
Mein Trip in den Wald beginnt paradoxerweise mit einer chemischen Duftwolke. Auf einem Wanderparkplatz bei Ebrach (Lkr. Bamberg) stehe ich am Freitagnachmittag neben dem Auto und schmiere meine Haut mit Sonnencreme ein. Dann kommt die Chemiekeule: Anti-Mückenspray, flächendeckend. Meine Erfahrungswerte besagen: Entweder ich sprühe jeden Zentimeter ein, oder ich bereue es bald.
Sonnencreme und Mückenspray sind der kleinste Teil meiner Ausrüstung. Schlafsack und Zelt habe ich im Rucksack verstaut, vorne dran hängt die Isomatte. Wechselkleidung, Fleecejacke und Essen habe ich dabei, und natürlich den üblichen Kleinkram: Taschenmesser, Zahnbürste, Blasenpflaster . . . Dazu zwei Flaschen Wasser. Ich habe viel zu tragen, aber noch bin ich optimistisch. Beim ersten Aufsetzen ist der Rucksack nie so schwer wie am späten Nachmittag. Und immer, wenn ich in meine Wanderstiefel schlüpfe, hüpft mein Herz ein wenig, weil mich irgendetwas nach draußen lockt.

Also los. Wie jeder Wanderer und jede Wanderin habe ich meinen eigenen Rhythmus. Die Wanderstöcke klackern, der Kies knirscht unter jedem Schritt, meine Edelstahlflasche, in der das Wasser vor- und zurückschwappt, quietscht am Karabiner. So geht es nun elf Kilometer lang durch den Wald auf breiten, geschotterten Wegen. Nur kurz vor Oberweiler, einem kleinen Ortsteil von Burgwindheim, muss ich ein Stück Landstraße entlang gehen. Am Ortsende biege ich auf einen Feldweg ab Richtung Wald. Unterwegs begegne ich fast niemandem. Nur drei jungen Männern, die auch Zeltausrüstung dabei haben. Später werde ich sie auf dem Trekkingplatz wiedersehen.
Ordentliche Waldwege durch einen ungezähmten Wald
Hinter Oberweiler trotte ich weiter auf ähnlichen ordentlichen Waldwegen. In meinem Kopf ist es weniger geordnet: Ich denke über die Arbeit nach, ob ich dieses oder jenes richtig hinterlassen habe, über To Dos auf der nie endenden mentalen Liste. Immer wieder rufe ich mich in die Gegenwart zurück. Nur so höre ich die Vögel im Gebüsch schnattern und in den Wipfeln singen. Nur so sehe ich die zahllosen Schmetterlinge. Auf dem Rückweg werde ich viel entspannter sein, viel aufmerksamer - und einen Bussard sehen.
Der Wald hier ist kein aufgeräumter Wirtschaftswald mit akkuraten Fichtenreihen. Stattdessen: zerfallendes Holz, abgebrochene Äste, einzelne entwurzelte Bäume mit einem Durchmesser von gut eineinhalb Metern. Grashüpfer bringen sich springend vor meinen Stiefeln in Sicherheit. Manchmal duftet es nach Nadelbäumen und feuchtem Laub. Es ist warm, sehr warm, die Luft steht. Unter dem dichten Walddach ist es fast drückend schwül.

Immer wieder kontrolliere ich auf der Wanderkarte, dass ich noch richtig unterwegs bin. Der Weg zum Trekkingplatz ist nicht ausgeschildert. Einmal biege ich falsch ab. Das ist mir noch nie passiert, aber da stehe ich nun. Der Weg stimmt plötzlich nicht mehr mit dem auf der Karte überein. Mein Puls steigt kurz, jetzt sollte ich mich nicht verlaufen. Auf einmal ist mir sehr bewusst, dass ich alleine mitten im Wald stehe und es bald dunkel wird. Per GPS-Signal und Offline-Karte finde ich mit dem Smartphone heraus, wie ich auf meine geplante Strecke zurückkomme. Dann geht es nur noch geradeaus. Auf den immer gleichen und ordentlichen, fast schon langweiligen Waldwegen.
Ankommen auf dem Trekkingplatz
Kurz vor Acht komme ich endlich auf dem Trekkingplatz "Lindach" an. Die drei jungen Männer, die ich unterwegs gesehen hatte, ruhen sich in der hölzernen Schutzhütte aus. An der Feuerstelle sitzen auf einfachen Holzbänken Erik, Tina und ihr Freund Anders. Ihre Zelte stehen bereits, sie essen Couscous und Dosenchili. Ich sage kurz hallo und spute mich, mein Zelt auch aufzubauen. Im Dunkeln würde das wenig Spaß machen.
Ganz alleine werde ich heute Nacht also nicht sein. Damit habe ich schon gerechnet. Alle Gäste buchen ihre Übernachtung hier auf dem Trekkingplatz online im Voraus. Auf der Buchungswebseite sieht man, wie viele Plätze noch frei sind. Alleine hier zu zelten wäre aufregender, gefühlt ein wenig gefährlich. Mit den anderen Campern fühle ich mich absolut wohl, vor allem, nachdem wir uns etwas kennengelernt haben.
Brotzeit und Plauderei
An einem kleinen Feuer sitzen wir zu viert zusammen und genießen die Ruhe. Ich bin froh, endlich die Schnürsenkel lockern zu können und meine Brotzeit zu essen. Meine Füße sind schwer. Wir unterhalten uns über unsere Pläne für den nächsten Tag. Und darüber, dass es hier "deutlich schöner als auf jedem Campingplatz ist", wie Tina sagt. Es ist angenehm, hier so zu sitzen, auszuruhen und auch mal zu schweigend und einfach die brennenden Äste zu betrachten. Beruf, Status, Besitz - all das spielt für den Moment keine Rolle.

Als es schon fast stockdunkel ist, blendet plötzlich gleißendes Licht. Zwei Mountainbike-Fahrer radeln auf den Platz und fragen in breitestem Fränkisch, ob jemand Bier dabei hat. Eine etwas absurde Situation. Wir müssen sie ohne das erhoffte Wegbier ziehen lassen. Gegen zehn haben auch die drei Jungs ihr Zelt aufgebaut und kommen zu uns ans Feuer. Nick, Ricco und Daniel fangen an Essen zu machen, ihr Gaskocher faucht unter dem Topf mit Gnocchi und Pilzrahmsoße.
Auch in der Nacht ist es noch warm
Ab halb elf leeren sich die Plätze um die Feuerstelle langsam. Meine Stirnlampe leuchtet mir den Weg zum Zelt, ich klettere in den Schlafsack. Die Außenplane schlage ich zurück, damit frische Luft durchs Mückennetz hineinkommt. Es ist immer noch ziemlich warm.
Es dauert lange, bis ich wirklich zur Ruhe komme. Ich höre das Kochgeschirr der Jungs scheppern, Stimmen vom Lagerfeuer, Plastikflaschen knacken laut. Hin und wieder rauscht ein Flugzeug irgendwo weit über mir. Irgendwann liegen alle still in ihren Zelten. Um den Platz herum zirpen Grillen und Grashüpfer. Ich nicke ein.
Ein lauter Vogelschrei reißt mich wieder aus dem Schlaf. Eine Eule? Ich schaue mich verschlafen um. Von meinem Platz direkt am Fliegengitter aus kann ich den klaren Himmel direkt über mir sehen. Ich sehe unzählige Sterne leuchten, eine Sternschnuppe flitzt im Augenwinkel vorbei. Wie hypnotisiert starre ich nach oben. Fühle mich erfüllt. Und weiß wieder, warum ich mich ein ums andere Mal quäle. Bergauf, mit den Mücken, mit dem Gepäck.
Die Geräusche des Waldes – und der Zeltnachbarn
Irgendwann wache ich wieder auf. Irgendein Tier schleicht um die Zelte herum, es raschelt. Ein Fuchs? Später schnarcht irgendjemand laut. Da gebe ich auf und greife zu den Ohrstöpseln, die man manchmal sogar im Wald gebrauchen kann.

Gegen acht bin ich plötzlich hellwach. Der Wind bläst kräftig durch die Bäume über mir, ich muss aufs Klo. Ich schlüpfe in die Stiefel und schleppe mich mit etwas steifen Muskeln zum Plumpsklo. Deutlich angenehmer, als mitten im Wald zu hocken.
Wachwerden in gemütlicher Runde
Nach und nach kriechen alle aus ihren Zelten. Eine Weile sitzen wir zu siebt beisammen an der Feuerstelle, ohne Feuer. Manche frühstücken, Tina und Anders kochen sich Kaffee. Eine Sache ist uns allen gemeinsam: Wir haben nicht mehr viel Wasser dabei. Erik teilt netterweise seinen Vorrat mit mir, er sei mit dem Rad schließlich schnell im nächsten Dorf. Die anderen planen ihre Route so, dass sie bald durch eine Ortschaft kommen. Ich will auf dem Rückweg durch Oberweiler nach Trinkwasser fragen. Wir ziehen alle weiter, denn man darf nur eine Nacht auf dem Trekkingplatz bleiben. Die Zeltwiesen sind nur zum Schlafen da und nicht für den Aufenthalt gedacht.

Erik bricht als Erster wieder auf. Er ist mit dem Fahrrad und wenig Gepäck aus Erlangen gekommen, fährt nun wieder zurück und will noch ein paar Steigungen und Abfahrten mitnehmen. Nacheinander starten das Pärchen und die Dreiergruppe. Sie werden sich am Abend auf dem Trekkingplatz "Klinge" wiedersehen. Ich mache mich auf den Rückweg in Richtung Ebrach. Ein letzter Blick zurück: Außer den Zeltabdrücken hinterlassen wir keine sichtbaren Spuren.
Wie Autorin Anna Kirschner zu der Geschichte kam
