Mit drei Medaillengewinnern der WM von 2021 war das deutsche Speed-Team nach Courchevel und Méribel angereist, mit leeren Händen reist es von dort wieder ab. Fast schon sinnbildlich, wie Thomas Dreßen nach der Abfahrt am Sonntag durch den Zielraum humpelte. Als Zehnter war er trotz diverser gesundheitlicher Probleme im Vorfeld noch der Beste des DSV-Quartetts. Er habe sich nichts vorzuwerfen, sagte er folgerichtig. Das inzwischen schon mehrfach operierte Knie "tut brutal weh. Ich habe alles rausgeholt, was im Moment drin ist." Bei einem Sturz im Training hatte er sich vergangene Woche das lädierte Gelenk geprellt. "Da stehst du die ganze Zeit drauf beim Fahren, da landest du bei jedem Sprung drauf", erklärte Dreßen. Zwei verschiedene Schmerzmittel habe er nehmen müssen, um überhaupt starten zu können. Als Ausrede wollte er das aber nicht verstanden wissen. "Die anderen waren einfach besser."
Das ist auch das ernüchternde Zwischenfazit der WM in Frankreich, ehe in deren zweiter Woche nun die technischen Disziplinen auf dem Programm stehen. In der Abfahrt der Frauen hatte am Samstag auch die Vize-Weltmeisterin von 2021, Kira Weidle, nichts mit der Medaillenvergabe zu tun und wurde Achte. Gold ging überraschend an die Schweizerin Jasmine Flury, vor Nina Ortlieb (Österreich) und Corinne Suter (Schweiz).
Odermatt zeigt eine beeindruckende Reaktion
Vom Niveau der besten Fahrer und Fahrerinnen sind die Deutschen derzeit größtenteils weit entfernt. Im Fall des neuen Abfahrtsweltmeisters Marco Odermatt aus der Schweiz galt das aber auch für den Rest des Teilnehmerfeldes. Der Überflieger dieses Winters hatte unter der Woche im Super-G völlig überraschend nur den vierten Platz belegt und zeigte am Sonntag eine beeindruckende Reaktion. Mit traumwandlerischer Sicherheit balancierte er auf dem schmalen Grat zwischen gerade noch kalkulierbarem Risiko und Wahnsinn. Dem favorisierten Aleksander Aamodt Kilde nahm er fast eine halbe Sekunde ab und verwies den Norweger auf den zweiten Platz, Bronze holte Alexander Cameron (Kanada).
Aus dem deutschen Lager konnte nur Dreßen einigermaßen zufrieden aus Courchevel abreisen. In seiner Comeback-Saison nach fast zweijähriger Pause arbeitet sich der 29-Jährige Schritt für Schritt wieder an die Spitze heran. Auch ein Sturz im Training und ein Magen-Darm-Virus konnten ihn nicht aufhalten. "Freilich war der ein oder andere Fehler drin", kommentierte er seine Fahrt. "Aber wenn man nichts riskiert, kann man nichts gewinnen. Dann passieren halt Fehler. Es ist ja nicht weit zu einer Medaille." Für ihn sei es gut zu sehen, dass das Fahrerische passe. "Ich bin wieder auf dem Weg dahin, wo ich hinwill und wo ich hingehöre. Aber es braucht Arbeit und Geduld."
Odermatt gelingt die perfekt Fahrt
Für den Weltmeister Odermatt hatte Dreßen nur lobende Worte übrig. "Ich freue mich für ihn. Er hatte so einen Druck. Im Super-G hat man ihm das angesehen." In der Abfahrt allerdings blieb der Schweizer cool. Die 3100 Streckenmeter und knapp 1000 Höhenmeter absolvierte er atemberaubend spektakulär. Odermatt selbst blieb da nichts anderes übrig, als von einer "perfekten Fahrt" zu sprechen. Im Ziel habe jeder seine Erleichterung sehen können. Die Erwartungen an den 25-Jährigen sind in dessen Heimat gigantisch. "Natürlich wollte ich unbedingt eine Goldmedaille in den zwei Wochen hier gewinnen. Im Super-G war die größte Chance dafür.“ Er sei zwar nicht so enttäuscht gewesen, wie alle gedacht hatten, "aber alles wäre einfacher für mich gewesen, dort gleich zu gewinnen".
Weit davon entfernt, sich solche Gedanken machen zu müssen, waren die deutschen Speedfahrerinnen und -fahrer. Bestenfalls besonders mutige Experten hatten Dreßen oder den Wahl-Allgäuer Sander (der Vize-Weltmeister von 2021 wurde diesmal nur 29.) als Geheimfavoriten auf dem Zettel. Sie lagen weit daneben. Die Hoffnungen des DSV, das selbst gesteckte Ziel von zwei Medaillen noch zu erreichen, ruhen nun auf den Technikern. Deren erste Chancen sind am Dienstag die beiden Parallel-Wettbewerbe.