Als Jens Keller am Sonntag nach dem enttäuschenden 1:1 bei Holstein Kiel gefragt wurde, ob er überhaupt davon ausgehe, in den beiden Relegationsspielen um den Klassenerhalt in der 2. Bundesliga noch auf der Bank des 1. FC Nürnberg zu sitzen, war er nicht beleidigt. Er gehe davon aus, weiter verantwortlich zu sein, sagte Keller. Man habe aber noch nicht reden können, schob er nach. Das ließ Spielraum für Interpretationen.
Es ist keine Überraschung, dass Keller nicht weitermachen darf. Schon am Montagnachmittag teilte der Club seine Freistellung und die von Co-Trainer Thomas Stickroth mit. Die für den Abend angekündigte Aufsichtsratssitzung war wohl vorverlegt worden. Und es war auch keine Überraschung, dass der Club für die beiden Relegationsspiele am kommenden Dienstag und am 11. Juli eine klubinterne Nachfolgeregelung präsentierte. Michael Wiesinger- Ex-Profi beim FCN, Bayern München und 1860 München, Leiter des Nachwuchsleistungszentrums und ein erfahrener Fußballlehrer- übernimmt die Rolle des Cheftrainers. Klublegende Marek Mintal, derzeit für die U21 zuständig, steht ihm zur Seite.
Der 47-jährige Wiesinger war 2013 nach dem Weggang von Dieter Hecking im Gespann mit Armin Reutershan schon einmal für ein paar Monate Nürnberger Cheftrainer. Erst lief es gut, nach einem Fehlstart in die nächste Saison wurden beide aber beurlaubt. Der ehemalige Bundesliga-Torschützenkönig Mintal sprang sogar in der laufenden Saison schon einmal als Chef ein - und das war wenig vergnüglich. Nach der Trennung von Damir Canadi musste er das 1:5 gegen Bielefeld verantworten, dann kam Keller.
Für ihn sei es "eine Selbstverständlichkeit, dem Club zur Verfügung zu stehen", wurde Wiesinger in einer ersten Pressemitteilung ziteirt, das gleiche gelte für Mintal. "Diese beiden Spiele sind die wichtigsten in der jüngeren Vereinsgeschichte. Wir haben zusammen einen Auftrag: den Club in der Liga zu halten."
Ob beide den Impuls setzen können, den Palikuca erwartet, lässt sich durchaus skeptisch sehen. Wiesinger und Mintal seien "die einzige sinnvolle Lösung. Beide kennen die Mannschaft, das Umfeld und können ohne Eingewöhnung direkt loslegen", meint der Sportvorstand. Seine dritte Trainer-Entscheidung in dieser Saison sollte nun sitzen. Der Versuch, so den scheinbar unaufhaltsamen Absturz des einstigen Rekordmeisters in die Drittklassigkeit und seine vielfältigen Folgen zu verhindern, war aber unabdingbar. Wiesinger hinterließ bei einer ersten Pressekonferenz am Montag mit detaillierten Vorstellungen und engagierten Aussagen schon einen ganz anderen, besseren Eindruck als der fast immer spröde Keller.
Der Glaube, dass der „fleißige Arbeiter“ Keller, wie Sportvorstand Robert Palikuca den Stuttgarter zweideutig beschrieb, die Abwärtsspirale noch stoppen würde, war seit dem für diese Saison so typischen Auf und Ab in Kiel endgültig weg. „Uns fehlt die Kontinuität für 90 Minuten“, fasste Palikuca zusammen. Der etwas zu saloppe Satz von Keller, dass man nun eben „noch eine Ehrenrunde drehen“ müsse, ließ viele Fans kochen. Von den 18 unentwegten Club-Anhängern, die am Sonntag nach weiter Reise in Kiel vor dem leer gebliebenen Holsteinstadion standen, zeigten manche, so ein Augenzeuge, dem abfahrenden Mannschaftsbus den Stinkefinger. Befänden wir uns nicht im Corona-Sonderspielbetrieb, hätten die Profis deutlich mehr auszuhalten.
Feuerwehrmann Keller hat die Nürnberger Mannschaft nicht besser machen können. Nicht besser, als der von Palikuca und Canadi für den Wiederaufstieg zusammengestellte Kader wohl tatsächlich ist. Aber taktisch hat sich Keller allzu wenig einfallen lassen, seine rhetorische Überzeugungskraft hielt sich offenbar in Grenzen. "Jens hatte ein hervorragendes Verhältnis zur Mannschaft", hob Palikuca zum Abschied hervor. Verständlich, er nahm sie öffentlich stets bedingungslos in Schutz.
Eigentlich hat der Club nur zwei Konzepte
Eigentlich hat der FCN bisher nur zwei Konzepte, um erfolgreich zu sein. Das eine ist die immense Kopfballstärke, die Patrick Erras mit seinem schnellen Führungstor in Kiel untermauerte. Das andere Konzept ist die schlichte Hoffnung auf einen der gelegentlichen Geniestreiche von Robin Hack, die dieser aber auch nicht am Fließband absondert. In Kiel war Hack einmal mehr der Aktivposten, aber er kam nur zu einer Chance. Nach der Relegation wird der 21-Jährige für eine satte Ablösesumme wohl zurück in die Bundesliga wechseln. Schon weil er sein hohes persönliches Ziel, die A-Nationalmannschaft, nicht aus den Augen verlieren will.
Manche Spieler stellte Keller offenbar nur deshalb jede Woche erneut auf, weil sich beim Training keine Alternativen aufdrängen. Wie zum Beispiel den Schweizer Stürmer Michael Frey, der sich mit seiner extremen Körperlichkeit meist selbst im Weg steht. Oder den österreichischen Außenspieler Nikola Dovedan, dem teuersten Einkauf von Palikuca im letzten Sommer. Häufig verwirrt Dovedan mit seinen selbstverliebten Entscheidungen auf dem Platz nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Mitspieler. Aus Zweikämpfen hält er sich gerne mal raus, was Fans nicht nur in Nürnberg am wenigsten verzeihen.
Auch für Johannes Geis gilt längst nur noch das Prinzip Hoffnung. Manchmal kann er mit seinen Standards die Entscheidung herbeiführen. In Kiel wäre ihm das fast gelungen, als der Freistoß des Unterfranken statt zur 2:0-Pausenführung im Tor an der Latte landete. Nach der Pause wurde Geis mal wieder zum Problem, weil Kieler Gegenspieler im Mittelfeld kaum gehindert an ihm vorbei sprinteten. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Es gibt kaum eine Position, auf der keine sportlichen Sorgen existierten beim FCN – von Torwart Christian Mathenia mal abgesehen. Selbst Kapitän Hanno Behrens wirkt müde, verbraucht, glücklos. Vorangehen kann er nur noch selten.
Fast immer setzt sich der Drittligist durch
Die Statistik der Relegationsspiele zwischen der 2. und der 3. Liga verheißt dem Club nichts Gutes. In den elf Jahren seit ihrer Einführung setzte sich acht Mal der Underdog durch und nur drei Mal der favorisierte Zweitligist. Wiesinger und Mintal müssen sich einiges einfallen lassen, dass der Club diese Statistik im Sinne der 2. Liga verbessert. Am Mittwoch werden beide erstmals das Training leiten. Alle Profis, auch die Leihspieler, stehen zur Verfügung. Die Verträge seien entsprechend verlängert worden.