"Alles, was wir uns am Dienstag aufgebaut haben, haben wir heute mit den eigenen Händen wieder eingerissen", sagte Trainer Jens Keller. Torwart Christian Mathenia wurde noch deutlicher: "Heute schäme ich mich zum ersten Mal für unsere Leistung." Nach einem desaströsen Auftritt und einer 0:6 (0:3)-Abreibung im Heimspiel gegen den VfB Stuttgart muss der 1. FC Nürnberg bis zum letzten Spieltag der 2. Bundesliga um den Klassenerhalt bangen. Nur mit einem Sieg am kommenden Sonntag im Spiel bei Holstein Kiel bleibt der Club sicher in der Liga.
Bei einem Unentschieden und einer Niederlage kann der Karlsruher SC mit einem Sieg- ausgerechnet in Fürth - Kellers Mannschaft auch dank des dann besseren Torverhältnisses noch in die Relegation schicken. Das Momentum spricht für Karlsruhe, das aus einem schnellen 0:3-Rückstand gegen Meister Bielefeld noch ein 3:3 machte, während der Club sich nach dem 6:0 gegen Wehen-Wiesbaden von den Stuttgartern vorführen ließ. Ob das noch einmal zu reparieren ist?
Schon früh interessierten im Max-Morlock-Stadion aus Nürnberger Sicht nur noch die Ergebnisse der Konkurrenten Karlsruhe und Wehen Wiesbaden. Der VfB war in allen Belangen besser, einfach eine Nummer zu groß für die kampfbereiten, aber überforderten Nürnberger. Mit zwei bösen Schnitzern brachte der Club die vorsichtig beginnenden Gäste allerdings selbst auf die Siegesstraße. Es ging los mit Innenverteidiger Georg Margreitter, der unaufmerksam war und sich von Silas Wamangituka den Ball abknöpfen ließ. Der schnelle Kongolese ging auf und davon, Club-Torwart Mathenia hatte bei Wamangitukas Schlenzer zum 0:1 (11.) keine Chance.
Bitter war auch die Vorgeschichte des Eckballs, der das zweite Stuttgarter Tor zur Folge hatte. Es blieb das Geheimnis von Linksverteidiger Tim Handwerker, warum er sich fast an der Seitenlinie zu einer Kopfball-Rückgabe auf Mathenia entschloss, die dieser nicht mehr erreichte. Was der VfB aus dem geschenkten Eckstoß machte, war jedoch einstudiert und aller Ehren wert: drei Stationen, mit Atakan Karazor als Endpunkt halbhoch zum 0:2 (26.).
Ratlosigkeit im Aufbau
Spätestens ab diesem Tor traten die zuletzt auswärts anfälligen Stuttgarter so souverän wie ein Aufstiegskandidat auf. Und der Club wie ein Abstiegskandidat, in erster Linie wegen seiner äußerst bescheidenen spielerischen Mittel. Der Ratlosigkeit im Aufbau war auch das 0:3 geschuldet: Enrico Valentini passte auf Höhe der Mittellinie schlampig zu Fabian Nürnberger, der sofort attackiert wurde und die Kugel verlor. Dann ging es zu schnell für den Club und Wamangituka legte Mittelstürmer Sasa Kalajdzic uneigennützig den Treffer auf (41.).
Die einzige Chance für den Club vor der Pause hatte Michael Frey, dessen Flachschuss allerdings knapp am Tor vorbeiging (28.). Der letzte Ball in den Stuttgarter Strafraum war fast immer eine Flanke, so gut wie nie ein Flachpass. So ließ sich die VfB-Dreierkette nicht in Verlegenheit bringen. Und auf Nürnbergs Dreh- und Angelpunkt Robin Hack, der auf sich allein gestellt war, hatte man sich gut eingestellt.
Kaum noch Gegenwehr nach der Pause
Die zweite Hälfte begann der Club nicht etwa mit der Verwirklichung guter Vorsätze, sondern eher so, als wolle er bereits Kräfte für den letzten entscheidenden Gang am kommenden Sonntag in Kiel sparen. So aber verkehrte sich das vor dem Spieltag noch deutlich bessere Torverhältnis gegenüber dem KSC ins Negative (nun minus 1). Keiner verhinderte die Flanke von Kalajdzic und Valentini schaute ebenfalls nur zu, als sein Gegenspieler, der Argentinier Nicolas Gonzalez, mit Anlauf zum 0:4 einköpfte (56.). Noch weniger war die Gegenwehr beim 0:5, als Atakan Karazor am Pfosten einen Kopfball des eingewechselten Marcin Kaminski eindrückte (63.) und beim 0:6 durch Gonzalez, der wie Karazor seinen zweiten Treffer erzielte (76.). "Das war indiskutabel", sagte Keller.
Mit einem derart entspannten Nachmittag in Nürnberg hatten die VfB-Verantwortlichen um Vorstandschef Thomas Hitzlsperger trotz des vorangegangenen 5:1 über Sandhausen kaum gerechnet. Die Bundesliga-Rückkehr von Stuttgart steht so gut wie fest. Die Schwaben verteidigten den zweiten Aufstiegsplatz nicht nur, sie bauten den Vorsprung auf den neuen Tabellendritten 1. FC Heidenheim, der den Hamburger SV in letzter Minute mit 2:1 besiegte, auf drei Punkte und ein elf Treffer besseres Torverhältnis aus. Das ist nur noch theoretisch zu verspielen. Die VfB-Wechselspieler auf der Tribüne mit den nicht eingesetzten Routiniers Mario Gomez und Holger Badstuber brachen in Jubelstürme aus, als Heidenheims Siegtor kurz vor dem Abpfiff in Nürnberg vermeldet wurde. "Wir werden auf der Heimfahrt schon feiern, aber in Maßen. Das letzte Spiel gegen Darmstadt wollen wir auch noch gewinnen", sagte Mittelfeld-Dauerläufer Philipp Klement.