Seit Sommer 2020 war die Orgel der St.-Laurentius-Kirche zu einer umfassenden Sanierung in der Werkstatt. Jetzt steht sie wieder an ihrem angestammten Platz auf der Empore.
Da steht sie. Endlich. Die barocke Seuffert-Orgel ist nach monatelanger Sanierung wieder zu Hause. Zurück im Ochsenfurter Stadtteil Darstadt, zurück in der Pfarrkiche. Stumm wartet sie auf der Empore. Schön war sie immer schon. Aber ob sie auch wieder klingen wird wie um 1750, als sie jung war - das wird sich jetzt erst zeigen.
Gregor Frede nimmt Platz. Er legt die Finger auf die glatt polierte elfenbeinfarbene Tastatur, die nicht aus Elfenbein, sondern aus einem Rinderknochen gefertigt wurde. Fredes Finger drücken die Tasten. Die vollen Klänge aus den Orgelpfeifen fluten das kleine Kirchlein, das eine solche akustische Fülle seit Jahren nicht mehr erlebt hat. Ja, die alte Orgel ist noch immer eine Meisterin!
Gregor Frede, Diözesanmusikdirektor und Orgelsachverständiger der Diözese Würzburg, bearbeitet die Tasten mit sichtlichem Genuss. Er spielt, zieht der Reihe nach die Register, erzeugt andere Klänge mit den mit den Pedalen. Die Orgel nimmt die Herausforderung an, sie dröhnt, trällert, flötet und jubelt. Sie hat bestanden, und wie. "Das Ding ist perfekt", sagt Frede. "Sie spielt sich wie ein Steinway-Flügel." Sogar Gershwin und Bernstein seien mit ihr machbar, alles von der Kirchenmusik bis hin zu den Beatles oder den Bee Gees.
Das war vor einem Jahr noch ganz anders. Da entfleuchten zunehmend schräge Töne dem alten Instrument, da blieben mit schöner Regelmäßigkeit die Pedale hängen. Maria Kräuter, Kirchenpflegerin und Organistin in St. Laurentius, erzählt vom leicht flauen Gefühl im Magen, das sie immer hatte, wenn die Orgel einen festlichen Anlass begleiten sollte. Und wenn niemand voraussagen konnte, mit welchem Misston sie die feierlich gestimmten Zuhörer vielleicht überraschen würde.
Bei einer Untersuchung der Orgel stellte sich heraus, dass es mit ein bisschen Kosmetik nicht getan sein würde. Um eine umfassende Sanierung in der Orgelbauwerkstatt Heissler in Markelsheim (Lkr. Main-Tauber) würde sie nicht herumkommen. Diese Kur hat die Orgel nun hinter sich, und sie war gründlich. "Die Orgel wurde komplett zerlegt", sagt Projektleiter Markus Wolpert. Er und seine Kollegen aus der Markelsheimer Werkstatt waren gleichzeitig Therapeuten und Detektive. Warum pfeift dieser Ton so schrill? An welchem Bauteil liegt es? Was hat sich an welcher Stelle verzogen oder abgelöst - und warum? Und was ist nötig, um die Funktionstüchtigkeit wieder herzustellen?
Immer wieder ist es das "Warum", dem die Orgelbauer in solchen Fällen auf den Grund gehen müssen. Eine Reise in die Vergangenheit, die beim Hoforgelbaumeister Johann Philipp Seuffert beginnt und zu jenen führt, die im Laufe der Jahrhunderte das Instrument gewartet und repariert hatten. Warum wurde eine bestimmte Konstruktion gewählt, ein bestimmtes Material? Warum wurde in einer späteren Epoche ein Bauteil ersetzt, und wie hat sich das ausgewirkt?
Leider allzu häufig wirkten die Eingriffe negativ, resümiert Gregor Frede. Vor allem Restaurierungsversuche in der Zeit der 1960er und 70er Jahre seien von einem Enthusiasmus für das Zeitgemäße geprägt gewesen und hätten dabei verkannt, dass moderne Ersatzteile das gesamte Gefüge der alten Orgel in Unordnung bringen würden. Frede und die Orgelbauer nahmen deshalb bei der Sanierung einen ganz anderen Blickwinkel ein: den von Johann Philipp Seuffert. Sie wollten die Überlegungen des berühmten Orgelbaumeisters aus der Barockzeit ergründen und nachvollziehen.
Die alte Orgel ist ein Kind ihrer Zeit und soll es auch bleiben. Sie gewaltsam in die Gegenwart zu hieven, würde sie ruinieren. Das wissen die Orgelbauer heute. Das Darstadter Instrument wurde deshalb auch wieder "historisch gestimmt". Wer ein geschultes Ohr hat, vermag das am Klang zu erkennen, der Laie eher nicht. "Die Akkorde klangen damals etwas anders, der Unterschied zwischen Dur und Moll war deutlicher", erklärt Frede über alte Hörgewohnheiten. "Wenn man heute zum Beispiel Aufnahmen aus den 20ern hört, klingt das für uns schräg, nicht so sauber."
Auch die Seuffert-Orgel wurde einst anders gestimmt, als man das heute machen würde. Das haben die Orgelbauer aus Markelsheim berücksichtigt. "Dem alten Material kann man nicht den heutigen Sound aufdrücken, sonst würde das Pfeifenmaterial beschädigt." Eine hohe Kunst sei es, bei einer Sanierung wieder nahe an den Urzustand heran zu kommen, sagt Frede. In Darstadt sei es gelungen. "Man könnte vom geretteten Klang sprechen."
Immer wieder hatte der Orgelsachverständige während der monatelangen Sanierung dem in seine Einzelteile zerlegten Instrument in Markelsheim Besuche abgestattet, hatte sich mit den Orgelbauern abgesprochen und viele Fragen geklärt. Aus vergangenen Zeiten sind noch schriftliche Hinweise erhalten. Wie der, den Maria Kräuter beim Aufräumen in der Kirche fand: ein kleines Büchlein, in das ab etwa 1990 Anmerkungen zum Zustand des Instruments notiert wurden. Schon im Jahr 2000 habe ein unbekannter Verfasser eine Generalüberholung angeregt, sagt die Organistin.
In deutlich älteren Akten aus den 1920er und 30er Jahren hat Frede erstaunlich kreative Einträge entdeckt: "Wir haben zwar die Rechnungen für das gefunden, was angeblich gemacht wurde, aber nicht das dazu passende Material in der Orgel." Und gefunden wird bei einer Restaurierung üblicherweise alles, berichtet Orgelbauer Markus Wolpert. Ob es nun in die Orgel hinein gehört oder nicht: "Wir haben da auch schon Vögel entdeckt."
Einige Wochen hat es gedauert, die Orgel in der Darstadter Kirche wieder zusammen zu setzen. Gereinigt, gestimmt, einsatzbereit und stabil für hoffentlich viele Jahre steht sie nun auf ihrem angestammten Platz. Und darf doch nicht zeigen, was sie nun wieder kann. Maria Kräuter wünscht sich einen feierlichen Rahmen zur Begrüßung der Orgel, idealerweise ein Konzert. Aber solange die Corona-Beschränkungen gelten, wird daraus nichts werden.
90 Personen finden normalerweise in die St.-Laurentius-Kirche Platz. Nach den aktuellen Bestimmungen dürfen derzeit aber nicht mehr als 20 hinein, sagt Maria Kräuter. Gregor Frede hofft auf ein baldiges Sinken der Inzidenz, denn: "Das muss man live hören. Die Leute werden den Unterschied merken. Es ist ein runder und kräftiger Klang. Die Orgel kann ganz still weinen, aber auch richtig Alarm schlagen." Irgendwann, glaubt auch Maria Kräuter, wird die alte Seuffert-Orgel den ihr gebührenden Einstand schon noch feiern können.
Und danach, ergänzt der Diözesanmusikdirektor, soll sie immer wieder gespielt werden. Möglichst oft, von möglichst vielen. Sie ist es gewohnt, seit mehr als 250 Jahren.