Als sein Kollege Jens Keller in der Pressekonferenz ausführlich über den Handelfmeter zum 1:3 lamentierte, der dem 1. FC Nürnberg "ein bisschen das Genick" gebrochen habe, wurde es Dieter Hecking zu bunt. "Man darf das Spiel nicht nur auf diese Situation herunterbrechen", sagte der Trainer des Hamburger SV bestimmt. Das unglückliche Handspiel von Georg Margreitter, das nach Intervention des Video-Assistenten geahndet worden war, und der vom überragenden Sonny Kittel verwandelte Strafstoß (67. Minute) brachten den Club im Volksparkstadion zwar endgültig auf die Verliererstraße. Doch die Nürnberger Leistung war insgesamt viel zu kläglich, um sich nach der 1:4 (0:2)-Schlappe über irgendetwas beklagen zu dürfen.
Seit dem Donnerstagabend muss man sich noch mehr Sorgen machen um den FCN. Außer, man steht dort in Verantwortung und hat sich Optimismus befohlen. "Was wir mitnehmen können, ist unser gutes Zweikampfverhalten", sagte Sportvorstand Robert Palikuca zum allgemeinen Erstaunen beim Sender Sky. Tatsächlich hatten die Gäste nach der offiziellen Statistik 50 Prozent der Zweikämpfe gewonnen - die entscheidenden aber nicht. "Bis auf die erste Hälfte waren wir auch ganz gut im Flow" behauptete Trainer Keller. Ein Satz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Derartige Schönfärberei lässt sich nur damit erklären, dass am Sonntag (13.30 Uhr) gegen den SV Sandhausen bereits das nächste Spiel ansteht.
Ein Spiel, das der auf den vorletzten Platz abgerutschte Club gewinnen muss. Keller allerdings beschreibt die zugespitzte Situation als halb so wild: "Alle sind noch eng beisammen. Es sind noch 15 Spiele, da mache ich mir noch gar keine Sorgen. Es ist nicht so viel passiert." Außer vielleicht, wie auch Keller noch einfiel, dass die beiden Kellerkonkurrenten Dresden und Wehen ihre ersten Auftritte nach der Winterpause gewonnen haben.
Hamburg war stark - vielleicht auch stärker, als es Hecking nach der schlechten Phase zum Ende des letzten Jahres selbst erwartet hatte. "Sehr, sehr einverstanden" sei er mit dem Auftritt seiner Mannschaft gewesen, sagte der Trainer, der über den mit Abstand stärksten Kader der Zweiten Liga gebietet und deshalb mit dem HSV aufsteigen muss. Wie schon beim Hinspiel in Nürnberg, als den Hanseaten ebenfalls ein Viererpack gelang (4:0), diente der Club als freundlicher Aufbaugegner. Dass der starke Gambier Bakery Jatta für das 1:0 sorgte, entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Jattas Identität war im Sommer bezweifelt worden, was Nürnberg zu einem Protest gegen die Spielwertung bewogen und Hamburg verstimmt hatte.
Es war rätselhaft, wie verschüchtert und fehlerhaft die Nürnberger in der ersten Hälfte agierten. "Dafür gibt es keine Erklärung. Wir haben nicht gezeigt, was wir in der Vorbereitung trainiert haben", sagte Johannes Geis, der selbst keinen guten Abend erwischt hatte. "Wir haben viele Bälle erobert, aber die dann zu einfach wieder hergegeben", monierte Keller. Das ging an die Adresse des offensiven Mittelfeld-Trios Fabian Schleusener, Hanno Behrens und Robin Hack plus Mittelstürmer Michael Frey. Die Vier schafften es nicht, Druck auf die ballführenden Hamburger auszuüben.
Das sorgte für Turbulenzen in der Verteidigung, auf beiden Flügeln ebenso wie im Zentrum, wo Arsenal-Leihgabe Konstantinos Mavropanos mit dem Verursachen des Foulelfmeters zum 0:2 noch seine auffälligste Szene hatte. "Wir hatten einen klaren Plan, aber Hamburg hat es immer geschafft, zwischen unsere Ketten zu spielen", klagte Torwart Christian Mathenia nach seinem Comeback, das er sich anders vorgestellt hatte. Offensiv trat der FCN, von Tim Handwerkers präzisem Weitschuss zum 1:2 (51.) abgesehen, kaum in Erscheinung.
Zwei personelle Entscheidungen von Keller, mit denen er ins Risiko gegangen war, weil er seiner Mannschaft in Hamburg offenbar einiges zugetraut hatte, gingen nach hinten los. Der unerfahrene Slowene Adam Gnezda Cerin war als Offensiver im defensiven Mittelfeld eine Fehlbesetzung und musste, nachdem er das 0:1 mit einem Ballverlust eingeleitet hatte, schon vor der Pause gehen. Der gelernte Innenverteidiger Lukas Mühl wunderte sich selbst, dass er in der Kette die rechte Außenposition zugewiesen bekam - dort, wo der HSV seine Schokoladenseite hat. Immer wieder musste Mühl in Sprints gehen, die er nicht liebt. Ein Plus an Größe habe er mit dessen Nominierung ins Team bringen wollen, erläuterte Keller, "aber so viele Standardsituationen hatten wir dann nicht".
Nachdem der Club am Mittwoch mit Lukas Jäger (Sturm Graz) einen weiteren Kandidaten für die Sechser-Position abgegeben hatte, war es durchaus zu erwarten, dass der Verein am letzten Tag der Transferperiode noch einen Neuzugang für diesen weiter vakanten Job präsentieren würde. Doch am Freitag vermeldete der Club keinen Last-Minute-Wechsel mehr.