsgeschichte am kommenden Dienstag vergeben - sage und schreibe 18 Bewerber stellen sich zur Wahl. Darunter sind mit Martin Driller, Chhunly Pagenburg und dem bereits mehrfach angetretenen Marc Oechler auch drei ehemalige Profis des Vereins. Ex-Hörfunk-Kommentator Günther Koch tritt aus Altersgründen nicht mehr an.
Ganz sicher ist es nicht, dass die Wahl am Dienstag - einen Tag nach dem Zweitliga-Spiel beim FC. St. Pauli - überhaupt stattfindet. Club-Mitglied Fritz Sörgel aus Heroldsberg würde sie gerne auf Februar oder März verschoben sehen. Einen entsprechenden Antrag hat er für die Mitgliederversammlung gestellt. Allerdings kommt der nur zur Abstimmung, wenn die Tagesordnung inklusive Wahlen nicht angenommen wird. Sörgel argumentiert, die durch das wegen Corona geänderte Vereinsrecht möglich gewordene virtuelle Wahl habe der Club zu spät bekannt gegeben. Eine Verschiebung böte die Chance, den Mitgliedern mehr Zeit geben, bisher nicht so bekannte Kandidaten für den Aufsichtsrat besser kennenzulernen. Finde die Wahl am Dienstag statt, hätten die Neulinge "keine wirkliche Chance", gewählt zu werden.
Unzufrieden mit der Arbeit des Aufsichtsrates
Dass Sörgel, der auch noch weitere Anträge gestellt hat, mit der Arbeit des bisherigen Aufsichtsrates unzufrieden ist und einen personellen Wechsel favorisieren würde, ist bekannt. "Die Zusammensetzung ist nicht gut, es fehlen Visionäre, Berufe und Lebensläufe, die ich gerne sehen würde", schrieb Sörgel in einem seiner zahlreichen Beiträge in Sozialen Medien. "Eigentlich war der Club abgestiegen, auch das hat der Aufsichtsrat zu verantworten", meint Sörgel und denkt dabei an die Bestellung des Sportvorstands Robert Palikuca und des Trainers Damir Canadi, die beide nach wenig segensreichem Wirken wieder gehen mussten.
Besonders geringe Freude hat er an dem seit 2014 amtierenden Aufsichtsratsvorsitzenden Thomas Grethlein, der sich am Dienstag wieder als Aufsichtsratsmitglied zur Wahl stellen wird. Es wäre eine große Überraschung, würde er nicht erneut berufen werden.Spätestens seit Grethlein im Abstiegskampf der 2. Bundesliga mit Bierflasche und Zigarre auf den weitgehend leeren Tribünen im Fernsehen gezeigt wurde, ist er bei Sörgel unten durch. "Grethlein hat den Verein zum Spott gemacht", schrieb Sörgel. "Der Aufsichtsratsvorsitzende auf der Haupttribüne, bewaffnet mit den beiden schlimmsten Giften, die es für den Menschen im Alltagsleben gibt, Nikotin und Ethylalkohol - und das nicht nur einmal."
Da spricht der Pharmakologe. Sörgel ist Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg und einer der profiliertesten Doping-Experten in Deutschland, der seit Jahren auch eng mit der Universität Würzburg zusammenarbeitet. Gleichzeitig ist der gerade 70 Jahre alt gewordene Professor seit Kindheitstagen glühender Club-Fan und mit vielen Spielern der letzten Nürnberger Meistermannschaft von 1968 persönlich bekannt.
"Einer muss mal sagen, was da los ist. Viele haben mich bestärkt. Ich will einen anderen Club, professionell in allen Bereichen", sagt Sörgel zu seinen intensivierten Aktivitäten als "Stimme der Opposition". Seit Anfang Oktober hat er auch eine Webseite freigeschaltet. "Glubb4.0" soll auch nach der Mitgliederversammlung zu Themen rund um den FCN Stellung beziehen. Das 4.0 solle andeuten, "dass wir einen neuen Verein 1. FC Nürnberg wollen, den Mitgliederverein, den Vorbildverein, den erfolgreichen Verein". Unter den Zielen, die Sörgel formuliert, ist auch die dauerhafte Zugehörigkeit zur 1. Bundesliga genannt. Unter den 18 Kandidaten für den Aufsichtsrat ist Sörgel selbst nicht: "Das kommt aufgrund meiner vielen Arbeit nicht in Frage."
Ziemlich entsetzt ist Sörgel über den Antrag des Vereinsverwaltung, die Schwelle für einen Antrag auf eine außerordentliche Mitgliederversammlung von 500 Stimmen auf zehn Prozent der stimmberechtigten Mitglieder anzuheben. "Das wären dann rund 2000 Befürworter, das ist praktisch nicht zu erreichen", sieht Sörgel einen erheblichen Demokratieverlust. 75 Prozent Zustimmung bei der virtuellen Abstimmung wären aber nötig, damit der Antrag angenommen wird.