Die wohl älteste Kart-Runde weit und breit trifft sich jeden Donnerstag im Bad Kissinger Sportpark. Mit einem Durchschnitts-Alter von sagenhaften 91 Jahren. Gespielt wird, auch das ist in fränkischen Gefilden außergewöhnlich, das Spiel '66'. Aus banalem Grund. "Nicht alle können Schafkopf, was ich selbst bevorzugen würde", sagt Hermann Matthes, der mit 84 Jahren quasi das Nesthäkchen und so eine Art spiritus rector der Clique ist. "Ich halte unsere Runde am Laufen, übernehme auch den Chauffeur-Dienst für zwei aus unserer Gruppe, die nicht mehr so gut zu Fuß sind. Aber vom Kopf her sind alle fit", betont Matthes.
Der gebürtige Oberfranke aus dem Kreis Kronach kam 1954 aus beruflichen Gründen in die Kurstadt, arbeitete für die Drogerie Bauer, die er nach dem Tod seines Chefs auch übernahm. Beim FC 06 fand Hermann Matthes eine zweite Heimat: als Kicker und Kartenspieler. "Nach dem Abstieg im Jahr davor, sind wir in der Saison 1955/56 auf Anhieb Meister geworden", erinnert sich Matthes, der schon in der alten Heimat dem Fußballsport frönte.
Zur ersten Kart-Runde zu Beginn der 50er Jahre gehörte bereits der im Jahr 1922 geborene Karl Ernst (97), der heute noch am Kartentisch sitzt. Dessen Mitspieler seinerzeit waren Fritz Clauss, Kurt Mayer sowie Erich Werner, der nach seinem Umzug nach Offenbach im Jahr 1954 von Hermann Matthes ersetzt wurde. Schon damals wurde '66' gespielt. Diese Runde war über Jahrzehnte beisammen, ehe Arthur Kaffer und schließlich Gustav Streng dazukamen. Mit Karlheinz Erlwein, Gottfried Wenzel und anderen stehen diverse Ersatzspieler parat.
92 Lenze zählt Arthur Kaffer, der nach dem Tod von Kurt Mayer dessen Platz einnahm. "Seit 1947 bin ich FC-Mitglied, habe auch selber Fußball gespielt und kannte daher natürlich die Älteren, die damals schon Karten gespielt haben", weiß das ehemalige Vorstandsmitglied.
Gustav Streng ist ein Kind der Stadt, stand viele Jahre an der Spitze des TSV Bad Kissingen und ist längst Ehrenvorsitzender des größten örtlichen Sportvereins . "Ich wurde halt gefragt, ob ich da mitmachen würde", erinnert sich der 90-Jährige. "Bis dahin hatte ich ja eher Schafkopf gespielt, aber '66' konnte ich natürlich auch", sagt Streng, der das wöchentliche Treffen einfach nur genießt. "Man plaudert über Gott und die Welt und verbringt schöne Stunden zusammen."
"Das Ansehen der 'Jungs' bei uns im Verein geht über die Erkenntnis, dass sie jeden Donnerstag Karten spielen, weit hinaus. Ausgenommen Gustav Streng, der in früheren Tagen mehr dem TSV zugewandt war, sind alle anderen immer noch aktive FCler, die den Ältestenrat bilden und mit mir vor 13 Jahren auch den FC-Freundeskreis gegründet haben. Und trotz ihres Alters, sind alle am FC-Geschehen beteiligt. Keine Weihnachtsfeier, keine Generalversammlung, auch kein Sommerfest ohne sie", sagt FC 06-Vorsitzender Wolfgang Werner.
Weil die Tage kürzer und die Temperaturen kühler werden, werden die Vier für die nächste Zeit womöglich ein Ersatz-Quartier aufsuchen. Nach der Kündigung des Pachtvertrags für die Sportgaststätte (wir berichteten) wurde von Vereinsseite für das Quartett Platz in einer Ecke des Abstellraums geschaffen. Nicht ideal, aber die Senioren-Runde braucht auch keinen Luxus, nur vier Stühle , einen Tisch , ein vollzähliges Kartenspiel und ein bisschen Kleingeld als bescheidenen Anreiz.
"Die Aktivitäten der Alten, die Verbindung mehrerer Fußballergenerationen, ist auch die Basis dafür, dass der 1. FC 06 seit Ende des 2. Weltkrieges nie unterhalb der Kreisliga gespielt hat. Ich denke, das ist einmalig im Landkreis", sagt Wolfgang Werner.
Beim Kartenspiel '66' werden Augen gesammelt
Bedeutung
Ziel des Spieles ist es, durch Stiche und Ansagen möglichst rasch 66 Augen oder mehr zu sammeln. Die in den Stichen enthaltenen Karten zählen nach ihren Augen, für ein gewonnenes oder verlorenes Spiel gibt es Punkte. Zählweise Sechsundsechzig wird mit einem Paket zu 24 Karten gespielt. Die Werte der Spielkarten sind wie folgt: Ass 11, Zehner 10, König 4, Ober 3, Unter 2, Neuner 0.