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München/Leverkusen
Vor dem Gipfel gegen die Bayern: Als ein Fluch aus Leverkusen Vizekusen machte
"Leverkusen gewinnt nie etwas. Nie, nie, nie!" Soweit ein Zitat des Ex-Bayer-Profis Emerson. Warum sich das in dieser Saison ändern könnte und was 30 Ersatzbälle damit zu tun haben.
Florian Eisele
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:11 Uhr

Wo dieses Wort – Vizekusen – eigentlich herkommt? Wahrscheinlich wurde der Begriff irgendwo zwischen Unterhaching und München geprägt. Und fast scheint es, als ob Emerson, der brasilianische Mittelfeldspieler Bayers, im Sommer 2000 einen Fluch auf sein damaliges Team gelegt hätte. "Leverkusen gewinnt nie etwas. Nie, nie, nie!" platzte es aus ihm heraus, nachdem Leverkusen in der Saison 1999/2000 den Meistertitel auf die denkbar dümmste Weise verspielt hatte. Im Saisonfinale hätte der Werkself schon ein Unentschieden gereicht. Stattdessen schoss Michael Ballack den Ball ins eigene Tor, Bayer verlor 0:2, die Bayern gewannen gegen Bremen und das Torverhältnis gab den Ausschlag für den FCB. Knapper geht nicht. Leverkusen blieb Platz zwei, Vizekusen eben.

Wie sehr das an Emerson nagte, war wenige Stunden später bei Sat.1 zu sehen, das damals die Bundesliga übertrug. Die Redaktion von "Ran" hielt es damals einige Jahre lang für eine gute Idee, dem besten Trainer und Spieler jeweils einen "Fuxx" zu überreichen, quasi einen Saison-Oscar. In der Live-Schalte waren Emerson und die bereits sichtlich angedüdelten Bayern-Spieler Oliver Kahn und Stefan Effenberg zugeschaltet. Als Jörg Wontorra Emerson die frohe Nachricht verkündete, dass er den Fuxx für den besten Spieler der Saison gewonnen hatte, quittierte dieser das mit einem eisigen Nicken. Effenberg lieferte den Beweis, dass Betrunkene und Kinder die Wahrheit sagen, und kommentierte das wie folgt: "Ihr könnt dem Emerson noch zehn Fuxx schenken. Wir haben den Pokal und die Meisterschaft, das ist viel mehr wert als dieses Scheiß X da."

Leverkusen spielte fast immer oben mit – jubeln durften immer andere

Diese Szene war jahrelang die Blaupause für alle Titelambitionen von Bayer Leverkusen: Die Werkself zeigte unter Trainern wie Christoph Daum, Klaus Toppmöller, Jupp Heynckes oder Roger Schmidt tollen Fußball – jubeln durften am Ende die anderen, im Zweifelsfall immer die Bayern. Um nochmals Emerson zu zitieren: Leverkusen gewann nie etwas. Nie, nie, nie. Der letzte Titel – der DFB-Pokal-Sieg – datiert auf das Jahr 1993 zurück. 

Und jetzt? Jetzt scheint tatsächlich etwas zu kippen. Wenn sich Bayer und die Bayern am Wochenende treffen (18.30 Uhr, Sky), ist Leverkusen der Tabellenführer und wartet nach 30 Pflichtspielen in dieser Saison immer noch auf die erste Niederlage. Nur wenn die Bayern das schaffen, überholen sie die Werkself in der Tabelle. Aus München kommen bereits markige Sprüche. "Wir werden nach Leverkusen fahren mit dem Vorsatz, ihnen die erste Niederlage beizubringen", sagte etwa Trainer Thomas Tuchel. Und wenn es nach Manuel Neuer geht, kann das Topspiel nicht früh genug kommen: "Wir mögen ja solche Highlight-Spiele. Jetzt ist es mal anders als in der Vergangenheit, dass wir die Jäger sind." Eben das soll geändert werden. "Jeder, der das Bayern-Trikot anhat, wartet gerade auf diese Spiele."

Das Pokalspiel gegen den VfB hat gezeigt: Leverkusen kann auch dreckige Siege

Bei Bayer Leverkusen waren in der Vergangenheit durchaus Zweifel angebracht, ob sich wirklich alle Spieler auf die großen Duelle freuten. Lange Zeit wirkte es, als ob man mit dem Zweitbesten auch zufrieden wäre. Das scheint nicht mehr der Fall zu sein. Stürmer Patrik Schick, immerhin auch schon in seiner vierten Saison bei Bayer, sagte dem Kölner Stadtanzeiger kürzlich: "Die Mentalität des Klubs hat sich geändert. Jetzt kämpfen wir um Titel." Und tatsächlich zeigt Leverkusen in jeder Hinsicht Merkmale einer Spitzenmannschaft: Knappe Spiele wie unter der Woche das Pokal-Viertelfinale gegen Stuttgart gewinnt Bayer nun, gerne mit einem Tor in der Nachspielzeit. Selbst das für den Erfolg nicht hinderliche Dusel scheint bei Leverkusen eingekehrt zu sein: Eigentlich hätte Robert Andrich nach seinem Foul per Platzverweis vom Feld gemusst – stattdessen schoss er den Ausgleich zum 1:1. Nun winkt nicht nur der Meistertitel, sondern auch der Pokal.

Verantwortlich für diesen Umschwung ist Trainer Xabi Alonso, in seiner Zeit als Mittelfeldspieler bei Liverpool, Real und eben FC Bayern ein erklärter Verweigerer von zweiten Plätzen. Alonso hat dem Team den Glauben gegeben. Ein kleines, aber vielsagendes Detail: Am Spielfeldrand der Leverkusener liegen rund 30 Bälle bereit. Hintergrund: Bei einem Einwurf soll so nicht erst gewartet werden müssen, bis ein Balljunge zur Stelle ist. Stattdessen soll es gleich weitergehen, ohne Unterlass. Alonso hat das nicht erfunden, aber begeistert aufgegriffen: "Es hilft uns, ein hohes Tempo beizubehalten."

Das soll auch gegen die Bayern so sein. Wenn Leverkusen gegen die Münchner gewinnt – es wäre ein großer Schritt dazu, das lästige Prädikat "Vizekusen" abzulegen, den sich die Bayer-AG als Mutterkonzern des Vereins 2010 als geschütztes Markenzeichen hat eintragen lassen. Ist am Saisonende endlich Schluss mit Vizekusen? Emerson dürfte seinen Frieden mit den Titeln gemacht haben: Bei seinen späteren Vereinen Real Madrid und Juventus Turin hat er genug Trophäen in die Luft stemmen dürfen.

 
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