Fast das ganze Jahr draußen im Weinberg, im Winter wochenlang allein im Keller: Fotograf Johannes Kiefer hat Winzer Stefan Bauer begleitet. Von der Traube bis zum Glas.Frühling. Unbedingt Frühling. Wenn sich Stefan Bauer eine Jahreszeit aussuchen könnte, würde er das Frühjahr nehmen. Wenn sich die Natur wieder regt, wenn es, erst unbemerkt, dann ziemlich offensichtlich draußen wieder losgeht. In diesem Jahr war Bauer spät dran mit dem Rebenschnitt und ging noch Mitte März die letzten Hänge durch. „Da merkt man schon, wie alles langsam wieder im Saft steht.“
Aber draußen ist der 52-Jährige nicht nur in seiner Lieblingsjahreszeit. Sondern eigentlich immer, bei jeder Witterung, jeder Temperatur. Weil es immer was zu tun gibt im Weinberg. Erst Reben schneiden, dann altes Rebholz entfernen. Stickel erneuern, Drähte nachziehen, Nägel einschlagen. Fruchtruten biegen und binden, Boden lockern. Dann, wenn nach den Maifrösten die Reben ausschlagen, Doppeltriebe herausbrechen, im Juni und Juli Laub entfernen . . .
17 Weinberge hat Bauer in und um Thüngersheim. „Kleinbetrieb“, sagt er. Vor gut 20 Jahren hat er seinen sicheren Job gekündigt, Winzer gelernt – und begonnen, den Nebenerwerbsbetrieb der Eltern im Haupterwerb weiterzuführen. Ein Ein-Mann-Betrieb. Deshalb hat Stefan Bauer immer die Arbeitshose an, steht im Februar selbst mit der Schere bei den Reben und gibt vor, was der Weinberg trägt. Mäht im Sommer, schneidet Laub, zupft die schlechten Trauben vom Stock, öffnet wieder ein paar Tage lang die Häckerwirtschaft und wird zum Wirt . . .
Und im November, Dezember – der einzigen Zeit fast nur drinnen – steht er im Keller, experimentiert, füllt Flaschen ab, putzt, klebt Etiketten. Vier bis fünf Mal hat er jede Flasche in der Hand, weil er alles selbst macht. „Man hat immer mal Tage, wo man denkt, man hat den falschen Beruf“, sagt er. Und fügt im selben Atemzug an, dass die schon sehr selten seien.
Jetzt sind drei Viertel der Ernte von 2018 schon abgefüllt. Sieben Weißweine, vier Rotweine. 24 000 Liter keltert Bauer im Jahr. Abgefüllt in 30 000 Flaschen. „Für einen Kleinen zu groß, für einen Großen zu klein“, sagt der Winzer. Der Vater, der 40 Jahre lang Winzermeister im Würzburger Bürgerspital war, baute auf einem halben Hektar Müller-Thurgau, Bacchus und Kerner an. Bauers Anbaufläche heute: 3,3 Hektar.
Der Thüngersheimer gehört zu einer schwindenden Art. Über 6600 Weinbaubetriebe gab es zur Jahrtausendwende in Bayern, also Franken. Mehr als zwei Drittel von ihnen werkelten und winzerten auf weniger als einem halben Hektar. Betriebe mit 0,5 bis 5 Hektar gab es damals knapp 2000, dazu 59 ganz Große mit mehr als zehn Hektar. 20 Jahre später sind von den 6600 Weinbaubetrieben noch knapp 2000 geblieben. Auf Rebflächen zwischen 0,5 und 5 Hektar wirtschaften wie Stefan Bauer noch 1200 Betriebe. Dafür ist die Zahl der mittleren Betriebe stark und kontinuierlich gestiegen: Statt 170 sind es jetzt mehr als 200 mit bis zu zehn Hektar. Und die ganz Großen mit mehr als zehn Hektar haben sich verdoppelt auf 130.
„Bei 30 Hektar, da hab‘ ich keine Arbeitshosen mehr an“, sagt Bauer und geht in seinem kleinen Keller durch die Reihen mit den silberglänzenden 500-, 600-, 1200-Liter-Fässern. „Edelstahl! Edelstahl ist genial, darauf lass ich nichts kommen.“ Im Raum nebenan lagern in großen Gitterboxen die abgefüllten Flaschen. Bauer dreht eine Flasche Ortega-Solaris, Kabinett, halbtrocken, in der Hand. „Unser Drei-Generationen-Wein.“ Bei dem hat Sara, die 16-jährige Tochter, im Weinberg und im Keller mitgeholfen und später den Wein mit abgeschmeckt. Ausgeschenkt wird der „beerige Gaumenschmeichler“ zu Ehren des 80. Geburtstags von Mutter Emma Bauer.
Der Bocksbeutel liegt nicht in Gitterboxen, sondern in Holzkisten. Immer nur zwei, drei aufeinander – „weil er sonst bricht“. Die neue Flaschenform? Naja, Bauer verzieht erst das Gesicht, zuckt dann mit den Schultern und lacht. „Gewöhnungsbedürftig. Aber vor 30 Jahren hab‘ ich über Schraubverschlüsse geschimpft, jetzt schraub‘ ich alles.“ In die Bocksbeutel dürften in seiner „Klitsche“, wie er den Betrieb nennt, nur Spät- und Auslesen. „Bocksbeutel dürfen nie unter vier, fünf Euro kosten.“ Seiner „Klitsche“ hat er ein schlichtes Motto vorangestellt: „ Ein Wein ist gut, wenn er schmeckt, verträglich und bezahlbar ist.“
Bauer muss als Kleinwinzer im Vollerwerb mithalten mit den Großen, bei der Flaschenform, technisch und bei der Qualtität. „Wir brauchen Topqualität“, sagt er nur, „zusammenpfuschen geht nicht.“ Bauer spricht von „Herzblut“, wenn er von den Stunden erzählt, die er bei den Fässern verbringt, um zu tüfteln, einen gescheiten Wein „zu basteln“, der so schmeckt, wie er ihn haben will. Aber, sagt er, es sein „ein „gutes Gefühl“, auch mal innovativer und schneller sein zu können, als manche Großen, weil keine Entscheidung durch vier Gremien muss. Auch mal exotische Sorten wie Blauen Silvaner oder Acolon, eine rote Neuzüchtung, ins Sortiment zu nehmen.
Dafür macht er eben alles selber, im Keller wie im Weinberg, und krank sein gibt’s nicht. Gärung überwachen und zügeln, abschmecken, Jungwein von der Hefe nehmen, putzen, für die Kunden da sein, die vorher kurz anrufen müssen, wenn sie einen Wein holen wollen. Dann kommt Stefan Bauer kurz aus dem Weinberg gefahren, bedient und lässt probieren, und dann geht’s wieder zu den Stöcken zurück. Von seiner Kundschaft ist er „mit 90 Prozent per Du“ und „die anderen zehn Prozent, wir mögen uns a“. Handel? „Reizt mich überhaupt nicht.“ Und hätte er sich mehr als die dreieinhalb Hektar zugelegt, „wäre es ja auch nicht mehr alleine gegangen“.
Seit 1996 lässt Stefan Bauer seine Trauben von einem Vollernter lesen – nur inzwischen vier Wochen eher als früher. Klimawandel. Er zahlt dafür elf Cent für den Meter. Und natürlich geht’s in den Erntewochen, in denen es nichts außer Arbeit und dazwischen ein bisschen Schlaf gibt, vor Tagesanbruch los. „Ich will kaltes Lesegut kriegen und nichts lange stehen haben, der Weißwein gärt mir sonst auf der Maische.“ Würde er sich schlechtes Lesegut ins Haus holen – „dann hätt‘ ich ein Problem, das schmecken die Kunden“. Apropos. Das mit dem Weintrinken und Verkosten dürfte man nicht „so groß aufhäng‘“. Es gebe überhaupt nur zwei Sorten Wein, sagt der Winzer: „Schmeckt. Und schmeckt ned.“
Natürlich, ein guter Wein, so wie vielleicht die Auslese vom 2018er Pinot Gris, das sei „kein Zufall, darin steckt schon viel Arbeit“. Und: „Ein bisschen Glück und ganz viel Absicht.“ Bauer wusste schon im Weinberg, dass das was Gutes wird. 108 Oechsle hatte der Grauburgunder dann, der Auslese edelsüß wurde. „2018 war ein Ausnahmejahr, fast zu gut“, sagt Bauer und schwenkt den Wein, den er „kompakt“ nennt, im Glas. Nur seine Grauburgunder-Trinker seien jetzt enttäuscht. Weil es keinen trockenen Kabinett von ihrer Lieblingssorte gibt in diesem Frühjahr. Winzerschicksal: „Man kann’s nicht jedem recht machen.“