Schon bevor das Training begann, wurde mir mein erster Fehler bewusst – ich hatte kurze Hosen an. Da man beim Aikido doch öfter mal in direktem Kontakt mit dem Boden steht und vor allem die Knie dabei leiden, sollte man in langer Kleidung trainieren. „Das merkt man hernach beim Duschen“, meinte denn auch Sensei Bernd Rüb, der sich allerdings ein Lächeln nicht verkneifen konnte.
Wir begannen mit Gymnastik, hier tat ich mir – bis auf meine offensichtliche Unbeweglichkeit – noch nicht schwer. Auch bei der anschließenden Aikido-Rolle vorwärts ging das noch. Bei der Rolle rückwärts sah das schon etwas anders aus. Irgendwie war hier stets mein Kopf im Weg, die Sache mit der Koordination wollte nicht so ganz hinhauen. „Nach der Gymnastik kommt stets zunächst die Rolle, sprich der Selbstschutz, im Training dran. Das kann man auch sehr gut als Konditionstraining nutzen“, so Rüb. War das mit der Rolle schon schwierig, war ich bei den anschließenden Technikübungen mit Holzwaffen, vor allem dem Messer, schließlich komplett überfordert.
Häufig auf dem Bauch liegend
Zu komplex waren die verschiedenen Bewegungsabläufe, sodass ich mich häufig in der Rolle des Angreifers und somit ebenso häufig auf dem Bauch liegend wiederfand. „Die Koordination wird beim Aikido schon sehr gefördert. Man braucht auf jeden Fall beide Gehirnhälften, da die Hände oft etwas völlig anderes machen als die Füße. Aikido ist also eine Mischung aus Bewegung, Koordination und Konzentration, “, beschreibt Rüb die hohen Anforderungen an den Akidoka – den Aikido-Ausübenden.
Doch ist Aikido mehr als lediglich andere auf die Matte zu hauen. Dies macht schon die Übersetzung des Namens ins Deutsche klar: Ai – Liebe und Harmonie, Ki – Kraft und Energie, Do – Weg. Sinn ist es, den Gegner in eine Situation zu bringen, in der er von der Sinnlosigkeit seines Angriffes überzeugt ist und die feindliche Einstellung aufgibt. Dabei gibt es keinen Wettkampfgedanken wie Rüb klarmacht: „Im Training haben wir keinen Gegner, sondern nur Partner. Ich kann bis zu einem gewissen Punkt gehen, aber nur soweit, dass ich niemanden verletze. Man muss den eigenen Egoismus, immer gewinnen zu wollen, überwinden.“
Dass ein ganzes Wertesystem im Hintergrund steht, wird durch die Regeln des Frankenwinheimer Dojo ersichtlich, die sich an den sieben Tugenden des japanischen Samurai orientieren: Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit, Mut, Güte, Höflichkeit, Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Ehre und Treue, Selbstbeherrschung. Aikido ist eine recht junge Kampfkunst, wurde erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Ueshiba Morihei als eine Synthese aus verschiedenen Budo-Disziplinen entwickelt. Die betont defensive Kampfkunst hat zum Ziel, die Kraft des Angreifers zu leiten und durch Wurf- und Haltetechniken eine Fortführung der Attacke unmöglich zu machen. „Ich brauche immer eine Aggression die von jemand anderem ausgeht. Sollte die Konfrontation unausweichlich sein, lege eigentlich ich durch meine Körperhaltung fest, wie der andere angreift, obwohl dieser das nicht merkt. Deshalb müssen die Bewegungsabläufe in Fleisch und Blut übergehen,“, beschreibt Sensei Rüb das Verhalten im Ernstfall, betont aber auch: „Wenn ich will, kann ich dem anderen richtig wehtun. Allerdings ist das nicht das Ziel.“
Nach Deutschland gelangte Aikido in den 1960er Jahren durch den offiziellen Vertreter des Aikikai (der ursprünglichen Organisation des Aikido in Japan), Katsuaki Asai. Dieser gründete den Aikikai Deutschland, der, zunächst durch Rolf Brand als Sektion im Deutschen Judobund aufgenommen, im Laufe der 70er Jahre in einem eigenen Deutschen Aikido Bund aufging. Dabei ist Aikido lange nicht so einheitlich wie man zunächst annehmen kann, wie Rüb erklärt: „Mit der Entwicklung von Ueshibas Persönlichkeit, veränderte sich natürlich auch so manches im Aikido. Es gibt viele Wege, mit eigenen Großmeistern, die die von ihnen gewählte Schule natürlich als die einzig richtige erachten. Das Ergebnis ist allerdings immer ähnlich.“
Organisiert sind die Aikidoka seit 1967 neben anderen, kleineren Dachorganisationen, hauptsächlich im Aikikai Deutschland. Dieser besteht momentan aus ungefähr 6000 Mitgliedern und 180 Dojos. Zum Ende des Trainings setzten wir Schüler – oder besser gesagt die eigentlichen Schüler und ich – uns dem Sensei gegenüber in den Seiza, den korrekten Sitz, bei dem man auf seinen Knien ruht. Es kehrte wie zu Beginn ein Moment der Ruhe ein, bevor uns Sensei Rüb schließlich entließ.