Ein Dorf im Grabfeld, umgeben von Hügeln und Wäldern, die Haßberge am Horizont. Wiesen und Felder, der Mais steht hoch. Weithin sichtbar der markante Kirchturm von St. Johannis. Es gibt den Faschingsverein Abschter Fosenöchter, Musikverein, Feuerwehr. Hier hatte die CSU bei der Europawahl noch satte 60 Prozent. Das alles ist Aubstadt, und wer als Gast in Unterfrankens fünftkleinste Gemeinde kommt, der sucht normalerweise Erholung und Stille. Doch damit wird es am Samstag vorbei sein.
Proppenvoll wird es werden und laut. Sehr laut. Um 14 Uhr wird auf der Schulsportanlage das erste Regionalliga-Heimspiel des Turn- und Sportvereins in der Vereinsgeschichte gegen Heimstetten angepfiffen. Die Fußballer des Dorfklubs haben sich kontinuierlich über viele Jahre nach oben gearbeitet und die Entwicklung im Mai mit der Bayernliga-Meisterschaft und dem Aufstieg gekrönt.
Es ist der größte Erfolg in der knapp 100-jährigen Vereinsgeschichte des 475 Mitglieder zählenden TSV, und jetzt, nur wenige Wochen später, ist die Vorfreude auf das Abenteuer Regionalliga riesig. Wer sich in dem Dorf mit seinen 738 Einwohnern umhört, der spürt das Kribbeln überall.
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Betont lässig geben sich die betagten Herren des Fanklubs "Die Widerwärtigen". Vier der insgesamt sechs Mitglieder werden am Samstag auf einer Bank auf der Nordseite ihre Lieblinge anfeuern. Ein Fan ist krank, einer verhindert. Seit 25 Jahren sind sie bei Heim- und Auswärtsspielen dabei, ohne sie ist der TSV kaum vorstellbar.
Als vor fünf Jahren mit Arthur Eppler ein Gründungsmitglied starb, durfte ein Abschter Fan nachrücken. "Mehr gehen nicht auf eine Bank", begründet Hans Rippel (76) diese Regel. Witzbold der Gruppe ("Kennste den...") ist Helmut Schuberth und mit 70 auch der Jüngste. Hinzu kommen Albert Scheller (76), Walter Scheller (74), Manfred Schuberth (74) und Wolfgang Kleinert (78). "Widerwärtig" sind die Herrschaften keineswegs, "aber der Name macht einfach mehr her als die ,Liebenswerten'", sagen sie. Und "widerwärtig" heißen sie auch, weiß Rudi Dümpert, einst Schuldirektor in Bad Königshofen sowie langjähriger TSV-Berichterstatter und Main-Post-Mitarbeiter, "weil sie sich nie einig sind, sich über jeden Fehlpass aufregen und dann räsonieren, eine Abschter Spezialität".
Aubstadt ist der nördlichste Verein der Regionalliga. Dort sind die anderen Klubs beheimatet:
Platzwart Walter Gerner ist drei Tage vor dem Spiel gegen Heimstetten mit seinem Grün noch nicht ganz glücklich, ein paar Stellen brauchen noch Pflege. "Etwas Besonderes mache ich für die Regionalliga nicht", sagt der 79-Jährige, der sich seit 1996 um das Spielfeld kümmert. In letzter Zeit ist er sehr oft im Stadion. "Ein Winzer will seinen Weinberg jeden Tag sehen. So ist es mit dem Platzwart und seinem Rasen auch", sagt der Rentner und tippt lächelnd ein 3:1, ehe er sich wieder an die Arbeit macht. Stadionsprecher Christian Abschütz freut sich schon wie ein kleiner Junge auf den ersten TSV-Heimtreffer, aufs Abspielen der Torhymne. "Noch weiß ich nicht, ob ich eine neue nehme, das wird meine Überraschung."
Wie die Einwohner, Ehrenamtliche und Funktionäre das erste Heimspiel tippen:
Rund 1000 Zuschauer werden gegen den TSV Heimstetten erwartet, "vielleicht auch deutlich mehr", wie der TSV-Vorsitzende Herbert Köhler insgeheim hofft. Es wäre der Lohn für eine Plackerei, wie sie nur eine verschworene Gemeinschaft wie jene in Aubstadt zu leisten imstande ist: Seitdem der Aufstieg feststeht, haben Freiwillige dafür geschuftet, damit die Auflagen für die vierte Liga erfüllt werden konnten. Rundherum wurden die Wege im Stadion gepflastert, Zäune hochgezogen, Gäste-, Sicherheits- und Presseplätze erneuert, Technik verbessert. Eine niedrige sechsstellige Summe genügte für den Umbau nur deshalb, weil kaum Aufträge vergeben wurden, stattdessen 35 Personen rund um die Uhr gewerkelt haben.
"Das Einzige, wo wir keinerlei Abstriche machen können, ist der Sicherheitsbereich. Aber hier hat sich Aubstadt richtig ins Zeug gelegt und tolle infrastrukturelle Arbeit geleistet. Das verdient allen Respekt," sagt Rainer Koch, der Präsident des Bayerischen Fußball-Verbandes und DFB-Vize. Er hat den TSV Aubstadt vergangenen Montag live in Schweinfurt gesehen, will sehr gerne auch zu einem Heimspiel ins Grabfeld kommen, "sofern es mein Terminkalender zulässt."
Bürgermeister Burkhard Wachenbrönner, einst selbst für den TSV in der Landesliga aktiv, hat schon des Öfteren über die Anschaffung eines Goldenen Buches nachgedacht, um Wichtiges darin festzuhalten – jetzt ist es so weit. "Noch warte ich auf die Lieferung", sagte er, "aber klar ist, dass der erste Eintrag unseren Fußballern vorbehalten ist". Der parteilose Ortsvorsteher ("Wir kriegen das ohne Parteien geregelt") ist mit Polizei, Feuerwehr und anderen Verantwortlichen in Sachen Verkehrskonzept beschäftigt, Probleme mit Anwohnern erwartet er nicht. "Zu 99,9 Prozent", wie er sagt. Hundertprozentig glaubt er an einen 2:1-Sieg gegen Heimstetten und den Klassenerhalt.
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Fragt sich, wie es kommt, dass in so einem kleinen Dorf so viel gute Kicker dem Leder nachjagen. Das Geheimnis ist, dass der Erfolg nicht auf schnellem Geld, sondern jahrelanger Aufbauarbeit beruht. 2008 hoch in die Landesliga, 2012 Bayernliga, jetzt Regionalliga: Trainer Joseph Francic, seit neun Jahren im Amt, hat um den neuen Kapitän Dominik Grader und Torjäger Martin Thomann ein Team geformt, das Rückschläge einfach zu ignorieren pflegt. "Das haben wir uns auch für die Regionalliga versprochen, das klappt sicher", betont Francic.
Für den Fall der Fälle ist ebenfalls vorgesorgt: 15 Spieler haben Verträge über zwei Jahre, "damit wir auch nächstes Jahr ein starkes Team haben, egal wie es jetzt ausgeht", frohlockt Abteilungsleiter Günther Schirling. Auch die Neuzugänge haben seit kurzem ein eigenes Fach für ihre Ausrüstung in der Kabine, die Peter Grunau mit deren Initialen beschriftet hat. Er wäscht seit zwölf Jahren die Trikots der Spieler und erledigt, was gerade anfällt. "Hier wird eben alles professioneller", sagt der Ehrenamtliche. "Und die Jungs eifern eben den Großen nach."
In einer früheren Fassung dieser Reportage war die Rede davon, dass Aubstadt die kleinste eigenständige Gemeinde in Bayern sei. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen. Es handelt sich um die fünftkleinste Gemeinde in Unterfranken. Bürgermeister Burkhard Wachenbrönner versicherte die irrtümliche Angabe, die diese Redaktion übernahm, auf der Webseite der Gemeinde zu ändern.