Rechts geht es zu den „Cuckoo Clocks“, links zu den „Hummel Figurines“. Und den Weihnachtsschmuck, den gibt es gleich am Eingang. Und direkt am Fenster. Und an der Seite. Und überall dazwischen: Holzengelchen, Schneekugeln, Christbaumschmuck, glitzernde Weihnachtsmänner, glänzender Kleinkram und Anhänger mit der Aufschrift „Babys first Christmas“.
Irgendwo steht eine Abordnung Nussknacker stramm, vom Band tönt wohlige Musik, unverdrossen drehen sich zwei, drei, sechs oder acht Weihnachtspyramiden auf einem kleinen Regal. „Please don? touch“, steht zur Sicherheit aufs Warnschild geschrieben. Die Brasilianerin greift schnell noch in die Schublade mit den Räucherkerzen, entscheidet sich flugs für Duft „Vanille“ und steckt das Schächtelchen dem zahlenden Gatten an der Kasse zu. Fix hinein in die gut gefüllte große Tüte.
Die Verkäuferin lächelt und stellt die große Tüte vorsichtshalber in eine noch größere Tüte. „Dankeschön, thank you.“
Hinten im engen Laden, in der Weihnachtsfigürchen und Weihnachtsdinge glitzern, strahlen, leuchtend aus den Auslagen quillen, kann sich eine arabische Familie derweil nicht zwischen Kuckucksuhr mit Aufdruck und Kuckucksuhr handbemalt entscheiden, nicht zwischen roten und blauen Anhängern, nicht zwischen kleinem und großem Engel. Die Verkäuferin schlägt eine Alternative vor: „Original Bavarian Räuchermann mit original Bavarian Edelweiß.“
Wenn die ratlosen Kunden aus Nahost wüssten, dass es hier, in der Unteren Schmiedgasse, gar nicht so viel zu entscheiden gibt. Es ist ja nur der „Kleine Weihnachtsladen“ von Rothenburg. Die eigentliche Weihnachtswelt kommt erst noch, die Gasse hinauf, oben am Marktplatz und dann scharf links. Dort wo vor dem Haus der nostalgische Bus von Käthe Wohlfahrt steht. Farbenfroh und mit lauter Geschenken auf dem Dach, nach dem Plönlein, dem schmalen Fachwerkhaus mit dem kleinen Brunnen davor, wohl Rothenburgs zweitbeliebtestes Fotomotiv.
Merry Christmas! Willkommen! Ein mannshoher Nussknacker grüßt gleich hinter dem schwarz-roten Geschenke-Express am Eingang in Käthe Wohlfahrts weltbekanntes Weihnachtsdorf. Und bitte nicht von der schmalen Fassade täuschen lassen, die auch nicht sehr viel anders aussieht als am „Kleinen Weihnachtsladen“.
Nein, hier ist Weihnachten, aber volle Kanne und so richtig. An 364 Tagen im Jahr, also außer an Karfreitag und auch mitten im August. Felicitas Höptner, die bei Käthe Wohlfahrt für Werbung und PR zuständig ist und dazu das Deutsche Weihnachtsmuseum gleich nebenan leitet, erzählt, wie hier manchmal Männer draußen warten. Und warten. Und warten. Und wenn die Gattin dann nach zwei Stunden immer noch nicht wieder aufgetaucht ist aus dem Laden, der von außen halt aussieht wie ein Laden . . . dann fragen sie schon mal vorsichtig, ob man sie nicht ausrufen könne.
Was Wunder. Im Inneren warten auf 1000 Quadratmetern Verkaufsfläche 30 000 Dinge, die zu Weihnachten gehören. Ein Wunderland der echten wie kommerzialisierten Tradition, des festlichen Kitsches und der kitschigen Festlichkeit aus blinkenden Lichterketten, Stofftieren, Glaskugeln, Krippen, Adventskalendern, Schwippbögen, Räuchermännchen, Pyramiden, Baumbehang, Nussknackern, Tischdecken, Ornamenten und Hängezeug aus Glas, Holz, Zinn, aus Engeln, Nikoläusen, Santas . . .
Wer Weihnachten sucht, bekommt hier mitten im Hochsommer die volle Dosis. Und wenn man erst mal an den ersten Regalen vorbeigekommen ist und die paar Stufen hinabsteigt, dann . . .
Ja, da kann man die Zeit und den Gatten draußen in der Sommerhitze schon mal vergessen.
Denn dann steht man – „No pictures please!“ – vor diesem 5,70 Meter hohen weißen Weihnachtsbaum, der im Glanz von 12 550 Lichtern erstrahlt und an dem mehr als 1400 schöne Dinge hängen. Hach. Fotografierverbot? Gleich unter dem Hinweisschild zucken die Brasilianer und die vielen Italiener, die Taiwanesen und die Russen und die Amerikaner und die Australier und die Leute aus dem Sauerland ihre Kameras und fotografieren sich gegenseitig vor diesem Strahlebaum, der zu stimmungsvoller Musik – Keine Weihnachtslieder! Die gibt es erst im Dezember! – den Mittelpunkt eines Marktplatzes mit schneebedeckten Fachwerkäusern bildet. Seufz.
Hinein in die Gefühlsseligkeit eine paar nüchterne Zahlen über jenes fränkische Kleinstädtchen im Dreieck Würzburg-Heilbronn-Nürnberg, in dem Weihnachten ist das ganze Jahr: 11 000 Einwohner hat Rothenburg ob der Tauber, davon 2500, die in dieser so malerischen Altstadt wohnen. Jedes Jahr kommen 340 000 Urlauber, die übernachten. Und dazu etwa 1,7 bis 1,8 Millionen Tagesgäste und Ausflügler, die abends wieder weg sind. Von April bis Dezember, wenn richtig viel los ist, kommen also auf einen Altstadtbewohner: drei Touristen.
Und die – Höptner will sich da nicht festlegen, aber ist sich ja eigentlich doch fast sicher – besuchen das Weihnachtsdorf. Alle. So wie die Gäste der „River Cruises“, die gerade in den Laden strömen.
Es ist schon die dritte Kreuzfahrtschiff-Gruppe an diesem Tag. Und sie ist: verzückt! „Amazing“, ruft Mary aus dem Mittleren Westen aus, als sie den Riesenbaum im verschneiten Kunststädtchen erblickt. Der Mann an ihrer Seite atmet einmal tief durch. „Oh look at this!“, von links. „Oh look at that“, von rechts. „Bei Australiern und Amerikanern ist die deutsche Weihnacht einfach ein Begriff“, sagt Felicitas Höptner, die Kulturwissenschaftlerin und Volkskundlerin, die selbst für ihr Leben gerne Weihnachten feiert. „Die wollen es ursprünglich.“
So wie Sandy und Alistair aus Adelaide, die im gut gekühlten Raum mit dem Glasschmuck stehen, das Einkaufskörbchen schon ganz gut gefüllt. Ob sie Weihnachten feiern, Down Under? Klar, sagt Alistair, da sei es schön heiß und zu essen gebe es vor allem Seafood. Aber schon auch einen Turkey, sagt Sandy, sie würden die Tradition lieben. Gut, den Truthahn essen sie nicht gefüllt und aus dem Rohr, sondern kalt, als Salat. Aber sonst: Baum ist Pflicht. Und für die Dekoration sind sie auf ihrer Europatour jetzt hier im Weihnachtsdorf von Rothenburg.
„Der Australier ist von allem begeistert“, sagt Felicitas Höptner. „Der Russe mag gerne Glitzriges, das ist so.“ Und der Japaner, der in der Regel in einer eher kleineren Wohnung wohnt, „mag kleine Dinge, mag Holz und kauft von einem Objekt gleich zehn Stück“. Der Amerikaner greift wie der Australier dafür „auch mal zu einer großen Pyramide“ und legt noch ein paar Tischdecken dazu. Und die deutschen Kunden? „Der Ältere: Erzgebirge! Der Jüngere: gerne Lustiges.“ Deshalb gibt es in der Abteilung Formglasbaumbehang jetzt nicht nur die grünen Weihnachtsgurken, sondern gleich dazu Hotdogs, Elektrogrills und die Maus aus dem Fernsehen.
Als Wilhelm und Käthe Wohlfahrt im Sommer 1977 hier in der Herrngasse, im Fachwerkhaus gegenüber, einen Christkindlmarkt für ihren Weihnachtsschmuckhandel eröffnete, da hätten die Rothenburger ja noch den Kopf geschüttelt, erzählt Felicitas Höptner aus der Unternehmensgeschichte. „Spinnt der? Da will ein Verrückter das ganze Jahr über Weihnachten feiern?“
Aber als die Familie drei Jahre später dann – ziemlich visionär – dieses gewaltige Erlebnisfachgeschäft baute und sogar Einkäufer von Harrods und anderen Nobelkaufhäusern aus London, Paris, Tokio neugierhalber vorbeischauten . . . „Wer hier herkommt, kann's erleben“, lacht Museumschefin und PR-Frau Höptner nur.
Erleben! So wie die Touristen der „River Cruises“, die ihre Einkaufslisten abarbeiten. Und noch einmal – „Ma'am, no pictures please“, bitten die vielen Verkäuferinnen so freundlich wie geduldig – den Riesenbaum fotografieren, der strahlt, blitzt, blinkt. „Alle Lichtlein LED, alles Ökostrom aus regenerativen Energien“, sagt Felicitas Höptner beim Rundgang. „Wir schauen drauf, dass wir den Glanz verträglich aufrechterhalten.“
Ein brasilianischer Junge betatscht den weichen Schnee auf dem Fachwerkhausdach. Vor den Räucherkerzen mit Waldduft, Orange, Sandelholz sinkt ein junger Niederländer erschöpft auf einen Stuhl. Nur um sich zehn Sekunden später wieder erheben zu müssen – die Freundin hat noch was entdeckt.
Von Verona bis Vancouver ist Käthe Wohlfahrt heute auf mehr als 50 Weihnachtsmärkten in aller Welt vertreten. Aber so viel Weihnachten, das gibt es nur hier, im weltbekannten Weihnachtsdorf. Sandy und Alistair aus Adelaide sind an der Kasse angelangt, in der die freundlichen Verkäuferinnen Tüten im Minutentakt befüllen. Sie haben sich für den Glasbehang in Gold und Silber entschieden und liegen damit voll im Trend. „Nicht pompös, sondern edel und festlich gilt dieses Jahr“, sagt Höptner. „Pompös, das hatten wir schon.“