„Verdammt lang her“ – das ist der Titel unserer 20-teiligen Serie, in der wir große Sportlerinnen und Sportler von einst zum Interview gebeten und mit ihnen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geplaudert haben. Im zwölften Teil kommt Walter Röhrl zu Wort. Der zweifache Rallye-Weltmeister ist ein Analytiker seines Sports und nimmt nach wie vor kein Blatt vor den Mund
Walter Röhrl: Da war es noch ein Sport für Männer.
Röhrl: Der ursprüngliche Sinn beim Rallyefahren war, die Zuverlässigkeit von Mensch und Maschine zu prüfen. Und das geht doch eigentlich nur, wenn du lang unterwegs bist. Also waren die Wertungsprüfungen damals lang, manchmal auch sehr lang. Das war ein entscheidender Punkt. Es ging Tag und Nacht. Das fehlt heute.
Röhrl: Ich habe es genossen. Die körperliche Fitness hat eine Rolle gespielt, das Autofahren hat eine Rolle gespielt. Und vielleicht auch ein bisschen, dass du mitdenken musstest, was du deinem Auto auf 4000 oder 5000 Kilometern zumuten kannst, damit du ins Ziel kommst.
Röhrl: Genau. Wo ist die Grenze, wo kann ich schnell fahren, wo muss ich aufpassen? Das waren die kleinen Mosaiksteinchen, die in meinen Augen einen guten Rallyefahrer ausgemacht haben.
Röhrl: Ja, auch weil es keinen zweiten Sport gibt, bei dem du die Welt so kennen lernst. Egal, ob die Tennisspieler, Fußballer oder Formel-1-Rennfahrer bist. Du fliegst in das Land, gehst ins Hotel, fährst an die Wettbewerbsstätte und fliegst nach dem Wettkampf wieder heim. Und was machen wir? Wir fliegen ans Ende der Welt und fahren tausende Kilometer Feldwege und über Land im Training ab, bestreiten dann die Rallye. Und wenn du mal feststeckst, musst du einen Einheimischen mit Händen und Füßen fragen, ob er dir hilft und das Auto mit rausschiebt. Das war Rallyefahren. So etwas gibt es nicht mehr.
Röhrl: Neuseeland, sehr beeindruckend. Vom Land her war Kenia auch toll. Du sitzt auf der Veranda von der Lodge und du siehst Löwen oder Elefanten, die zum Wasserloch kommen. Das waren schon emotionale Höhepunkte. Aber weil ich immer Angst hatte, dass mich in Kenia eine Fliege sticht und ich Malaria bekomme, dass ich mir den Magen mit dem Essen verderbe und wegen der schlechten Straßen bleibt Neuseeland doch meine Nummer eins.
Röhrl: Weil ich mit der teuren Technik da drüber fahren musste.
Röhrl: Da hat damit nichts zu tun. Ein Auto war für mich immer etwas, auf das ich aufpassen will, das ich nicht übermäßig strapazieren wollte.
Röhrl: Nein: Markku Alen zum Beispiel war mit mir bei Fiat. Der hat einfach nicht verstanden, wenn ich ihm erzählte, dass es mir weh tut, wenn ich über die großen Schlaglöcher fahren muss. Er meinte, ich hätte körperliche Schmerzen. Und Hannu Mikkola hat in unserer Audi-Zeit die Safari-Rallye gewonnen, weil er einfach vom ersten bis zum letzten Meter Vollgas gefahren ist. Ich bin um jedes Schlagloch so gut es ging herumgefahren. Und wurde Zweiter.
Röhrl: Weil ich das nicht tun kann. Es hatte aber auch sein Gutes: Ich bin weniger ausgefallen als andere.
Röhrl: Bei Fiat waren wir mit fünf Werksautos unterwegs. Also fünf Teams beim Trainieren. Am Wochenende sind wir Trial gefahren, die Italiener haben ihr Frauen mitgebracht. Wir waren wie eine Familie.
Röhrl: Vorbei mit lustig. So etwas geht nicht mehr. Die fahren zwei Mal über ihre Prüfungen. Aus. Früher konntest du trainieren, so lang du Lust und Zeit hattest. Da gab's Leute, die sind 15 Mal drüber gefahren. Der Jean-Claude Andruet zum Beispiel hat vier Monate für die Monte Carlo trainiert. Er ist Wertungsprüfungen in Zwei-Kilometer-Abschnitten abgefahren, und das zehn Mal hintereinander. Heute ist das verboten.
Röhrl: Ich war trainingsfaul, das gebe ich zu. Wenn trainiert wurde, hatte ich nichts anderes als das Auto im Kopf. Ich bin morgens um 8 Uhr ins Auto gestiegen und abends um 8 Uhr ausgestiegen. Den ganzen Tag habe ich mir nur gedacht „Die Kurve musst du dir merken, das musst du dir merken . . .
Röhrl: Zu jeder Epoche gab es tolle Autos. Der Ford Capri, ein Traumauto. Damit waren wir schneller als der Renault Alpine 110. Da verdiente ich zwar nur 500 D-Mark im Jahr, aber das war trotzdem wie ein Sechser im Lotto.
Röhrl: Es folgte der Vertrag bei Opel. Zuerst der Commodore, wobei der Capri mehr Kraft hatte. Der Opel war nervöser, ich bin aber mit ihm gleich die Monte Carlo gefahren. Nachteil: zwei Mal gebremst, schon war das Pedal im Bodenblech. Wegen fehlender Bremsleistung haben wir uns von Schneemauer zu Schneemauer, von Felswand zu Felswand gehangelt.
Röhrl: Als Opel merkte, der Commodore kann es nicht sein. 1974 wurde ich im Ascona A Rallye-Europameister, 1975 habe ich in Griechenland den ersten WM-Lauf gewonnen.
Röhrl: Emotional der Lancia Stratos. Aber der war nur für Monte Carlo und San Remo, also kurvenreiche Straßen, gemacht. Auf den anderen Strecken war er schwer zu fahren. Bei Tempo 200 auf Waldwegen musstest du nur am Lenkrad korrigieren.
Röhrl: Für das Alltagsleben ist nur ein Auto mit Allrad ein perfektes Auto. Aber – auch wenn jetzt viele sagen, der Röhrl spinnt – die hohe Schule des Rallyefahrens war der Zweiradantrieb. Da musstest du das Gefühl haben, wie viel Kraft du einsetzen kannst, dass es vorwärts geht. Für dieses Fahren war der Lancia Rallye 037 der Beste.
Röhrl: Ein S1 ist was ganz anderes. Bei 530 PS auf Schotter Vollgas – und du wirst nach vorne katapultiert. Das ist nicht das elegante Autofahren. Du musst nur kämpfen, dass es in die richtige Richtung geht.
Röhrl: Allrad, 320 PS, viel bessere Bremsen und Fahrwerke. Dazu sind die Rallyes ganz anders: Es gibt nur noch kurze Wertungsprüfungen. Da müssen die Jungs ab dem ersten Meter Vollgas geben. Taktieren gibt es nicht mehr. Ein Dreher bedeutet, dass du nicht mehr gewinnen kannst.
Röhrl: Ja. Und toll. In Kanada zum Beispiel gab es Wertungsprüfungen mit 160 Kilometern, nur Schotter. 160 km! Da war ich schon mal drei Minuten schneller als der Zweite.
Röhrl: Ich war konditionell gut drauf. Vom Skifahren, vom Rudern. Motorsportler haben damals nichts gemacht, da gab's kein Fitnesstraining. Viele waren Naturtalente beim Fahren. Aber bei 160 Kilometern merkst du es dann schon, da lässt dann irgendwann die Konzentration nach. Das war toll. Oder Argentinien. 120 Kilometer Wertungsprüfung, davon 80 Kilometer bergab.
Röhrl: Heute sind es Sekunden, Zehntelsekunden. Ich wäre traurig, vielleicht würde ich auch depressiv werden. Ich habe diese Minuten gebraucht.
Röhrl: Nein, ich weiß, um wieviel sicherer moderne Rallyeautos sind. Ich denke nur an 1984, an meinen Unfall im Audi quattro. An einer Stelle, die laut Aufschrieb trocken sein müsste, stand wegen eines verstopften Kanals das Wasser auf der Straße. Mit 170, 180 km/h komm ich an, fliege über die Mauer, 50 Meter den Berg rauf, nach 150 Metern zurück auf die Straße. Dem Christian hat nichts gefehlt, ich hatte mir den Kopf angeschlagen. 60 Minuten lag ich im Auto. Bis der Doktor da war. Irgendwann später sagst du schon, „was habe ich da gemacht“? Aber daran denkst du nicht, du glaubt ja nicht, dass du einen Unfall haben wirst.
Röhrl: Der Fan reist nicht mehr, bleibt an einer Stelle stehen und wartet drauf, dass die Autos drei Mal vorbeikommen. Zu unserer Zeit waren die meisten Zuschauer pfiffiger, mussten mit Karten den besten Weg aussuchen, auf dem sie möglichst viele Wertungsprüfungen anschauen konnten.
Röhrl: Weil ein Sport heute nur überleben kann, wenn er im Fernsehen stattfindet. Aber Rallyes sind auch umweltfreundlicher als früher. Nur würdigen dies zu wenige.
Röhrl: Ich glaube, zehn Jahre reichen nicht. Natürlich müssen wir anfangen. Ich glaube, in der Stadt hat das Elektroauto seine Berechtigung – solang die Kapazitäten der Batterien nicht besser sind. Im Rallyesport wird sicher eines Tages ein alternativer Antrieb den Verbrennungsmotor ablösen.
Röhrl: Zuerst die Autos leichter machen. Dann brauchen wir Batterien mit vernünftiger Kapazität. Und wenn die Rallyes noch kürzer werden, geht das mit Elektroautos vielleicht schon bald. Und nach jeder Wertungsprüfung wird die Batterie gewechselt. Aber so ganz bereit ist die Welt für Elektroautos noch nicht. Bei der Niederbayern-Rallye bin ich mit dem Audi S1 gefahren, und die Leute waren begeistert. Da muss unsere Generation erst ausgestorben sein, und die Kinder von heute müssen mit Elektroautos groß werden und es dann halt nicht anders kennen.
Walter Röhrl
Walter Röhrl, geboren am 7. März 1947 in Regensburg, wohnt in St. Englmar im Bayerischen Wald. Er ist verheiratet mit Monika. Röhrl ist Repräsentant der Firma Porsche, abgesehen von historischen Rennen nimmt er an keinem Wettbewerb mehr teil. Röhrl war zwei Mal Rallye-Weltmeister (1980/Fiat und 1982/Opel) und gewann vier Mal die Rallye Monte Carlo – auf vier verschiedenen Fabrikaten: Fiat (1980), Opel (1982), Lancia (1983) und Audi (1984). Der Bayer wurde x-fach ausgezeichnet, unter anderem zum „Rallyefahrer des Jahrhunderts“ gewählt.