Kein einziges Interview. Nicht einmal ein Wort zu Bayern München. Josep Guardiola i Sala hat konsequent geschwiegen, seit im Januar bekannt geworden war, dass der begehrteste Trainer der Welt im Sommer an die Isar umziehen würde. So etwas hat Seltenheitswert in einem Gewerbe, in dem Reden längst Gold und Schweigen nur noch Silber ist. Aber nun wird Guardiola, dessen Vorname zu Pep verkürzt wird, endlich sprechen. Ziemlich sicher auf Deutsch, das er sich während seines Sabbatjahres in New York intensiv mit einer Privatlehrerin angeeignet hat. Bei den Medien kommt der Druck endlich aus dem Kessel. Und wie. Der Sender Sport1 etwa hat angedroht, gleich mit fünf Reportern bei der Pressekonferenz zu erscheinen, auf der Guardiola an diesem Montag (12 Uhr) vom FC Bayern vorgestellt wird.
Das Trainingsgelände an der Säbener Straße wäre dem Rummel nicht gewachsen. Guardiola wird im Presseraum der Allianz Arena präsentiert, der kinoartige Saal wird ausnahmsweise bis auf den letzten Platz besetzt sein. Ins Stadion wurden auch die beiden ersten Trainingseinheiten verlegt, die für Mittwoch und Donnerstag angesetzt sind. Jeweils 25 000 Besucher können dabei sein, wenn das neue Trainer-Team die Münchner Profis erstmals über den Rasen scheucht. Erstmals auch verlangt der FC Bayern für ein Training Eintritt. Fünf Euro kosten die Tickets, die am Montag und Dienstag im Vorverkauf an der zurzeit wegen Bauarbeiten nicht mit der U-Bahn zu erreichenden Arena zu erwerben sind. Aber niemand muss die Nase rümpfen. Der Erlös geht an die Opfer der Flutkatastrophe. Eine Idee, die auch Guardiola gefallen dürfte.
Als Trainer-Nobody angetreten, hatte er in nur vier Jahren mit dem FC Barcelona 14 Titel gewonnen, darunter zweimal die Champions League und dreimal die spanische Meisterschaft. Das war der Ertrag eines überzeugenden Spielstils, geprägt von Ballbesitz, Kombinationslust und Offensivgeist; mit einem Lionel Messi, den Guardiola als Fixstern seines Systems installierte. Er machte seinen Heimatverein, bei dem er als Zögling der Nachwuchs-Akademie begonnen hatte, schlicht zur besten Klub-Mannschaft der Welt.
Aber im Mai 2012 war Schluss. Guardiola war ausgebrannt, erschöpft. Von Problemen wie der Krebserkrankung seines Co-Trainers und späteren Nachfolgers Tito Vilanova. Von dem zermürbenden Kleinkrieg mit dem nationalen Rivalen Real Madrid und dessen aggressivem, prahlerischem Trainer José Mourinho. Von Abnutzungserscheinungen im Umgang mit den Spielern. Und auch von seinem akribischen, als besessen beschriebenen Arbeitsstil. Er ließ sich nicht mehr umstimmen und ging.
Sir Alex Ferguson, ein großes Vorbild des Katalanen, lobt Guardiola für seine große Bescheidenheit, die für seinen Erfolg enorm wichtig sei. Ferguson empfand es – wie er im Vorwort zur Guardiola-Biografie von Guillem Balague schreibt – aber als „unklug, diese Arbeit nicht weiterzuführen“. Er selbst war immer geblieben, erst nach 27 Jahren in Diensten von Manchester United verabschiedete sich der geadelte Trainer jetzt nach sanftem Drängen in den Ruhestand. Biograf Balague, ein aus Barcelona stammender und in London lebender Journalist, kann Guardiolas Abgang jedoch uneingeschränkt nachvollziehen. Es sei an der Zeit gewesen, sich von der „alles verschlingenden Organisation“ FC Barcelona zu verabschieden, der der 42-Jährige mit einer Unterbrechung von sechs Jahren gedient habe, seit er 13 war. Und mehr noch: „Ein Land, dem es an aktuellen Vorbildern fehlte, das mit einer Rezession kämpfte, erhob Pep zur gesellschaftlichen Leitfigur, zum perfekten Mann, zu einem Ideal. Das wurde selbst Pep unheimlich.”
Balagues Buch, detailverliebt, 432 nicht immer leicht zu lesende Seiten stark und „in engem Kontakt” mit dem Dargestellten entstanden, hat es sogar in die „Spiegel“-Bestsellerliste geschafft. Der Hunger nach Informationen über den neuen, aufregenden Bayern-Trainer ist eben groß.
Seine Energiedepot hat Guardiola wohl wieder aufgeladen. In München kann er nur Trainer sein. Aber das wird anspruchsvoll genug. Er übernimmt eine Mannschaft, die gerade das Triple gewonnen hat. Das unter dem verabschiedeten Trainer Jupp Heynckes erreichte Niveau soll gehalten und verfeinert, die Erfolgsgeschichte weitergeschrieben werden. Guardiola soll mit dem FC Bayern eine Ära prägen, wie er es mit dem FC Barcelona geschafft hat. Schon wird vom möglichen Sextuple geraunt, das Guardiola 2009 schon einmal mit Barca erreicht hat, dem Sieg in sechs verschiedenen Wettbewerben. Der weniger bedeutsame deutsche Supercup (gegen Borussia Dortmund) würde dazu zählen, das Spiel um den europäischen Supercup gegen den nun von Mourinho trainierten FC Chelsea Ende August in Prag. Und die Klub-Weltmeisterschaft im Dezember in Marokko, für die zwei Münchner Liga-Spiele verlegt werden müssen.
Wie er sein neues Ziel zu finden gedenke, hat Guardiola vor seiner Entscheidung für den FC Bayern beschrieben. „Ich lasse mich von der Leidenschaft an einen Ort tragen, an dem ich sie vermitteln kann. Ohne sie kann ich kein Trainer sein, das ist bei mir so”, zitiert ihn Balague. Vielleicht solle er zu einem Klub gehen, mit dem er keine Titel gewinnen könne, kokettierte Guardiola auch. „Vielleicht würde ich dadurch zu einem besseren Trainer. Ich lebe mit meinen Zweifeln und halte mich nicht für besser als andere, nur weil ich Titel gewonnen habe.” Aber so kam es nicht, natürlich nicht.
Guardiola wird als Fußball-Romantiker beschrieben, er liebt die großen Klubs mit Tradition. Auch deshalb heuerte er beim FC Bayern an, bei dem ehemalige große Spieler die Linie langfristig vorgeben, und nicht bei einem Verein, der von einem Oligarchen oder von Scheichs nach Belieben gesteuert wird. Schon bei der Teilnahme am Audi-Cup 2011 in München verblüffte er die Klub-Lenker Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge mit der Aussage, er könne sich eine Tätigkeit in München gut vorstellen. Der Anfang war gemacht. Guardiolas Freund Raúl, der zwei Jahre auf Schalke spielte, habe in Pep die Begeisterung für die Bundesliga geweckt, schreibt Balague. Die Aussicht auf stets gefüllte Stadien alleine ist für einen Spanier, der in der heimischen Liga anderes gewohnt ist, sehr verlockend.
Deutsch hat Guardiola also gelernt. Anders würde es auch nicht funktionieren. „Er muss die Sprache der Fußballer beherrschen, um seine Verehrung für das Spiel zu vermitteln, sie von seinen taktischen Lösungen zu überzeugen, sie für die Sache zu gewinnen“, schreibt der spanische Journalist Roman Besa in einem Beitrag für die „Welt”.
Alleine kommt Guardiola nicht nach München. Ob seine Frau Cristina und die drei Kinder gleich dabei sein werden, ist noch offen. Und natürlich auch, ob sie der Empfehlung eines Immobilienmaklers folgen werden, der Familie Guardiola in einem von vielen das Pep-Fieber schürenden Artikeln das hippe Lehel als bevorzugtes Wohngebiet andiente. Klar ist aber, dass Guardiola neben seinem Freund und Berater Manuel Estiarte, einem früheren Wasserball-Olympiasieger, für seine Arbeit auf dem Platz drei frühere Mitarbeiter aus Barcelona mitbringen wird: die Co-Trainer Domenech Torrent und Carles Planchart sowie den Fitnesstrainer Lorenzo Buenaventura. Ein bekanntes Gesicht im Trainer-Team bleibt den Bayern-Profis aber erhalten: Hermann Gerland. Der „Tiger” erhielt schon einen Anruf seines neuen Chefs. „Er hat sich kurz auf Deutsch vorgestellt. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.”