
Die grauen Stummel sind noch vom Elefanten. Dutzende Stift-Enden, wenige Zentimeter kurz, versammelt in einer Kaffeepulverdose. Vielleicht kann sie Raoul Kaffka eines Tages noch einmal gebrauchen. Für eine graue Maus. Oder ein anderes gräuliches Tier. Bis dahin stehen die gespitzten Reste vom dunkelsten Dunkelgrau bis zum hellsten Hellgrau auf Kaffkas Arbeitsplatte. Halb zur Zierde, halb in Bereitschaft zur Weiterverwendung.

Der Elefant ist bis heute ein Lieblingswerk des Würzburgers. Stunden über Stunden über Stunden hat er graue Striche aus dem Handgelenk geschüttelt. Zack, zack, zack, im schnellen, sanften Rhythmus. Strich, Strich, Strich. Wieder und wieder. „Große Flächen fordern“, sagt Raoul Kaffka. Mannshoch wurde das Tier, am Ende maß es anderthalb auf fast zwei Meter. Die Haut so faltig und furchig wie in echt.
Lebensecht. Genau darum geht's. Beim asiatischen Elefanten, den Raoul Kaffka im Leipziger Zoo fotografierte und dann – Strich, Strich, Stich – in zig Stunden nachzeichnete und schraffierte. Darum geht's auch beim Leoparden, bei den Pferden, bei der Hyäne und bei den Hunden. Bei allen Tieren, die er in möglichst unspektakulärer, alltäglicher Pose malt. „Die Zeichnungen sollten schön sachlich und undramatisch sein“, sagt Kaffka. „Da gibt es nicht so viel reinzuinterpretieren, das ist manchmal ganz gut.“
Wie es anfing mit seiner Buntstiftkunst? Der 51-jährige Würzburger hat an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Illustration und Kunstgeschichte studiert, 1997 machte er das Diplom als Designer und sich im selben Jahr noch selbstständig im Bereich 3D-Visualisierung.
Während des Kunststudiums hatte Kaffka in Afrika und Mittelamerika sehr intensiv gemalt und gezeichnet. Und während der fünf afrikanischen Monate in Nairobi seinen ersten großen Buntstiftkasten erworben – vom berühmten fränkischen Hersteller Faber-Castell. Beruflich aber setzte er sich an den Computer und wurde Geschäftsführer einer Agentur.
Irgendwann, nach zehn, zwölf Jahren, habe er sich gedacht: „Ich mach jetzt mal was für mich.“ Beim Rennradfahren, war er immer schon „an vielen toten Vögeln vorbeigefahren“. Und als dann eines Tages dieser Buntspecht gegen die Fensterscheibe knallte . . . zeichnete er ihn nach. Naturgetreu, sachlich, präzise, analytisch . . . wie eine Fotografie, nur außergewöhnlich groß.



170 auf 94 Zentimeter maß Kaffkas Buntstiftbuntspecht am Ende. Und der Grafikdesigner war . . . angespitzt, wie die vielen Stifte, die er fortan brauchen sollte für seine besondere Zeichenkunst. Er entwickelte die Technik weiter, experimentierte, perfektionierte. Strich, Strich, Strich aus dem Handgelenk auf das säurefreie, farbige Papier. Jeder Quadratzentimeter akribisch schraffiert.
Bär, Zebra, Wildschwein – immer ist da als Grundlage eine erste Schicht weiß. Ob grauer Elefant, rötlicher Orang-Utan, schwarzer Hund – „Weiß ist das Wichtigste“. Auf die Grundierung setzt Kaffka dann fünf, sechs, manchmal sieben Farbschichten für Struktur, Schimmer und Tiefe. „Nur ein oder zwei Schichten, das würde banal aussehen“.




Fell, Haut, Gefieder – der 51-Jährige hat eine Methode gefunden, wie er nach der fotografischen Vorlage intarsienartig unterschiedlich farbiges Tonpapier zusammenstellt und dann Strich für Strich für Strich Quadratzentimeter für Quadratzentimeter Haare und Federn darauf wachsen lässt. Je nachdem, in welcher Stimmung er ist und wie locker und geschmeidig das Handgelenk, arbeitet er an harten Kanten und scharfen Schraffuren oder an den sanfteren Strukturen.
Dass alle seine Tiere, so sachlich und unverniedlicht sie auch dargestellt sein mögen, etwas Besonderes haben? Poesie? Kaffka lächelt und zuckt mit der Schulter. „Man kann nicht alles erklären“, sagt er nur und wundert sich manchmal selbst über die Rückmeldungen, die er bekommt: „Die Überraschung ist, welch Sehnsucht nach Tieren besteht.“

60 bis 80 Stunden Strichelei pro Motiv – vier große Tiere schafft Kaffka in einem Jahr. Ob seine Zeichnungen Kunst sind? „Die Frage stelle ich mir nicht“, sagt der Zeichner, wieder schulterzuckend. „Es ist ein Tier.“ Die Originale verkaufe er jedenfalls sehr ungern. „Da stecken so viele Stunden drin, ich wüsste gar nicht, wie ich das berechnen soll“.
Er lässt vom Reichenberger Fotografen Rolf Nachbar jetzt jedes Bild auf kräftigem Büttenpapier reproduzieren, in Originalgröße und einer Auflage von nur fünf Exemplaren. Demnächst wird sich der Grafiker wieder einen Berg neuer Stifte zulegen müssen, viel Braun, Grau und Gelb. Er hat sich Maus und Tiger als nächstes vorgenommen.
Vom 18. April bis 26. Juni werden Raoul Kaffkas Tiere im Schröder-Haus am Wilhelm-Schwinn-Platz 3 in Würzburg zu sehen sein. Mehr online unter kaffka.net
