Von der A-Klasse bis zum WM-Finale war alles dabei. Vorsichtig geschätzt sind es mindestens 750 Fußballspiele, die ich in über 40 Jahren als Reporter für diese Sportredaktion besucht und darüber berichtet habe. Natürlich waren auch manches schlechte, langweile Spiel darunter, aber die Faszination für diesen Sport und dafür, wie viele Menschen er bewegt, hat nie nachgelassen. Im November verabschiede ich mich aus der Redaktion und wechsle in die passive Phase der Altersteilzeit. Ich war Leiter der Schweinfurter Sportredaktion und lange Jahre stellvertretender Sportchef. Und als Autor habe ich mich auch mit vielen anderen Themen beschäftigt. Aber dominiert hat der Fußball.
Bei einem meiner ersten Termine überhaupt traf ich Fritz Walter, dessen 100. Geburtstag gerade gedacht worden ist. Ich fand es unwürdig, dass einer der größten deutschen Fußballer auf seine alten Tage noch als Verkaufsrepräsentant für Pfälzer Wein unterwegs sein musste. Aber erstens war Walter damals noch gar nicht so alt, er kam mir Jungspund nur so vor. Und zweitens war das Reisen und Verkaufen für ihn ganz normal. Die Legende reagierte ausgesprochen freundlich auf meine spontane Interview-Anfrage, und so wurde es im Hinterzimmer eines Schweinfurter Einkaufszentrums zwischen vielen Weinkartons ein interessantes Gespräch.
Eine explosive Mischung in Schweinfurt
Im Laufe meines Berufslebens durfte ich drei besondere Fußball-Klubs intensiv begleiten: den FC Schweinfurt 05, Bayern München und den 1. FC Nürnberg. Die längste Zeit, unterm Strich über 20 Jahre, habe ich mit den Nullfünfern verbracht. Ein stolzer, immer ambitionierter Verein, ein emotionales Publikum und ein Journalist mit einem kritischen Ansatz – das war manchmal eine explosive Mischung. Aber Kritik und auch Konfrontationen mit den Verantwortlichen muss man aushalten können als Fußball-Reporter. Das Bemühen, nah dran zu sein, war für mich immer mit professioneller Distanz verbunden. Nicht jedem gefiel das.
Mit dem FC 05 bin ich im Laufe dieser langen Zeit zwei Mal hinunter in die Landesliga gegangen (1983 und 1985), aber auch zwei Mal in die 2. Bundesliga aufgestiegen (1990 und 2001). In allen vier Fällen betrug die Verweildauer in der Spielklasse nur ein Jahr. Bitter war die Saison 2004/2005, meine letzte als 05er-Reporter. Die Schweinfurter Mannschaft hatte eine großartige Rückrunde in der damals drittklassigen Regionalliga Süd gespielt, doch dann kam der Lizenzentzug, der letztlich die jahrelange Berichterstattung über finanzielle Ungereimtheiten bestätigte. Aber trotzdem war das Aus im Profibereich für mich eine herbe Enttäuschung, weil die sportliche Perspektive vielversprechend gewesen wäre.
Mit blutgetränktem Kopfverband zwei Tore
Der FC Bayern und der Club haben mir gemeinsam das erste Großereignis beschert, über das ich als Jungredakteur berichten durfte: das legendäre DFB-Pokal-Finale 1982 in Frankfurt, allgemein bekannt als das Turban-Spiel. Zur Pause hatte Außenseiter Nürnberg mit 2:0 geführt, doch die Münchner siegten noch mit 4:2 und Dieter Hoeneß erzielte mit blutgetränktem Kopfverband dabei zwei Treffer. Natürlich stand ein Turban-Bild am Montag groß auf der Seite. Nach dem Abpfiff interviewte ich den enttäuschten Nürnberger 2:0-Schützen Werner Dressel, einen Unterfranken, und zwar mitten auf dem Rasen des Waldstadions. Das waren noch paradiesische Zeiten für die schreibende Zunft, weil es einfach weniger Medienauflauf gab. Heute bekommen wir unsere Statements in den Katakomben – aber erst, wenn die zahlenden Lizenznehmer Fernsehen und Radio versorgt sind.
Über die Bayern habe ich regelmäßig geschrieben, ganz intensiv begleitete ich sie ab den Jahren des Titel-Zweikampfs mit Borussia Dortmund und vor allem in den drei Spielzeiten mit Pep Guardiola. Welche Euphorie die Verpflichtung des als weltbester Trainer geltenden Spaniers – auch bei mir – auslöste, ist mit etwas Abstand nicht mehr ganz nachzuvollziehen. Pep revolutionierte das Münchner Spiel zwar und war ungemein charismatisch, aber auch unnahbar und ein Kontrollfreak.
Über Bayern-Spiele zu berichten, bedeutet meist, diesen Sport auf höchstem Niveau zu erleben. Das ist reizvoll, wenn man sich wie ich als Fußball-Ästhet versteht, der dem schönen Spiel anhängt. Ein Bayern-Fan, wie ich das gelegentlich hörte, bin ich nicht – aber durchaus ein Sympathisant. Immerhin begann mein Interesse am Profifußball damit, dass ich mir als Zehnjähriger ein „Bild“-Sonderheft über das erste Bayern-Double 1969 kaufen durfte.
Zwei Champions-League-Endspiele mit den Bayern habe ich live vor Ort erlebt. Beide – 2010 in Madrid gegen Inter Mailand und 2012 in München gegen den FC Chelsea – gingen verloren. So richtig verstanden, dass das „Finale dahoam“ tatsächlich in die Binsen gegangen war, habe ich erst Tage später. Die Kritik an Chelsea, sich mit Antifußball den Sieg erschlichen zu haben, empfand ich allerdings sofort als Blödsinn.
In den letzten drei Jahren habe ich mich als Reporter um den 1. FC Nürnberg gekümmert. Auch ein Verein, bei dem immer etwas los ist. Die fränkischen Fans sind Kummer gewöhnt, ihren Pessimismus kann ich nun besser verstehen. Ich startete mit der schönen Aufstiegssaison unter Trainer Michael Köllner. Danach wurden Niederlagen zwei Jahre lang zum Standard. Das war nicht so lustig, denn Journalisten – obwohl man uns gerne das Gegenteil unterstellt – schreiben auch gerne mal was Positives. Fabian Schleuseners rettendes Tor zum Klassenerhalt in der Nachspielzeit in Ingolstadt war im Juli einer jener emotionalen Momente, die diesen Beruf so besonders machen. Ich ertappte mich sogar dabei, mit einer hochgestreckten Faust aufgesprungen zu sein.
Als Festnetztelefon und Faxgerät noch im Einsatz waren
Was hat sich für Sportreporter verändert in vier Jahrzehnten? Alles natürlich – und das gleich mehrfach, wie in der Arbeitswelt der meisten Menschen. Als ich als Volontär in Schweinfurt anfing, war gerade das Faxgerät aufgekommen, das es ermöglichte, Texte am Abend noch aktuell in der Würzburger Zentrale erfassen zu lassen. In Bleisatz, der ansonsten schon am Nachmittag von Boten aus den verschiedenen Verlagsorten in Koffern zur Druckerei gefahren wurde. Im Fußball gab es kaum Abendspiele und wenn, dann gab man im Stadion über ein Telefon, dessen Installation vorher eigens zu bestellen war, Stichpunkte durch, die ein Kollege in der Redaktion ausformulierte.
Mit dem Handy wurde alles leichter. Der Eintritt ins digitale Zeitalter brachte perfekte Möglichkeiten, aber auch mehr Zeitdruck für die Reporter, ihre Texte zügig und umfangreich zugleich abzuliefern. Online musst du schnell sein, und im Print gibt es noch immer enge Schlusszeiten. Spätabendspiele, die kurz vor Schluss noch im Ergebnis kippen wie kürzlich das Nürnberger Heimspiel gegen Darmstadt, erfordern deshalb am Laptop im Stadion gute Nerven, wenn der Text eigentlich mit dem Abpfiff fertig sein soll. Die guten Nerven hatte ich meist, zum Glück – so lange die Technik nicht streikte.
Das Schöne am Sportjournalismus ist für mich auch, dass er im Gegensatz etwa zum Politik-Ressort, das Meinungsbeiträge stets kennzeichnet, häufig subjektiv ist, ja subjektiv sein muss. Schließlich lässt sich ein Fußballspiel immer von mindestens zwei Warten aus beurteilen: der von Mannschaft A und der von Mannschaft B. Dass es die Struktur des Fußballs im Unterschied zu anderen Sportarten möglich macht, dass sehr häufig nicht der Bessere gewinnt, bringt entscheidende, zusätzliche Würze.
Mir war immer wichtig, dem Leser einen Standpunkt anzubieten. Mit harscher Kritik war ich sicher freigiebiger, als ich jünger war. Was vielleicht weniger mit Altersmilde zu tun hat als mit der Erfahrung, dass sich harte Urteile einmal veröffentlicht nicht mehr zurücknehmen lassen. Profis, die auf dem Platz ihrem Beruf nachgehen, unterlagen für mich zudem immer einer anderen Bewertung als Freizeitkicker, deren Belastungen außerhalb des Platzes man nicht kennt.
Es gibt Entwicklungen, die ich sehr kritisch sehe. Die Vereine haben die Regie über ihre Außendarstellung längst selbst übernommen. Neuigkeiten verkünden sie über ihre Homepage. Sie suchen die Spieler aus, die befragt werden können, ob nach den Spielen oder in Interviews, die dann im schlechten Fall auch noch geglättet werden, bevor man sie freigibt. Durch Corona gab es nur noch Videoschalten statt direkter Kontakte. Ich fürchte, manche Vereine werden das, auch wenn es wieder möglich wäre, nicht mehr vollständig zurückfahren. Insgesamt versucht der Fußball, sich als Hochglanzprodukt zu inszenieren und keine Ansätze für kritische Berichterstattung zu liefern. Aber die gibt es, man muss sie nur manchmal mehr suchen als früher. Im Internet laufen Aufmerksamkeit heischende Häppchen fundierten Reportagen und Analysen häufig den Rang ab.
Wunderbares mit dem Ball
Was mir zudem missfällt, ist die extreme Kommerzialisierung des Profifußballs; die Unsummen, die unterwegs sind und die Machenschaften, die damit verbunden sind. Aber ganz ehrlich: wenn in der Champions League die K.o.-Runden anstehen und man wieder einmal staunend erlebt, was die Besten ihrer Zunft Wunderbares mit dem Ball anzufangen wissen, dann vergesse ich die Enthüllungen von „Football Leaks“ für einen Moment gerne.