Der einzige Knockout-Schlag an diesem Kampfabend kam für Profiboxerin Tina Rupprecht mit dem Urteil der Jury. Mit versteinerter Miene nahm die bis dahin ungeschlagene WBC-Weltmeisterin aus Augsburg die Entscheidung der drei Richter entgegen. Die bescheinigten ihr in ihrem 13. Profikampf, einem medienwirksam hochgepuschten Schlagabtausch in den USA, eine einstimmige 90:100 Punktniederlage. Gegen die Nummer eins der Welt im Minimum-Gewicht, die mexikanisch-stämmige Kalifornierin Seniesta Estrada, die in dieser Nacht untermauerte, warum sie ihren Kampfnamen "Superbad" trägt.
40 Minuten hatte "Tiny Tina" in diesem Spektakel über zehn Runden vor 12.000 Menschen im Save Mart Center in Fresno, Kalifornien, alles rausgeholt, was ihr 1,52 Meter großer Körper herzugeben vermochte. Hatte es erfolgreich geschafft, sich dem Trommelfeuer der Estrada-Fäuste zu erwehren und ihrerseits immer wieder sehenswerte Wirkungstreffer zu setzen, ging über zehn Runden das immense Tempo der Favoritin mit und gewann mit Abstand die letzte Runde. Trotzdem reichte es nicht.
Drei Ringrichter aus Kalifornien besiegeln die WM-Niederlage von Tina Rupprecht
Was abseits von der unbestreitbaren Stärke Estradas auch dem Heimvorteil der Amerikanern geschuldet war. So stand nicht nur das Publikum so geschlossen wie lautstark hinter seiner Landsfrau aus Los Angeles, auch das Jury-Trio kam aus Kalifornien. Dass diese einstimmig für Estrada votierten, überrascht nicht, wenn man berücksichtigt, dass ausländischen Boxerinnen und Boxer meist nur ein K. o. dazu verhilft, in den USA mit einem Sieg dekoriert zu wenden. Daneben entpuppte sich Estrada in allen Belangen als die erwartet schwere Gegnerin. Sie verteidigte mit dem 24. Erfolg in ihrer Karriere ihren WBA-Titel und nahm der Deutschen ihren WBC-Gürtel ab, gewann den zusätzlich ausgelobten Gürtel des Ring Magazines und den großen Teil einer fürs Frauenboxen offenbar respektablen Börse, über die Stillschweigen vereinbart worden war.
So musste Rupprecht zuschauen, wie sich Estrada im rosa-goldenen Kampfdress mit gleichfarbigem "Superbad"-Umhang vom Publikum feiern ließ. Bereut hat die Augsburgerin ihr Wagnis, für das bisher wichtigste Duell ihrer Karriere in die USA zu gehen, trotzdem nicht. "Die Niederlage ist schon eine Enttäuschung, aber meist kommt man nach einer Niederlage stärker zurück", sagte Rupprecht in einem ersten Statement gegenüber dem Sender BR24sport, der den Boxkampf live gestreamt hatte. "Auch finde ich, dass ich nicht so eindeutig verloren habe, wie es die Scores zeigen", sagte Rupprecht, um gleich anzufügen, dass Estrada "eine sehr, sehr starke Gegnerin war. Ein höheres Niveau im Frauenboxen gibt es nicht".
Mit Schneeschuhtouren hat sich Tina Rupprecht auf den Boxkampf in Fresno vorbereitet
Denn dass das USA-Gastspiel nicht so gelaufen ist wie von Rupprecht, ihrem Trainer Alexander Haan und dem Team vom Boxclub HaanAugsburg erhofft, lag nicht an mangelnder Vorbereitung. Alle hatten gewusst, auf was man sich gegen "Superbad" Estrada einließ. Dass die Kalifornierin mühelos von der Rechtsauslage in die Linksauslage wechseln kann, dass sie blitzschnell zuschlägt und jeder Haken Knockout-Charakter hat. Mit einem Höhentraining mit Schneeschuhtouren im Bayerischen Wald, einer mexikanischen Sparringspartnerin und unzähligen Kampf- und Konditionstrainings hatte sich die 30-jährige Realschullehrerin aus Augsburg auf diese sportliche Herausforderung vorbereitet. Hatte sich mit Benedikt Poelchau einen Manager zugelegt, der sie neu in Szene setzte und mit allen Mitteln das große Rad der Vermarktung zu drehen begann.
In den USA lief anfangs alles für die Deutsche, die beim Wiegetermin die deutlich bessere Figur abgab. Denn Estrada brachte mehr als das zugelassene Minimum-Kampfgewicht von 47,5 Kilogramm auf die Waage und musste noch ein bisschen "abkochen", also Flüssigkeit ausschwitzen, bevor alles den Regularien entsprach. Im knappen Bikini ließen sie und Rupprecht schon da ihre Muskeln spielen, wobei die Deutsche mit unerschütterlicher Zockermiene den Böser-Blickkontakt-Wettbewerb der Duellantinnen gewann und mit jeder Körperfaser ihre tiefe Entschlossenheit zeigte, Estrada in die Knie zu zwingen.
Die Eltern und der Freund drücken Tina Rupprecht am Ring die Daumen
Allein an der Umsetzung haperte es schließlich. Vor den Augen ihrer Lieben - neben ihrem Freund Markus Fritschi drückten auch Oma Gisela und Opa Manfred sowie die Eltern Andrea und Dietmar direkt am Ring die Daumen - hätte Rupprecht noch dominanter, noch dynamischer, noch treffsicherer auftreten müssen, um auch die kritischen US-Richter zu überzeugen. Dennoch wurden auch in Deutschland diejenigen mit einem faszinierenden Frauen-Kampf auf höchstem Niveau belohnt, die trotz Zeitverschiebung und Verzögerungen zu nachtschlafender Zeit das Duell über den Livestream verfolgt hatten.
Der erfahrene Box-Kommentator Jens-Jörg Rieck und Kickbox-Weltmeisterin Tina Schüssler aus Diedorf (Landkreis Augsburg) registrierten da ziemlich fassungslos, wie Tina Rupprecht für ihre Glanzleistung gegen Estrada bewertet wurde. "Mindestens ein Unentschieden wäre verdient gewesen", sagte Schüssler nach dem Kampf und wünschte gleich eine Revanche. Wie zu hören war, soll es in den Verträgen von "Tiny Tina" und Miss "Superbad" allerdings keine Rückkampf-Klausel geben.