
Blondgesträhnte, kurze Haare lugen unter dem schweren, tarnfarbenen Schutzhelm hervor. Kleine Perlenohrringe leuchten mit dem grünen Lärmschutz in den Ohren um die Wette. Sorgfältig unauffällig manikürte Fingernägel am Abzug des G36-Gewehrs. Ein gedämpfter Knall. Ein zweiter. Ein dritter. Drei Schuss, drei Treffer. Laden. Zielen. Schießen. So aufgeregt Obergefreite Milena Sprott vor ihrem ersten Schießen war, so selbstverständlich ist es inzwischen für die 27-jährige Würzburgerin. Nach sieben Monaten bei der Bundeswehr. Nach sieben Monaten Kasernenluft und Uniform. Nach sieben Monaten, die ihr Leben nachhaltig prägten. Doch der Reihe nach.
Eine Frau beim Bund, das ist bei einer Frauenquote von derzeit rund zwölf Prozent keine Besonderheit mehr. Von den rund 181 000 Menschen, die derzeit bei der Bundeswehr Dienst leisten, sind rund 22 000 Frauen. Ein Höchststand in der Geschichte der Bundeswehr. Allein in der Balthasar-Neumann-Kaserne in Veitshöchheim sind etwa 1200 Frauen im Einsatz, so die Pressestelle der 10. Panzerdivision.
Und dennoch, die Geschichte von Milena Sprott ist eine, die nicht alltäglich ist. Als sich die heute 27-Jährige freiwillig für die Bundeswehr entschied, stand sie mitten im Leben. Sie lebte in einer eigenen Wohnung, hat nach dem Abitur eine duale Ausbildung als Einzelhandelskauffrau absolviert und arbeitete seit 2014 als Filialleiterin in einer Würzburger Drogerie. So weit, so gewöhnlich. Angekommen, könnte man ihre Situation nennen. Doch für Milena Sprott hat es sich noch nicht so angefühlt. Sie wollte mehr. Abenteuer. Etwas anderes erleben.
Viele, die so empfinden, machen ein "Work & Travel"-Jahr, schlagen sich mit Gelegenheitsjobs in Australien, Asien oder anderen fernen Ländern durch - meist direkt nach der Schule oder im Studium. Selten, wenn sie schon fest in der Berufswelt etabliert sind. Obgleich es keine statistischen Erhebungen darüber gibt, wie viele der rund 1700 freiwillig Wehrdienstleistenden der 10. Panzerdivision, aus einem festen Arbeitsverhältnis zur Armee gewechselt sind, bewertet die Pressestelle Milena Sprott doch als "besonderen Einzelfall".
Seit Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 können Männer und Frauen für bis zu 23 Monate freiwillig Wehrdienst leisten. Vorausgesetzt sie haben die Schulpflicht erfüllt und mindestens das 17. Lebensjahr vollendet - nicht Volljährige benötigen das Einverständnis der Eltern. Insgesamt leisten laut den aktuellen Zahlen von Ende 2017 fast 8800 freiwillig ihren Wehrdienst.

Im vergangenen Jahr entschied sich Milena Sprott für ihr Abenteuer auf Zeit – in Deutschland: Sie trat im August 2018 ihren freiwilligen Wehrdienst bei der Bundeswehr an. Bei der Entscheidung half, dass ihr befristeter Arbeitsvertrag auslief und zunächst nicht klar war, ob er verlängert werden würde. Für Sprott war das der so oft zitierte Wink des Schicksals. Sie bewarb sich bei der Bundeswehr und erhielt eine Zusage. "Ich wollte erst einmal schauen, wie mir das Soldat-sein gefällt", erklärt sie fast entschuldigend, weshalb sie sich erstmal für eine relativ kurze Zeit bei den Streitkräften entschieden hat.
Familie und Freunde waren von den Bundeswehr-Plänen zunächst überrascht
Schon als die Bundeswehr vor vielen Jahren zur Nachwuchswerbung einen Vortrag in ihrer damaligen Schule hielt, war das Interesse geweckt. Und das obgleich Milena Sprott in einer Familie aufwuchs, die dem Kriegsdienst skeptisch gegenübersteht. "Mein Großvater war Kriegsgefangener in Russland und hatte daher nicht so einen guten Bezug zur Bundeswehr. Das prägt das Bild in der Familie."
Doch nicht nur die Familie, auch ihre Freunde waren angesichts der Bundeswehr-Pläne verwundert. "Bist du dir sicher, dass du das willst?", wurde die junge Frau mehr als einmal gefragt. Sie war sich sicher. Sie wollte über den Tellerrand hinausschauen, neue Erfahrungen sammeln und bis an ihre Grenzen gehen. "Mich selbst ausprobieren und schauen, wie weit ich gehen kann." All das waren Aspekte, die Milena Sprott für sich selbst beantworten wollte - und die letztlich auch ihre Familie und Freunde überzeugten.
Dass sie auch in Krisenregionen eingesetzt werden kann, dass sie in bestimmten Situationen nicht nur zu Übungszwecken schießen muss, dass sie möglicherweise sogar auf Menschen zielen muss, auch mit diesen Gedanken hat sich die junge Frau beschäftigt. Denn grundsätzlich können auch freiwillig Wehrdienstleistende bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilnehmen und in Krisensituationen eingesetzt werden. Auch beim Schießtraining war ihr dieser Gedanke gegenwärtig. "Die Waffe ist schließlich geladen. Man kann damit jemanden töten." Ihre Entscheidung hat dieses Wissen jedoch nicht geändert.
Von Nagellack und Shampoos zu Nachtmarsch und Uniform - der 27-Jährigen fiel die Umstellung nicht schwer. Sie bewarb sich bei den Gebirgsjägern und wurde im vergangenen Sommer für ihre Grundausbildung in Bischofswiesen (Lkr. Berchtesgaden) stationiert. "Ich halte mich gerne in der Natur auf und durch Urlaube in meiner Kindheit in Österreich habe ich einen persönlichen Bezug zu den Bergen." Sie war überwältigt, als sie das erste Mal die Kaserne betrat. "Von einem auf den anderen Tag war ich Soldat. Das war wie das Eintreten in eine fremde Welt." Das erste Mal auf die Stube, das erste Mal im Gleichschritt marschieren, das erste Mal in Uniform. "Aber an dem Tag waren es 30 Grad, so schön war es dann auch wieder nicht", sagt sie und lacht wie so oft, wenn sie von ihren Erlebnissen bei der Bundeswehr erzählt.
Ein Gefechtsmarsch mit voller Ausrüstung ist keine Bergwanderung
Für naiv- romantische Vorstellungen vom Urlaub in den Bergen blieb zwischen Nachtmärschen und Bergaufstiegen mit 15 Kilo Gepäck keine Zeit. Ein Gefechtsmarsch mit voller Ausstattung von Rucksack über die Waffe bis zum Helm habe nichts mit einer gemütlichen Wanderung zu tun, dennoch denkt die Soldatin gerne daran zurück. "Da alle mitmachen, entsteht ein besonderer Teamgeist. Keiner bleibt zurück. Wenn ein Kamerad nicht mehr konnte, haben wir seine Ausrüstung getragen."

Die Herausforderungen brachten auch die 27-Jährige immer wieder an ihre Grenzen. Doch ans Aufgeben dachte sie nicht. Gerade sie wollte keine Schwäche zeigen. "Nur weil man als Frau zur Bundeswehr geht, heißt es nicht, dass man Bonbons bekommt. Da sind wir alle gleich, egal ob Frau oder Mann."
Sexistischen Sprüche habe sie keine einstecken müssen. Sie habe sich angepasst und als eine der Älteren im Freiwilligendienst auch gerne geholfen: "Einige männliche Kameraden hatten Defizite beim Schrank einräumen oder Betten machen. Da hatten wir Vorteile, konnten ihnen zeigen, wie das geht. Teilweise auch auf Befehl vom Zugführer", erinnert sie sich. So ganz verschwunden scheinen die traditionellen Rollenbilder auch bei der Bundeswehr noch nicht.
Drei Monate dauerte die Grundausbildung bei den Gebirgsjägern. Und auch wenn Milena Sprott sich selbst als sportlich bezeichnet, verlangte ihr diese Zeit körperlich einiges ab. "Es ist Wahnsinn, was man erreichen kann, obwohl man eigentlich am Ende ist. Das ist eine Erfahrung, die ich bei längeren Bergmärschen oder Durchschlageübungen machen konnte." Oder beim Kleiderschwimmen. Die einzige Disziplin, bei der die Soldatin dachte, sie schaffe sie nicht. In kompletter Uniform musste sie mehrere hundert Meter schwimmen und sich am Ende im tiefen Wasser ausziehen. Klingt einfach, aber das Gewicht der schweren, nassen Kleidung zerrte die Soldatin immer wieder nach unten und der feste Stoff ließ sich nur schwierig abstreifen. "Das war das einzige Mal, dass ich gedacht habe: Warum mache ich das eigentlich."

In der Drogerie gab Milena Sprott als Filialleiterin den Ton an, nun war sie es, die Befehle entgegennahm. Das fällt nicht leicht, wenn man Führungserfahrung hat und mitten im Leben steht. Für Milena Sprott war das kein Hindernis. "Wenn man Probleme hat, sich anzupassen, sich unterzuordnen, dann hat man schlechte Karten, um die dreimonatige Grundausbildung erfolgreich zu bestehen." Augenzwinkernd fügt sie hinzu. "Ehrlich gesagt war es auch angenehm, mal für ein paar Monate die Verantwortung für Entscheidungen abzugeben."
Nach der Grundausbildung wurde Milena Sprott in die Balthasar-Neumann-Kaserne in Veitshöchheim (Lkr. Würzburg), Standort der 10. Panzerdivision und des Kommando Süd, versetzt und arbeitete dort in der Generalstabsabteilung 1, der Personalabteilung. Dienstreiseanträge, Krankmeldungen und Formulare, all das bearbeitete sie - selbstverständlich noch immer in Uniform - an ihrem Schreibtisch in dem funktional-unpersönlich eingerichteten Büro in der Kaserne. "Der organisatorische Bereich unterscheidet sich sehr stark von der Infanterie. Für mich war es aber eine bewusste Entscheidung, nach Veitshöchheim zu wechseln, und ich genieße es, diese andere, ruhige Seite kennenzulernen."
Nach sieben Monaten Rückkehr ins zivile Leben
Milena Sprott war Heimschläferin, kam regelmäßig zur Arbeit in die Kaserne, wo sie in einem Spind ihre Uniformen aufbewahrte. Ein bisschen Bundeswehr-Atmosphäre an einem sonst sehr zivil anmutenden Arbeitsplatz.
Fein säuberlich reihen sich die Ausgehuniform an den Tarnanzug der Gebirgsjäger, auf DinA4-Format zusammengefaltete Blusen liegen neben dem Schutzhelm und dem Esbit-Kocher. So alltäglich ihre Arbeit erscheint, ein Blick in ihren Spind zeigt, dass sie es nicht immer ist.
Nach sieben Monaten endete im Februar ihre Zeit bei der Bundeswehr. Noch bevor die 27-Jährige den freiwilligen Wehrdienst angetreten hat, verlängerte ihr die Drogerie ihren Arbeitsvertrag. Sie einigte sich zuvor mit dem Arbeitgeber darauf, dennoch den freiwilligen Wehrdienst für sieben Monate anzutreten zu können. "Es ist gesetzlich so geregelt, dass diejenigen, die freiwilligen Wehrdienst bei der Bundeswehr leisten und einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben, einen besonderen Kündigungsschutz genießen", erklärt sie.
Nun sind die sieben Monate vorbei. Und so sehr sie die Arbeit bei der Bundeswehr auch begeistert, Milena Sprott steht zu ihrem Wort. Für sie ist es keine Frage, dass sie wieder als Filialleiterin in der Drogerie einsteigt. Sorge vor der Rückkehr ins zivile Leben hat sie nicht. "Meine Arbeit als Filialleiterin macht mir wahnsinnig Spaß. Ich habe so viele Möglichkeiten, den Tag zu gestalten." Ihre Erfahrungen bei der Bundeswehr werden ihr zukünftig dabei helfen, da ist sie sich sicher. "Die Kommunikation untereinander oder auch die der Zugführer sowie die Organisation an sich, all das sind Punkte, die ich mitnehme. Und ich bin belastbarer geworden."
Trotz aller Vorfreude auf die Rückkehr ins zivile Leben, verlässt sie die Bundeswehr jedoch mit Wehmut. "Ich werde die Märsche vermissen, das körperliche Aktivsein aber auch meine Mädelstube und die Harmonie unter uns." Ein kleines Hintertürchen lässt sie sich offen. Sie hat sich für den aktiven Reservedienst beworben und wird ab kommenden Jahr für einige Zeit zur Bundeswehr zurückkehren, sei es als Personalerin in Veitshöchheim oder als Hilfsausbilder bei den Gebirgsjägern in Bischofswiesen. "Es wäre schade, die Uniform wieder komplett an den Nagel zu hängen und all das, was ich gelernt habe, nicht nutzen zu können, aber es gibt für mich ja die Möglichkeit, zu einer Reservedienstleistung einberufen zu werden."
Was meinen Sie: Sollte die Wehrdienstpflicht wieder eingeführt werden oder reicht eine Berufsarmee mit Freiwilligen wie Milena Sprott?