
Als er am 7. März dieses Jahres als Interimstrainer installiert wurde, kannten ihn nur Eingeweihte. Schließlich war der 47-jährige Michael Köllner zuvor überwiegend im Nachwuchsbereich tätig gewesen. Dass ihn die Führung des 1. FC Nürnberg nach dem gesicherten Klassenerhalt zur Dauerlösung beförderte, wunderte vor allem jene, die ihm wegen seines oberpfälzischen Dialekts fälschlich eine gewisse Provinzialität unterstellten. Mittlerweile gilt Köllner vielen als der Mann, der gerade dabei ist, den Club mit Wissen, Lebenserfahrung und Wärme wach zu küssen. In dieser Saison lohnt es sich jedenfalls wieder, Nürnberger Spiele zu besuchen. Am Montag könnte der FCN mit einem Sieg im Spitzenspiel bei Fortuna Düsseldorf auf einen der beiden direkten Aufstiegsplätze in der Zweiten Bundesliga vorstoßen. Ein Gespräch mit dem Trainer über 18-Stunden-Tage, eine Entlassung bei Bayern Hof und seine Abneigung für allzu schlichten Fußball.
Frage: Herr Köllner, es gab schon Trainer beim 1. FC Nürnberg, die fanden es irritierend, wenn sie morgens beim Tanken auf die schwache Leistung der Mannschaft vom Vortag angesprochen wurden. Ist die Annahme richtig, dass Sie damit weniger ein Problem haben?
Michael Köllner (lacht): Erst mal fahre ich abends zum Tanken, weil's da billiger ist. Aber es stimmt, ich habe kein Problem damit, wenn ich angesprochen werde. Das passiert schon, beim Kaffeetrinken zum Beispiel, die Streuwirkung des Clubs ist einfach sehr groß. Den Leuten ist es wichtig, was im Verein passiert. Da muss man auch Rede und Antwort stehen.
Sie leben Ihre Rolle als Club-Trainer mit allen Konsequenzen. Und Identifikation ist ein Begriff, der für Sie sehr im Vordergrund steht.
Köllner: Ja, du musst dich zum Beispiel mit deiner Mannschaft identifizieren, mit jedem einzelnen Spieler. Das ist mir in der letzten Saison, die ich zu Ende geführt habe, noch nicht vollumfänglich gelungen, das muss ich gestehen. Um einen engen Zugang zu den Spielern zu bekommen, ist eine gemeinsame Sommervorbereitung sehr wichtig. Mittlerweile kann ich sagen: Das ist meine Mannschaft, das sind meine Spieler. Genauso wichtig ist die Identifikation mit dem Verein und der Region.
Im Sommer ist Ihre Lebensgefährtin mit den beiden Kindern von München nach Nürnberg gezogen. Schöne Sache, Sie berichten auch immer mal von Ihren Freizeitaktivitäten, wie Sie nun gemeinsam die Stadt und das Umland kennenlernen.
Köllner: Ich habe jeweils fünf Jahre in Regensburg und München gewohnt, auch schöne Städte. Aber Nürnberg steht in der Rangliste bei mir sehr weit vorne. Sicherlich überwiegen die Vorteile und es ist schön, wenn die Familie zusammenlebt. Es erhöht aber auch den Druck für mich, abends nicht so spät nach Hause gehen zu können. Ohne Familie würde ich bis 22, 23 Uhr auf dem Vereinsgelände bleiben oder wenigstens den Computer mit nach Hause nehmen, um noch das Training zu planen. Das muss ich jetzt lassen.
Hört sich an, als wären Sie ein Workaholic?
Köllner: Das empfindet jeder anders. Wenn ich an einem Tag 18 Stunden gearbeitet habe, dann ist das für mich nicht zu viel. Ich fühle mich dann nicht überarbeitet. Zumindest momentan bringe ich es noch im Einklang mit meiner Gesundheit hin.
Sie sind schon einmal vom Jugend- zum Cheftrainer befördert worden. Das war bei Bayern Hof, ganz am Anfang Ihrer Karriere vor 17 Jahren. Haben Sie daran gedacht, als Anfang März das Angebot kam, die Nachfolge des beurlaubten Alois Schwartz anzutreten?
Köllner: Nein, Hof ist zu lange her und die Konstellation war damals eine ganz andere, sowohl bei mir als auch beim Verein.
Sie waren damals erst 30 und sind nach einem halben Jahr wieder entlassen worden.
Köllner: Hof war damals noch ein großer Klub, zumindest in Oberfranken, die Unruhe im Verein war – gelinde gesagt – groß. Aber auch wenn es negativ endete, war es eine tolle Erfahrung. Die Stelle hat mir außerdem geholfen, den nächsten Schritt zu gehen und beim DFB eine spannende Herausforderung annehmen zu können. Häufig ist eine Niederlage kein K.o.-Schlag, sondern die Zündung für etwas Neues. Das zu erkennen, schafft man aber immer erst im Nachhinein.
Sie waren zwölf Jahre lang DFB-Nachwuchs-Koordinator für den Bereich Ostbayern, haben in dieser Zeit auch viele Fachbücher geschrieben und einen Ratgeber für Kinder, die Profi werden wollen. Sie scheinen zufrieden gewesen zu sein.
Köllner: Die Tätigkeit beim DFB hat mir erlaubt, grundsätzliche und umfassende Kenntnisse über den Fußball zu erlangen. Ich konnte etwas ausprobieren und in vielen Themen Erfahrungen sammeln. Irgendwann kam dann aber der Wunsch, all das Wissen einmal in einem Verein einzubringen. Die Möglichkeit habe ich jetzt beim Club. Ich kann einen roten Faden legen von der U8 bis zur Profimannschaft. Damit meine ich nicht nur die Trainingsgestaltung, sondern auch die Dinge um den Fußball herum, die letztlich aber den Erfolg mit ausmachen. Vieles, was ich jetzt hier tue, hat seine Probe in diesen zwölf Jahren als Jugendkoordinator schon bestanden.
Haben Sie, um diesen roten Faden weiter spannen zu können, die Leitung des Nachwuchsleistungszentrums behalten?
Köllner: Ja, das war der Grund. Zumindest einmal bis Saisonende, auch wenn?s ein bisschen stressig ist. Ich wollte einfach nicht, dass in der Nachwuchsabteilung alles wieder von neuem losgeht, nur weil ich Cheftrainer geworden bin. Es geht mir nicht um Macht, wie mancher unterstellt. Es geht mir um die Sache.
Mit 47 Jahren noch den Einstieg in den Profifußball zu finden, das ist ungewöhnlich. Gerechnet haben Sie wohl nicht mehr damit, dass es noch klappen könne.
Köllner: Das kann ich so nicht sagen. Es gab immer wieder mal Angebote, die mich aber nicht vom Hocker gerissen haben. Es war ja nicht so, dass es mir beim DFB nicht super gefallen hätte. Natürlich macht man sich Gedanken, wenn man sieht, dass Andre Schubert, der mit mir im Fußballlehrer-Lehrgang war, auf einmal in der Champions League trainiert (Red.: bei Borussia Mönchengladbach) und Du guckst in Regensburg aus dem Bürofenster. Ich war nicht neidisch, aber irgendwann habe ich dann gemerkt, dass ich dem DFB den Rücken kehren muss und bin als Nachwuchstrainer nach Fürth gegangen. Ich brauchte Luftveränderung.
Sie hatten auch zunehmend Probleme mit vielen Stützpunkttrainern, die Ihnen unterstellt waren. Auf Ihrer Homepage schreiben Sie selbstkritisch, Ihre Ansprüche seien einfach zu hoch gewesen.
Köllner: 50 Mann zu entlassen und 50 Neue einzustellen, wäre die eine Möglichkeit gewesen. Oder ich gehe und alle Trainer behalten ihren Job. Letzteres war sicher die bessere Lösung. Jeden Tag sich zu verbessern und sich weiterzuentwickeln, war im Laufe der zwölf Jahre für meinen Trainerstab zu viel Stress.
Sie haben das erste Trainingslager des FC Bayern unter Pep Guardiola am Gardasee erlebt. Seine Trainingsarbeit dort hat Sie sehr inspiriert.
Köllner: Ja, Matthias Sammer hat mir damals eine zehntägige Hospitanz ermöglicht. Da sieht man, wie unvollständig man ist, wenn man einen solchen Trainer wie Guardiola erlebt. Manches überdenkt man dann, in manchem kann man sich aber auch bestätigt sehen.
Viele Leute behaupten, in der Zweiten Liga könne man nur mit einfachem Fußball Erfolg haben. Ball nach vorne und hinterher. Sie versuchen bisher erfolgreich, den Gegenbeweis anzutreten. Ihre Mannschaft kann mehrere Systeme. Sie versucht, mit Passfolgen zum Ziel zu kommen, oder mit gezieltem Umschaltspiel.
Köllner: Ich habe gesagt: Wo steht das geschrieben, dass man in der Zweiten Liga robust auftreten muss und die Spieler nicht überfordern darf? Mir hat das nicht eingeleuchtet. Umso mehr freut es mich, dass wir mit unserer Art von Fußball Erfolg haben. Wenn man mittelfristig in die Bundesliga will, dann wird man mit einfacherem Fußball – Kick and rush oder wie man es nennen will – nicht erfolgreich sein. Der macht einen dort nicht überlebensfähig. Du musst Dir dann eine komplett neue Mannschaft zusammenkaufen. Das wäre beim 1. FC Nürnberg finanziell nicht möglich. Außerdem würde ich mir nicht die Verantwortung dafür aufladen wollen, dass der Verein am Aufstieg zu Grunde geht, wieder runter muss und an allem noch Jahre zu knabbern hat. Mein Anspruch ist es, beim Club eine Mannschaft zu bilden, die in ihrer Grundstruktur auch in der Bundesliga klarkommen kann.
Im Sommer sind Platzhirsche wie Raphael Schäfer und Dave Bulthuis gegangen. Sie haben mit Hanno Behrens einen der jüngeren Spieler anstelle von Miso Brecko zum Spielführer gemacht. Auf dem Platz hat man sehr stark den Eindruck, dass sich die aktuelle Club-Mannschaft mehr als Einheit begreift, als das noch in der letzten Saison der Fall gewesen ist.
Köllner: Der Eindruck täuscht nicht. Wir haben im Sommer schon einen kleinen personellen Umbruch vollzogen, auch wenn das Gerippe vom letzten Jahr noch steht. Was wichtig war, um schnell zueinander zu finden. Es ist jetzt eine Einheit in der Kabine, aber da musst du jeden Tag alles dafür tun, dass es so bleibt.
Auch als Trainer.
Köllner: Auch als Trainer. Deshalb kam am Mittwoch beispielsweise der Nikolaus zu uns und hat ein kleines Geschenk gebracht. Ich habe jedem einen Schokonikolaus auf seinen Platz gestellt. Für die Einheit sorgst Du im täglichen Zusammenleben, aber auch in jeder Trainingsübung. Auch Geselligkeit gehört dazu. Die Weihnachtsfeier nach dem Spiel gegen Sandhausen hat uns auch wieder ein paar Prozent mehr Zusammenhalt gegeben, wenn Du mal ohne Zeitdruck zusammen was isst und trinkst. Das ist viel wichtiger für das Teambuilding, als ob Du einmal beim Rafting warst oder in den Hochseilgarten gehst. Das können die Spieler gerne selbst tun, ich mache so etwas nicht.
Sie versuchen auch, Ihren Spielern ein wenig Schule fürs Leben zu vermitteln, ihren Horizont zu erweitern. Wie sieht das aus?
Köllner: Wir reden einfach über die Dinge, die die Jungs neben dem Fußball bewegen. Was so passiert in der Welt, Privates, Schicksalsschläge. Ich versuche ihnen etwas mitzugeben. Auf der Tafel in der Kabine steht nicht nur, was wir trainieren, sondern jeden Tag auch eine kleine Botschaft. Sich richtig zu benehmen, wenn wir zu Veranstaltungen gehen, das ist auch ein Thema. Die Wertschätzung, die uns als Club von den Fans entgegengebracht wird, müssen wir auch wieder zurückgeben. Gelangweilt rumstehen geht nicht.
Was kann der 1. FC Nürnberg in dieser Zweitliga-Saison erreichen? Mit einem guten Trainer, mit einer befähigten Mannschaft, in einer Liga ohne klaren Favoriten? Mehr als Platz drei?
Köllner: Dass wir in dieser Saison nicht chancenlos sein würden, war mir schon am Ende der letzten Runde klar. Aber wir müssen intern nüchtern und klar bleiben. Was Kiel und Düsseldorf, die in der Tabelle vor uns stehen, bisher geleistet haben, verdient Respekt. Es gibt Dinge wie die langwierige Verletzung von Sebastian Kerk, die man nicht beeinflussen kann. Du bist dem Schicksal eines Jahres unterworfen, genauso wie Du dem Schicksal eines Spieles unterworfen bist. Elfmeter, Rote Karte, dann verlierst Du und kassierst auch noch eine Sperre. Wir können uns nur tagtäglich vollkonzentriert vorbereiten. Wenn uns das gelingt, haben wir große Chancen, vorne dabei zu sein. Dass im Verein die nötige Ruhe herrscht, ist sehr viel wert.
Und was kommt nun am Ende heraus?
Köllner: Wir werden es sehen. Den Tabellenplatz, den du kriegst, hast Du immer auch verdient.