
Neun Tage vor dem Auftaktspiel bei der Europameisterschaft macht Christian Prokop kurz vor dem Medientermin der Handball-Nationalmannschaft einen angespannten Eindruck. Immer wieder faltet er kurz die Hände und presst seine Lippen aufeinander. Der 39-Jährige, der offiziell seit 1. Juli 2017 Männer-Bundestrainer ist, steht beim Turnier in Kroatien vor seiner ersten großen Herausforderung im neuen Amt. Mit dem Wort „Vorfreude“ beschreibt er seine Gefühlslage, um dann gleich wieder ins „Wir“ zu wechseln und vom Nationalteam als Ganzem zu sprechen. Das zeigt: Großen Drang zur Selbstdarstellung scheint der neue Bundestrainer nicht zu verspüren. Und Trainingsarbeit macht ihm offensichtlich mehr Freude als die Anwesenheit bei Medienterminen.
Große Schuhe
Die Schuhe, in die er hinwachsen muss, sind freilich große. Sein Vorgänger Dagur Sigurdsson, der eine darniederliegende Nationalmannschaft 2016 zum Europameistertitel und damit zurück in die Weltspitze geführt hatte, hatte aus einem Fundus an Akteuren ohne absolute Weltklassespieler ein homogenes Team geformt und nebenbei stets den Eindruck weltmännischer Nonchalance vermittelt. Der Isländer hatte sich in seiner dreijährigen Amtszeit eine derart große Reputation erarbeitet, dass ihm selbst das frühe Ausscheiden im Achtelfinale der WM 2017 kaum einer ankreidete.
So liegt die Latte für des früheren Rückraumspielers Christian Prokop, der seine aktive Laufbahn bereits 25-jährig wegen einer Knieverletzung beenden musste, sehr hoch. Seine Klubs als Spieler (SV Bernburg, Dessauer HV, HC Wuppertal, GWD Minden, HG Köthen) lesen sich ebenso wenig glanzvoll wie seine ersten Stationen als Trainer (Jugend Eintracht Hildesheim, MTV Braunschweig, TSV Anderten, SC Magdeburg II, SV Post Schwerin, TuSEM Essen). Bis dahin war Prokop für die breite Öffentlichkeit ein Nobody. Erst mit seiner Tätigkeit beim SC DHfK Leipzig machte er verstärkt auf sich aufmerksam, als er die Sachsen in die Bundesliga führte, dort etablierte und außerdem in der Spielzeit 2015/16 zum Trainer der Saison gewählt wurde. Daher war der in Leipzig lebende Familienvater von Anfang an keine Notlösung, als Sigurdsson im vergangenen Jahr aus privaten Gründen ging, sondern eine Wunschbesetzung des Deutschen Handballbundes und dessen starkem Mann, Bob Hannig, der als Vizepräsident mit der Zuständigkeit „Leistungssport“ firmiert.
Dass ihm das Image eines Handballverrückten anhängt, scheint Prokop zu wissen. Gerne wird eine Episode zum Ende seiner aktiven Laufbahn kolportiert, als er nach einer schweren Knieverletzung seinen Wurfarm von rechts auf links umstellte, was für viele wie ein Ding der Unmöglichkeit wirkt, und damit in Minden und Wuppertal sogar Bundesliga spielte. Doch das Bild, dass er 24 Stunden am Tag nur an Handball denke, „ist falsch“, wie Prokop vehement betont.
Emsiger Tüftler
Für seine Handballer bedeutet der Trainerwechsel natürlich eine Umstellung. Als „detailleversessen“ beschreibt der Berliner Rückraumspieler Fabian Wiede den neuen Coach. Und der Fürther Steffen Weinhold, der für den THW Kiel spielt, schildert seinen neuen Chef als emsigen Tüftler, der stets versucht, sein Team über die Korrektur von Kleinigkeiten zu verbessern: „Er spricht im Training viel mit uns und unterbricht häufig, wenn Dinge nicht so ablaufen, wie er sich das vorstellt.“
Prokop hatte seinen 20-Mann-Kader schon vor der Jahreswende zu einem ersten Lehrgang versammelt, nach Neujahr ist das Team in Stuttgart zusammengekommen. An diesem Freitag steht dann in Neu-Ulm ein Testspiel gegen Island an (18.15 Uhr/ARD), zwei Tage später geht es dann in Stuttgart erneut gegen die Skandinavier (Sportdeutschland, ab 14 Uhr live im Internet). Von den 20 Akteuren muss der 39-Jährige bis zum Turnierstart am Freitag, 12. Januar, gegen Montenegro noch vier Handballer aussortieren. Darüber, wer noch gestrichen wird, könnten die abschließenden Testspiele in Neu-Ulm und Stuttgart Aufschluss geben.
„Es ist wirklich alles denkbar, es ist noch keine Entscheidung gefallen“, sagt Prokop auf die Entscheidungen in puncto Personal angesprochen. Doch dürften etablierte Kräfte wie die zwölf Europameister von 2016 sowie der beim letzten EM-Turnier in Polen verletzt fehlende Kapitän Uwe Gensheimer wohl die besten Chancen haben, fürs endgültige Aufgebot nominiert zu werden. Der Linksaußen von Paris St. Germain reagierte auf die Frage, ob er sich denn vorstellen könne, noch aus dem Kader gestrichen zu werden, eher belustigt. Was darauf schließen lässt, dass Christian Prokop in Kroatien eher auf das erprobte Personal seines Vorgängers setzen und bei seiner Feuertaufe keine personellen Experimente vollführen dürfte.