Am 10. Januar vor 50 Jahren wurde zum ersten und bislang einzigen Mal ein kompletter Spieltag in der Fußball-Bundesliga abgesagt. Es war der Beginn eines Jahrhundertwinters, der den Spielplan durcheinanderwirbelte, die Mannschaften in eine Terminhatz ohne Beispiel jagte und die verrücktesten Ideen im Kampf gegen Eis und Schnee hervorbrachte.
Erst waren es Schneemassen und Eis, die die Bundesliga wochenlang lahmlegten, so dass die „Sport-Illustrierte“ voller Sorge fragte: „Wer taut die Bundesliga auf?“ Später wurden die halb aufgetauten Plätze zu unbespielbaren Schlammwüsten.
An den ersten drei Rückrundenspieltagen fielen 21 von 27 Partien aus, der erste komplett ausgetragene Spieltag war der mit der Nummer 27, am 14. März. Insgesamt wurden 45 Spiele abgesagt, fast so viele wie in den sechs Saisons zuvor zusammen (53). Bis zum 32. Spieltag war die Tabelle verzerrt.
Rasenheizung aus London
Auf dem Betzenberg rollte ein Panzer über den Rasen, um das Eis zu knacken. In München brütete eine Kommission den Plan aus, mit Kanonen aus den Skigebieten Kunstschnee auf den vereisten Rasen zu bringen, um einen bespielbaren Untergrund zu schaffen. Mehrere Klubs versuchten, ihr Spielfeld mit einer Dampfluftheizung abtauen.
Vereinsfunktionäre reisten nach London, um sich die berühmte Rasenheizung des FC Arsenal anzusehen, andere ließen sich demonstrieren, wie norditalienische Clubs ihre Rasenflächen mit belüfteten Abdeckplanen schützten. Und schließlich wurde das beschauliche Hennef zum Reiseziel, weil in der dortigen Verbandssportschule der erste Kunstrasen (aus Polyester und Nylon, importiert aus den USA) verlegt worden war. „Teppichrasen statt Rasenteppich“, frohlockte der „Kicker“.
Für den großen Termindruck sorgte die Weltmeisterschaft in Mexiko, die schon am 31. Mai begann. Um das Saisonende am ersten Maiwochenende halten zu können, wurden englische Wochen zum Dauerzustand. Auf desolaten Plätzen quälten sich die Profis über die Runden, wochenlang trainierten viele Teams nur in der Halle. Rot-Weiß Essen bestritt in den letzten 19 Tagen der Saison sieben Partien.
Der DFB nötigte Schiedsrichter, Partien auf Spielflächen anzupfeifen, die den Namen nicht verdienten. Nach dem Essener 1:0-Sieg gegen Borussia Mönchengladbach notierte der „Kicker“-Reporter: „Den Platz konnte man nur als Moor, Seenplatte oder Schlammwüste bezeichnen. Dieses Spiel hätte niemals angepfiffen werden dürfen. Der DFB ging über Moorleichen.“
Als das Terminchaos unbeherrschbar schien, ging die Idee um, die Saison abzubrechen, den enteilten Tabellenführer Borussia Mönchengladbach zum Meister zu erklären und den Abstieg auszusetzen. Nach 64 Spielen in den letzten viereinhalb Wochen war am 3. Mai – einem Sonntag, weil am Donnerstag zuvor noch acht Nachholspiele ausgetragen werden mussten – einen Tag später als geplant Schluss.
Nur drei Spielausfälle
Eine Geschichte aus einer anderen Zeit. Spielausfälle wegen schlechter Witterung kommen so gut wie nicht mehr vor, seit Stadien voll überdacht und mit Rasenheizungen ausgestattet sind. Seit 2003 gab es nur drei wetterbedingte Absagen, die letzte beim Hamburger Derby im Februar 2011, als Regen den neu verlegten Rasen in der HSV-Arena unter Wasser setzte.
Dafür bescherte die Chaossaison 1969/70 eine Einmaligkeit: Ein Spieler wurde mit einem Klub Deutscher Meister, mit einem anderen Pokalsieger. Winfried Schäfer wechselte nach der Meisterfeier am 3. Mai mit Borussia Mönchengladbach zu Kickers Offenbach. Mit den Hessen gewann er den DFB-Pokal 1970, aber erst am 29. August. Der populäre Wettbewerb war nach dem Achtelfinale abgebrochen und in die nächste Saison verlegt worden. Alles hatte begonnen, als am 10. Januar ein kompletter Spieltag abgesagt wurde. Es ist das Geburtsdatum von „Winnie“ Schäfer.