Bloß nicht zu heftig atmen, zu schnell laufen, Luft aufwirbeln. Firmenchef Christian Scheuring hat die Tür zu jenem Raum geöffnet, in dem ein wenig Unterdruck herrscht und in dem ein Dutzend Frauen konzentriert bei der Arbeit sitzt. Die Blattgoldbeschneiderinnen.
Mit dünnen, langen Zangen aus Ebenholz greifen sie die hauchdünnen Quadrate, die sie mit dem zweischneidigen Messer, dem Beschneiderkarren, aus den hauchdünnen Bögen geschnitten haben. Und legen sie in kleine Papierhefte ein, die vor ihnen liegen. 25 Bögen je Büchlein. Fein säuberlich, passgenau, akkurat. Die Beschneiderinnen sind so flink, so geschwind - die Augen kommen beim Gucken, Staunen kaum mit.
Acht auf acht Zentimeter messen die Quadrate, 1000 davon ergeben ein Gewicht von gerade mal 17 Gramm. Legt man 8000 Blatt aufeinander, misst der Stapel gerade einen Millimeter. Das Blattgold, das die Beschneiderinnen mit den dünnen Holzzangen so geschickt in die Seidenpapierhefte legen, ist so dünn, so zart, so empfindlich, dass es bei jeder Luftbewegung reißen kann. Einmal zu stark geatmet - und das gut anderthalb Euro wertvolle Quadratfetzchen Gold ist dahin.
"Eine Kunst, das Material zu händeln", sagt Christian Scheuring, der Chef der Goldschlägerei Eytzinger. Und erzählt nebenbei, dass sie hier inzwischen auch die Büchlein aus Seidenpapier herstellten. Weil es sonst dafür keine Lieferanten mehr gibt.
Die Goldschlägerei Eytzinger mit Sitz in Schwabach, im Mittelfränkischen kurz hinter Nürnberg, gehört zu der allerletzten, die das laute, staubige, schwierige Handwerk betreibt. Und zu den ältesten ihrer Art. "Wir sind alt, aber so alt wie eine Brauerei sind wir nicht", sagt Scheuring, ein Meister spitzer Ironie und feiner Pointen.
Seit 1867 gibt es die Firma Eytzinger in Schwabach, der Goldschlägerstadt. Es war eine von vielen Blattgoldschlägereien damals in Schwabach, in Mittelfranken. Über 200 waren es mal, noch 1930 gab es 120 Blattgoldschlägerein. Heute sind es im Prinzip nur noch zwei. "Und wir", Scheurings Stimme wird noch leiser, "sind die Einzigen, die noch ausschließlich in Deutschland fertigen. Das sagt alles."
Seit 1980 ist Scheuring im Unternehmen. Er hat es vom Großvater übernommen, während einer der vielen Krisen der Branche. 15 Betriebe gab es damals noch in der Goldschlägerstadt an der Rednitz. "Die alle gekämpft haben", sagt Scheuring. "Kriege sind sehr ungesund für das Geschäft." In Kriegen wird zu viel zerstört, in Krisen denkt niemand an Restaurierung.
Aber die Eytzingers haben in Kriegszeiten und Krisen "was Neues erfunden" und geschaut, wie sich das geschlagene Gold sonst noch vermarkten lässt außer als Werkstoff für Vergolder. Vor gut einem Jahrzehnt zum Beispiel. Da gründete Eytzinger den Geschäftszweig "Goldgourmet" und wurde offiziell zum Lebensmittelhersteller. Seitdem können Köche in aller Welt ihre Steaks oder Sushi mit Blattgold aus Schwabach umhüllen. Seitdem kommt einmal im Jahr der Rabbiner und stellt das Koscher-Zertifikat aus. Seitdem bekommt der Besuch im Firmengebäude winzige goldene Quadrate auf den servierten Cappuccino gestreut. "Ein Stoff für die Seele", sagt Scheuring dann über das besondere Edelmetall, bevor er sachte im Kaffee mit den Goldflittern rührt. "Gold bringt im Menschen etwas zum Klingen."
Der neueste Bereich: Goldkosmetik. "Gold hat positive Wirkung auf die Haut, das ist von Instituten nachgewiesen", sagt Scheuring nur. Und wenn man schon was Essbares produziere, wieso nicht auch äußerlich nutzen? Aber dass er heute auf Lebensmittel- und Kosmetikmessen fährt - der Firmenchef hebt die Augenbraue, um dem Satz Nachdruck zu verleihen: "Im Herzen und eigentlich sind wir Blattgoldhersteller!"
Also machen die 50 Mitarbeiter Blattgold. Blattgold und Blattsilber und Blätter aus Palladium und Platinmetallen. Blattgoldflocken, Rollengold und Pudergold. Blattgold von sechs bis 24 Karat, Blattgold in mehr als zwei Dutzend verschiedenen Farbtönen. Blattgold lose, Blattgold für Innenräume, Blattgold für Außenvergoldungen.
"Glaube ist für uns ein ganz wichtiges Thema", sagt Christian Scheuring. Mit Blattgold von Eytzinger sind Ikonen und andere sakrale Kunstgegenstände, sind Kirchen und Moscheen in aller Welt vergoldet. "Sonst streiten sie über alles, beim Gold sind sich alle einig", sagt der Firmenchef über die Religionen. Und erzählt, dass man bei einem Großauftrag anderthalb Jahre lang Blattgold schlug mit unbekanntem Zweck. Als in Mekka dann das Royal Clock Tower Hotel eröffnete, der gigantische Wolkenkratzer direkt neben der Heiligen Moschee, war den Goldschlägern klar: Sie hatten das Gold für die weltgrößte Turmuhr geliefert.
"Wir sind stark exportabhängig", sagt der Firmenchef und rührt weiter im goldbestäubten Kaffee. "Wenn sich Putin, Trump und Erdogan streiten, gibt es keine Aufträge." Was Scheuring aber vielmehr umtreibt, was ihn ärgert: Dass bei großen Restaurierungen im Land das Blattgold aus heimischer Produktion missachtet und ignoriert wird. Die Staatsoper Unter den Linden in Berlin zum Beispiel- renoviert mit Imitationsgold aus China. 85 Prozent Kupfer, 15 Prozent Zink: "Das oxidiert nach ein paar Jahren. Frech zu behaupten, dass sie schön geworden ist", sagt Scheuring zornig in Richtung Bundesregierung. Wäre das Gold für die Oper echt und aus Schwabach gekommen - die geschätzt 340 000 Blätter hätten einen Rohwert von 400 000 Euro gehabt. Man sparte. Und Scheuring sagt: "Da wurde dem Handwerk die Türe vor der Nase zugeschlagen."
Man brauche Aufträge und Arbeit, sonst gingen Fertigkeiten und Wissen verloren. "Wer soll in 30, in 50 Jahren restaurieren? Eines Tages muss Neuschwanstein neu vergoldet werden, aber es gibt keinen Blattgoldhersteller mehr."Aber noch wird hier in Schwabach im Glühofen Gold geschmolzen, zu kleinen, 700 Gramm schweren Barren gegossen und dann so lange gewalzt und gerollt und schließlich von zwei Riesenhammer-Maschinen zwischen Ziegenpergament geschlagen, bis es nur noch hauchfeine 0,000125 Millimeter dünn ist. Ein güldener Hauch von fast nichts . . . . . . den die Blattgoldbeschneiderinnen zwischen das Seidenpapier zaubern.