Auf dem Hauptfriedhof Schweinfurt steht Unterfrankens erste und älteste Anlage für Feuerbestattungen. 3000 Einäscherungen gibt es hier jedes Jahr, übrig bleibt vom Mensch nicht nur Asche. Warum dem Leiter die Arbeit seit einem Vierteljahrhundert Freude macht? Eine Geschichte von Beständigkeit und Wandel.
Der Funke springt über, aber meist nicht mehr ganz so schnell. Wenn der Sarg teuer ist und mit dicker Lackschicht überzogen, dann züngelt die erste Flamme schon durch die Ofentür heraus, noch während die Einfahrmaschine zurücksetzt. Dann flackert es hell innen in der Kammer in leuchtendem Rot, noch bevor die Lucke sich ganz schließt. Aber schmuck lackierte Särge . . . Es sind weniger geworden, sagt Helmuth Schlereth, der Leiter im Schweinfurter Krematorium.
Früher, da hätten fast alle Trauerfeiern vor der Einäscherung stattgefunden. Doch heute vergeht Zeit zwischen dem Tod und dem Abschied . . . und Verstorbene werden eingeäschert, bevor die Trauergemeinde zusammenkommt. Deshalb sind die Särge, die auf Schienen in die Verbrennungskammer geschoben werden, jetzt meist roh und schlicht aus heller Fichte und Kiefer. Deshalb braucht der Funke ein klein wenig länger und es dauert einen Moment, bis sich das unbehandelte Holz selbst entzündet hat. Und deshalb ist der Boden vor der Klappe nicht mehr so schwarz und verrußt wie früher.
Seit 27 Jahren ist Helmuth Schlereth Leiter der Friedhöfe der Stadt Schweinfurt und damit auch des ersten und lange Zeit einzigen Krematoriums in der weiten Region. Er kann viel erzählen über den letzten kurzen Weg eines Verstorbenen, über Beständigkeit und Wandel.
Beständig ist zum Beispiel die hohe Temperatur. Auf 700 Grad Celsius wird die Verbrennungskammer aufgeheizt, damit der Schamott im Innern glüht und sich die Klappe für den Sarg öffnen kann. Während der Einäscherung wird es darin dann zwischen 1100 und 1300 Grad heiß werden, je nach Körpergewicht und Größe des Verstorbenen. Eine Stunde dauert es, bis nur noch das zerfallene Skelett übrig ist. Und Asche.
Urnenbeisetzungen sind eine vergleichsweise junge Entwicklung im europäischen Raum, vor allem die katholische Kirche tat sich damit lange Zeit schwer. Das erste Krematorium in Deutschland war erst 1874 gebaut worden, in Gotha. Als im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils ab 1963 Feuerbestattungen auch den katholischen Gläubigen freigestellt und erlaubt waren, beschloss der Freistaat Bayern für jeden Regierungsbezirk ein Krematorium.
Das unterfränkische sollte auf den Hauptfriedhof Schweinfurt kommen, im Mai 1965 wurde hier, in der sozialdemokratischen Arbeiterstadt, der erste Tote eingeäschert. Und Helmuth Schlereth erinnert sich, wie es in den ersten Jahren roch. Das städtische Krematorium war ohne Rauchgasreinigung und Filter in Betrieb gegangen. Wenn schwarzer Rauch aufstieg, nahmen die Bewohner in der Umgebung besser die frisch gewaschene Wäsche von der Leine.
Tod bleibt Tod, zum Wandel zählt die neue Technik. Alle zehn bis 15 Jahre, sagt Friedhofsleiter Schlereth, muss eine Anlage komplett erneuert und auf den neuesten Stand gebracht werden. Vor 25 Jahren investierte die Stadt Schweinfurt vier Millionen Mark für ein neues Krematorium, Filter- und Reinigungssysteme wurden eingebaut, die alten, sehr ursprünglichen Öfen verschwanden. Jetzt ging rundherum keine schwarze Wolke mehr nieder. 2010 wurde noch einmal aufgerüstet, seitdem werden auch Formaldehyd und Quecksilber abgeschieden. Optisch und olfaktorisch weiß heute niemand mehr in Schweinfurt, wann es im Krematorium brennt und ob ein Leben gerade zu Asche zerfällt.
Als Helmuth Schlereth vor über einem Vierteljahrhundert die Leitung auf dem Hauptfriedhof übernahm, wurde in Schweinfurt schon die Hälfte der Verstorbenen eingeäschert. Weit mehr als in Würzburg oder auf dem Land. Heute sind 75 bis 80 Prozent der Bestattungen in Schweinfurt Feuerbestattungen, sagt Schlereth. Und auch anderswo hat die Zahl der traditionellen Erdbestattungen deutlich abgenommen.
So bringen Bestatter aus dem weiten Umkreis Verstorbene hierher – von Fulda bis Ansbach, von Bamberg bis in den Main-Tauber-Kreis. Private Anbieter – seit 1996 in Bayern erlaubt – sind inzwischen dazugekommen, Feuerbestattungen sind ein Geschäft geworden . . . Doch noch immer wird mehr als 3000 Mal pro Jahr in Schweinfurt ein Sarg im Krematorium in den Ofen geschoben, acht Einäscherungen sind es im Schnitt pro Tag.
Aber zur Beständigkeit, von der der Krematoriumsleiter berichtet, zählt auch, dass in seiner Amtszeit die Gebühren – rund 390 Euro alles in allem – nie erhöht wurden. Und dass er den Bestattern garantiert: "Bei uns geht es schnell und direkt, wir äschern ein am nächsten Tag." Eine Stunde in der Brennkammer – dann sind Sarg und Körper verbrannt. Zurück bleiben Asche und Knochen. Und künstliche Kniegelenke, Hüftgelenke, Schrauben, Platten, Reste vom Herzschrittmacher. Das zusammengeschmolzene Zahngold und Metall holen die Mitarbeiter im Krematorium achtsam – und immer zu zweit – heraus. In der Urne soll nur die Asche landen. Vor gut 20 Jahren hat man dafür eine Mühle mit Magneten angeschafft, die die Reste zerkleinert und das wiederverwertbare Alt- und Edelmetall aussiebt. Bis zu 100 000 Euro bringen diese Überbleibsel ein – die Stadt verwendet den Erlös für gemeinnützige und gute Zwecke. So tut der Tod, so endgültig er ist, etwas für das Leben.
Die Arbeit im Krematorium, die könne nicht jeder machen, sagt Helmuth Schlereth. Kommt ein neuer Kollege ins Friedhofsteam, wird er erst einmal ein Jahr lang nur für die Gartenarbeiten eingesetzt. Rasen mähen, Gräber und Urnenwände pflegen, Unkraut jäten, die 700 großen, alten Parkbäume umsorgen. Im Krematorium auszuhelfen oder als Sargträger – "damit kommt nicht jeder gut klar", sagt der 64-jährige Leiter.
Er selbst? Schlereth hat seine beruflichen Wurzeln im Gartenbaubereich und war erst mit anderen Aufgaben bei der Stadtverwaltung tätig, ehe er auf den Hauptfriedhof kam. Ende des Jahres wird für ihn nun Schluss sein, und er sagt: "Mir hat es wirklich gefallen." Auch wenn es schwierige Momente gibt, auch wenn der Tod hier alltäglich ist. Auch wenn er nach wie vor schlucken muss, wenn nach einer bösen Diagnose wieder jemand kommt, um seine eigene Bestattung zu planen. "Man kann was für die Leute tun", sagt der Krematoriumsleiter. Er versucht, den Anliegen der Angehörigen entgegenzukommen, so weit es geht auf dem alten großen Gelände. Und außerdem: "So lange es rund läuft, redet von der Stadt beim Friedhof niemand viel rein."
Doch zum Wandel gehört auch: zunehmende Bürokratie. Die mache ihm den Abschied etwas leichter, sagt Schlereth und führt hinunter, in den Keller. Nach einer Stunde im Ofen, Abkühlen und Durchlauf durch die Mühle kommen drei bis vier Kilo Asche in die bereitstehende Urne. Und mit ihr der Schamottstein, den die Mitarbeiter vor dem Verbrennen in jeden Sarg legen. Jeder Stein trägt eine Nummer – einmalig, spezifisch und für die Ewigkeit. Acht Mal am Tag springt der Funke über, acht Mal am Tag wird wenig später eine Aschenkapsel gefüllt, manchmal auch mehr. Die Hälfte der Urnen werden die Bestatter aus der Umgebung selbst wieder mitnehmen. Die andere Hälfte holt zwei Mal in der Woche DHL.
Die Erdbestattung war lange Zeit üblich, seit einigen Jahren hat sich die Mode der Verbrennung durchgesetzt.
Das letzte, was Menschen heutzutage auf der Erde hinterlassen, ist ein negativer CO2-Abdruck.
Wir sind alle natürlicher Kreislauf,
die nachhaltige und respektvolle Erdbestattung sollte der übliche Weg am Ende des Lebens sein.
Von der Erde biste genommen und gehste zurück.
Oder geht's sogar beim Sterben bloß um's Geld?