Seit sechs Jahren bringt Benedikt Faust in Würzburg fränkische Klassiker auf den Teller. Stern-dekoriert, frech – und garantiert ohne Olivenöl. Ein Blick in die Töpfe.
Kommt, Kinder! Veggie, Blumenkohl, Feuer!“ Benedikt Faust wirbelt mit dem Handtuch, schnalzt mit der Zunge. „Auf geht's, drei Spatzen, jetzt.“ Wenig später: „Joachim, Waller rein, jetzt!“ Pling! Mit einem Hieb auf die Service-Klingel gibt Faust die nächsten Teller frei. Wirbelt wieder mit dem Handtuch, guckt hier, schaut da. Teller-Check. Da passt was nicht, dort fehlt was. „Meerrettich, Meerrettich! Konzentration Leute!“ Joachim Kraft greift zur Raspel, reibt ein wenig Wurzel über die Teller. „Es wär' auch nicht schlimm, wenn's schnell geht.“
Benedikt Faust grinst. Joachim Kraft grinst auch. Pling! Die Mehlspatzen können raus.
Freitagabend in der Küche des Hotel Rebstock in Würzburg. Im „KUNO 1408“, dem Restaurant mit dem Stern, sind inzwischen auch die letzten angemeldeten Gäste eingetroffen. Leicht verspätet. „Können die Leute nicht pünktlich sein, ich hasse es“, spielt der Küchenchef den Verärgerten. Service-Chef Noah Weißenberger, lange braune Schürze umgebunden, lächelt. „Sind Freitag-Samstag-Gäste.“ Gäste also, für die es hier nicht um Hungerstillen geht. Sondern, die diesen Abend als etwas Besonderes verstehen. „Typische Freitag-Samstag-Gäste sind dankbar“, sagt Weißenberger. Schnappt sich sechs Gläschen mit Amuse-Gueule und ist schon wieder ins Lokal verschwunden. Benedikt Faust sagt: „Es gibt Abende, die pushen mich.“
Vor knapp einer Stunde hat Benedikt Faust noch in einen Apfel gebissen, Noah Weißenberger hat einen Espresso getrunken, dann hat sich die Mannschaft am „Pass“ verteilt, der „Wärmebrücke“ zwischen Küche und Service. Geflügelposten, Fischposten, Fleischposten. Es ist wenig Platz für große Feinschmeckerküche, alles tagsüber Geschmorte, Gegarte, Gemixte, Gegelte, Geschäumte oder sonst wie Vorbereitete muss griffbereit sein, jeder Handgriff muss sitzen.
„Lucas, drei Zwiebelkuchen können!“ Knappes Kommando, Azubi Lucas Seuffert beugt sich an der Anrichte über die Teller und setzt Gurkenröllchen, Schmand-Espuma, Specksud, Gurkenkaltschalengelee und Lardo nach exakter Vorgabe zusammen. Die Vorlage hängt – mit Kuli und Leuchtmarker auf Papier gekritzelt – an der Wand. Auf den Tellern entstehen mit Siphon und Pipette Tupfer für Tupfer Gemälde, der Chef nörgelt. „Die Zwiebelkuchen müssen warm sein!“ Also noch mal anwärmen das kleine kunstvolle Törtchen, das mit einem fränkischen Zwiebelplootz allenfalls die Grundzutaten gemein hat. Da sitzt ein Cremetupfer nicht perfekt. Also noch mal runterheben. Neu setzen. Und ein Teller bitte vegetarisch, deshalb weg mit dem Speck, Rettichscheibe stattdessen auf den Teller. Timo Beck, Chef Tournant, Koch für alles und Fausts rechte Hand, war aufmerksam und richtet schnell mal mit an. Seit 2013 kocht Benedikt Faust, der sagt, er sei Koch geworden „als Notlösung aufgrund schlechter Noten“, jetzt im Hotel Rebstock. Vier Abende in der Woche, je zwei Menüs. Fränkische Gerichte, aber dekonstruiert. Faust zerlegt – und verbindet die wenigen verbliebenen Komponenten zu Überraschendem, Neuem. Vor elf Jahren erkochte der gebürtige Marktheidenfelder für das Hotel „Zum Stern“ in Bad Hersfeld erstmals einen Michelin-Stern, bestätigte ihn dann im „Hanseatic“ auf Rügen – und kaum von der Ostsee in der fränkischen Heimat zurück, hängt der Stern nun seit 2014 im „Kuno 1408“.
Servicemann Elias Plömpel kommt an den Pass: „Tisch 51 kann bitte.“ Faust nickt: „Joachim, Vorspeisen raus!“ Die Antwort kommt prompt und gedehnt: „Jawoohl.“ Noch keine 30 war Faust, als er mit seiner Art zu kochen und Geschmackserlebnisse zu vermitteln den Stern bekam. „War eine andere Zeit, damals“, sagt der Küchenchef in Jogginghosen. „Da gab es nur 180 Sterne insgesamt, inzwischen sind wir bei 300 Ein-Stern-Küchen.“
Nach zwölf Jahren am Stück, unwichtig geworden, der Stern? Falsche Frage. „Eine Bürde. Und immer wieder eine Freude“, sagt Faust. Und dass es um so viel mehr geht als nur gut zu kochen. Der Chef wischt sich die Finger am Tuch trocken, streift sich Handschuhe über und nimmt die „Schweinerei“, den Fleischgang mit Brokkoli, Senf, Linse.
Ab und an serviert Faust persönlich. Weil er die Stimmung im Restaurant spüren will. Weil er hier jeden Abend für alles geradesteht. Und weil es „das Ziel ist, den Gast glücklich zu machen“. In der Küche ist es warm geworden, die ersten Gäste sind bereit für den süßen Abschlussgang, die letzten starten gleich mit dem Plootz, der auf der Karte „Blaatz“ heißt und optisch das Gegenteil ist. Und mit, tataa: Kaisergranat.
„Yess! Endlich.“ Faust wirbelt mit dem Tuch. Hat eine Weile gedauert an diesem Abend, bis jemand das „Weltoffene Franken“ wählte. Mit seiner Küchenbrigade, die so jung ist, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft dagegen alt aussieht, kocht Faust kompromisslos, konsequent und radikal. In der engen Küche stehen fürs Gourmetrestaurant kein Olivenöl und kein Pfeffer, dafür Kümmel. Und das Menü braucht sicher auch keine Zitronen.
Früher hat Faust mal Molekularküche mitgemacht. Aber als er „falsche Nudel von schwarzer Olive“ zubereiten sollte, war's für ihn vorbei. „Der größte Schwachsinn! Ich liebe Nudeln!“ Und heute? Er koche „klassische Gerichte der fränkischen Küche“ ohne alles „was nicht aus Franken kommt“, sagt der 40-jährige Chef. Also gibt es im Menü „Pures Franken“ Zwiebelblaatz, Mehlspatzen und Waller. Aber den Waller kombiniert Faust mit Blutwurst. Die Mehlspatzen sind ein Kunstwerk für sich. Und bei der „Traube“ zum Abschluss besteht das Tellerwerk aus Apfel, Kürbiskernöl und – ja – Blaukraut. Zu derb, zu freaky? Faust sagt: „Supergeil.“
Beim zweiten Menü, da gönnt sich das Faust-Team aber dann doch große weite Welt. Da dürfen die fränkische Linse mit Pulpo, der regionale Rettich mit Kaisergranat und Erdnuss, der Schweinebauch mit Hummer aromatisch wettstreiten. „Macht nix, wenn's schnell geht“, ruft Faust zwischenrein. Die Ente muss raus. Timo Beck kommt mit der Pfanne.
Faust könne das extrem gut, sagt Service-Chef Noah Weißenberger. Umschalten von jetzt auf sofort. Vom komplett entspannten Kumpelchef zum verbissenen Perfektionisten, der von allen Konzentration und Genauigkeit bis ins winzigste Detail verlangt und sich in diesem einen Moment jede Diskussion, jedes Widerwort verbittet. Faust lächelt. Ihm schwelle schon mal der Hals. So alle drei Monate, da werde er zwischen Pfannen, Töpfen und Spritztüten laut und deutlich.
Dann reiche es aber auch wieder für eine Weile. „Regel: Only positiv!“ steht mit Edding an die Küchenfliesen geschrieben. Unter das oberste Gebot, an dem nicht gerüttelt wird, darf jeder malen, was er mag. „Party people“ steht zur Zeit da. Und: „Lieber bereuen, es getan zu haben, als bereuen, es nicht getan zu haben.“ „Wenn's nervt“, sagt Faust, „wischen wir's wieder weg.“
Raus mit dem Ananascurry, die letzten Teller gehen über den Pass. Die drei Phasen des Sternekochs habe er alle durchgemacht, sagt Faust. „Erst batteln mit den Älteren und warten, dass jemand von den Großen geht.“ Dann die Sorge, keinen Job zu bekommen, weil plötzlich so viele Jüngere da sind. Und inzwischen rufe alle halbe Jahre ein Headhunter bei ihm an. Aber Faust bleibt lieber in der fränkischen Heimat. Kocht weiter regional unter einem Stern, und macht sein Zeug.
Für „Galileo“ kochen zum Beispiel. Alle paar Monate kommt ein Fernsehteam in die kleine Kuno-Küche zum Dreh, dann brät Faust Schnitzel und Burger und brutzelt gegen die Tricks der Lebensmittelindustrie an: Sternekoch versus Wissenschaftler, Tradition versus Chemie. Aber an diesem Freitagabend, spät geworden, gibt's nur noch eins. „Kommt Kinder, ein Bier!“
Verstehe nicht, wie man das so nötig hat, in jede Kamera sein Gesicht so selbstdarstellerisch halten zu müssen.