Zum Daheimbleiben gezwungen, sucht Reisefotograf Rainer Caselmann seine Motive in der Nähe. Und er und entdeckt das Focus-Stacking für sich. Jetzt bringt der Veitshöchheimer kleine Insekten groß raus – wenn's nicht zu warm ist.
Er ist früh unterwegs in diesem Sommer. Beim ersten Licht macht sich Rainer Caselmann auf den Weg und setzt sich irgendwo raus in die Natur. Freut sich über ein bisschen Nebel wegen der feinen Tautröpfchen auf den Pflanzen. Hofft, dass ein paar Wolken die aufgehende Sonne überdecken, damit das Objekt seiner Wahl nicht überstrahlt wird. Und damit die Luft nicht zu schnell in Bewegung gerät und die Temperaturen nicht zu schnell steigen. Zehn Grad am frühen Sommermorgen? Für Caselmann nicht zu frisch, sondern perfekt. „Kältestarre“, sagt er nur.
Rainer Caselmann, studierter Betriebswirt mit Schwerpunkt Tourismus, bereist mit der Kamera die Welt. Mit eigenen Multivisionsshows über China, Vietnam, Hongkong, Thailand und Indonesien ist er in Deutschland unterwegs. Und seit vielen Jahren präsentiert er in Würzburg und Schweinfurt die Vortragsreihe „Die Welt in Bildern“ mit Fotografen, Abenteurern und Bergsteigern. Reinhold Messner und Rüdiger Nehberg hat der Veitshöchheimer schon nach Unterfranken geholt, Michael Martin und Gerlinde Kaltenbrunner und viele andere auch.
Ein Reisefotograf und Veranstalter also – eigentlich. Was aber macht ein Profi, der nicht reisen kann und nichts veranstalten darf? Rainer Caselmann sucht sich, zum Daheimbleiben gezwungen, seine Motive in diesem Pandemie-Sommer vor der Haustüre und ganz in der Nähe. Und er entdeckt für sich die Makrofotografie neu: durch das sogenannte Stacking mit manchmal Hunderten Aufnahmen pro Motiv- abhängig von Größe und Struktur des Objekts. Seine Objekte? Insekten. „Eine Herausforderung“, sagt der 70-jährige Fotograf. Deshalb das Aufstehen vor Morgengrauen.
Caselmann sucht kältestarre Libellen und Heuschrecken, Falter und Käfer – und nähert sich ihnen bis auf zwei, drei Zentimeter mit der Kamera. Und dann heißt es: Geduld. Beim Stacking wird ein Objekt von vorne bis hinten, von der vordersten Fühlerspitze bis zum hintersten Flügelrand, in Hunderten Schärfeebenen aufgenommen, scheibchenweise quasi. „Wenn sich das Objekt bewegt, fängt man wieder von vorne an.“ Mit Makrofotografie hatte sich der Fotograf früher mal beschäftigt, damals vor allem für Blumen – „aber nie so ernsthaft“.
Jetzt, der Corona-Zwangspause geschuldet und auch den neuen technischen Möglichkeiten, sucht er die Größe des Kleinen, die Schärfentiefe des Nahen. „Focus-Stacking“, sagt er, „eröffnet eine neue Dimension in der Makrofotografie.“ Immer dabei und zwingend nötig: das stabile Stativ. Dazu Makroobjektiv, Nahlinse, Zwischenringe und Makro-Einstellschlitten, auf dem die Kamera montiert wird und mit dem man sich dem Objekt millimetergenau nähern kann. Dazu ein Campinghocker – und eben viel Geduld. Manchmal, sagt Caselmann, braucht es gut eine Stunde für ein Motiv.
Wieso Fliegen und Libellen? „Es macht riesigen Spaß, wenn man teils nur ein Zentimeter lange Insekten formatfüllend fotografiert!“, sagt der Veitshöchheimer, den auf seinen Reisen in Fernost Menschen, Architektur und Landschaften faszinieren. „Im Kamerasucher und bei der Weiterverarbeitung auf dem Bildschirm blicken einen dann wahre Monster an.“ Caselmann mag den Morgennebel, der sich fotogen auf seinen Objekten absetzt. Mag bedeckten Himmel. Und er verflucht Windstärken über 10 km/h: „Der größte Feind des Makrofotografen. Da gehe ich meistens gar nicht los.“
Der Fotograf hat schnell gelernt, im Einheitsgrün einer Wiese plötzlich die Einzelheiten zu sehen. Einfach durch die Gegend streifen, mal eine Zeit lang an einem Fleck verharren, einen Busch, Zweig oder Halm beobachten – „und plötzlich entdeckt man ein kleines Insekt, das man vorher gar nicht gesehen hat“.
Mit seinem Makrofernglas kann Caselmann aus einem halben Meter Entfernung vier Zentimeter schmale Objekte formatfüllend betrachten. Und dann macht er ein unscheinbares Insekt zum Star – „wenn das Objekt lange genug stillhält“. Seine Kamera schafft im Stacking-Modus bis zu 20 Bilder pro Sekunde, im Maßstab 1:1 noch zehn. Für eine Belichtungsreihe von 300 Aufnahmen braucht es also eine halbe Minute. Bewegt sich das Objekt in dieser Zeit ein klitzekleinwenig oder fliegt gar davon, bricht der Fotograf die Sequenz ab – wartet wieder und fängt von vorne an. Nach zwei, drei Stunden Shooting in der Natur, wenn die Sonne am Himmel steht, kommt der Fotograf mit mehreren Tausend Aufnahmen heim.
„Ich bin kein Computerfan und hab‘ Bildbearbeitung immer abgelehnt“, sagt Caselmann. Beim Makrostacking aber lässt er die Software machen: Die vielen Einzelaufnahmen des Insekts – von vorne bis hinten scharf – werden per Computerprogramm zusammengesetzt und zu einem einzigen Bild verrechnet. Und jetzt? Im Winter, wenn weder Mücken noch Grashüpfer mehr unterwegs sind? Bei der Makrofotografie will Rainer Caselmann auf jeden Fall trotzdem bleiben – „dann nehme ich eben Pilze und Pflanzen in Angriff“.
Seitdem ich es in den vorgezogenen Ruhestand geschafft habe und meine "Quality Time", nicht mehr durch sinnlosen Arbeitsstress und fremdbestimmte Pflichten und Termine zunichte gemacht wird, habe ich auch die Photographie als schönes und erfüllendes Hobby entdeckt.
Mit dem Thema "focus stacking" werde ich mich jetzt bestimmt näher befassen.