Minute 84. Konter. Der Pass in die Tiefe ist perfekt für Annika Graser, die mit Technik und Tempo dem Tor entgegen stürmt, die Torfrau umkurvt und tiefenentspannt einschiebt. Das erste Saisontor der 21-Jährigen bedeutet den 3:1-Endstand im Spiel gegen RB Leipzig , womit der FC Carl Zeiss Jena in der Tabelle den Platz mit den Sachsen tauscht, nun Zweiter ist in der Nordstaffel der 2. Bundesliga. Quasi als Bonus kommt das Tor der gebürtigen Auraerin in die Auswahl zum Volltreffer der Woche bei Sport im Osten (mdr).
Die Biologie-Studentin hatte im letzten Vorrundenspiel bereits den Elfmeter zum 1:0 ihrer Mannschaft herausgeholt, durfte sich also durchaus als Matchwinnerin fühlen in diesem Prestige-Duell, das eine ganz besondere Facette bereithielt, weil beim Gegner eine weitere Spielerin aus dem Landkreis Bad Kissingen mitwirkte: Madlen Frank, die ebenfalls eine Jenaer Vergangenheit hat, aber nie mit der vier Jahre jüngeren Annika Graser gemeinsam auf dem Platz stand. "Das war nur mal in einem internen Trainingsspiel, als ich mit der U17 gegen die Frauen kicken durfte", sagt Graser.
Parralelen in der Karriere
Die Karrieren beider Spielerinnen, deren Väter übrigens gemeinsam für den SV Aura auf dem Platz standen, weisen große Parallelen auf. Beide begannen als Fünfjährige bei ihren Heimatvereinen , um über den DFB-Stützpunkt zum TSV Großbardorf zu kommen. 2013 wurde Annika Graser Stammspielerin der bayerischen Regionalauswahl. In der Saison 2013/14 spielte sie mit Zweitspielrecht bei den U17-Juniorinnen des ETSV Würzburg, um zur Saison 2014/15 zum FF USV Jena zu wechseln, der nach dem Abstieg aus der Bundesliga in der vergangenen Saison, auch aus finanziellen Gründen, sein Spielrecht im Mai 2020 an den FC Carl Zeiss Jena abgegeben hatte.
Als B-Jugendliche war Madlen Frank im Sommer 2010 nach Jena gekommen, wo sie am 30. März 2014 ihr Bundesliga-Debüt beim 6:1 über die SGS Essen feierte. Im Sommer 2015 wechselte die 25-Jährige mit dem Abitur in der Tasche zum FFV Leipzig und ein Jahr später zur neugegründeten Damenmannschaft von RB Leipzig . An der Erfolgsgeschichte des jungen Vereins hat Madlen Frank als Leistungsträgerin maßgeblich mitgeschrieben. Der ebenso jungen wie ambitionierten Mannschaft gelang über die Landes- und Regionalliga der Sprung in die Nordstaffel der 2. Bundesliga. "Jetzt sind wir zweimal aufgestiegen. Warum soll das kein drittes Mal gelingen, auch wenn wir uns keinen Druck machen, wann das passiert", hofft Madlen Frank auf den Sprung ins Oberhaus.
Bereit für den Durchmarsch
Ein Wunschdenken, das sicher nicht auf Sand gebaut ist, weil der Verein die Professionalisierung des Frauenfußballs stetig vorantreibt. So wurde beispielsweise Anja Mittag verpflichtet, die mittlerweile zum Trainerstab gehört, sich aufgrund der aktuellen Verletztenmisere aber noch einmal für ein Comeback entschied. "Bei unserem 4:1-Sieg in Mönchengladbach hat Anja mir zwei Tore aufgelegt und auch selbst getroffen", erzählt die Albertshäuserin über die 158-fache Nationalspielerin. Die Niederlage in Jena hatte aber auch die 35-Jährige nicht verhindern, die zur Halbzeit beim Stand von 0:1 eingewechselt worden war.
Überschaubar geblieben war im Spiel der Kontakt zu Annika Graser, obwohl die Jenaer Stürmerin und die Leipziger Abwehrspielerin sich sogar im direkten Duell begegneten. "Das läuft dann schon professionell ab. Und nach dem Spiel war Jena mit dem Feiern beschäftigt", nimmt es Madlen Frank mit Humor. Längst ist Leipzig zur zweiten Heimat der 25-Jährigen geworden, die an der Uni Leipzig Jura studiert und kurz vor dem Staatsexamen steht. "Studium und Fußball kann ich hier gut verbinden. Und in Leipzig lässt es sich sehr gut leben. Die Stadt ist nicht zu klein und nicht zu groß und die Seenlandschaft um Leipzig ist wunderschön", sagt Madlen Frank, die in ihrem Team im Mannschaftsrat sitzt und auch als Kassenwart fungiert.
Noch eine Verbindung in den Landkreis
Ihre Heimspiele tragen die RB-Frauen übrigens in Markranstädt aus, trainiert wird in Leipzig, mitunter auch auf dem Gelände der Männermannschaft. " Julian Nagelsmann schaut öfters mal beim Training zu. Da spürt man die Wertschätzung. Das finde ich ziemlich cool", sagt Madlen Frank über den Bundesliga-Trainer , dessen familiäre Bande tatsächlich in den Landkreis Bad Kissingen reichen: Bruder André wohnt in Elfershausen und ist bekanntlich der Kreisspielleiter im Fußballkreis Rhön.
Gut möglich, dass sich Annika Graser und Madlen Frank über kurz oder lang mit ihren Vereinen in der Bundesliga wiedersehen. Dort, wo aktuell mit Leonie Kreil eine weitere Landkreis-Kickerin aktiv ist. Nach dem Abstieg hatte die gebürtige Poppenrotherin Jena den Rücken gekehrt und war zum SC Sand gewechselt. Noch ist der FC Gütersloh Spitzenreiter der Nordstaffel, aber die Jenaerinnen bleiben dran, die den Erfolg über Leipzig am Sonntag veredelten mit einem 3:1-Sieg über Borussia Bocholt. Wieder mit einem Treffer von Annika Graser übrigens. Wenn's mal läuft...