Von seinem Elternhaus ist nichts mehr übrig, außer dem mit Mosaik belegten Küchenboden. Für Zahir Durakovic, den Imam der bosnischen Gemeinde in Würzburg, eine traurige Erinnerung an den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien. 1992, als die Serben seinen Heimatort Olovo einnahmen, verließ Durakovic seine Heimat.
„Tagelang haben wir den Ort verteidigt“, erinnert er sich. Doch gegen die schweren Waffen der angreifenden Serben hatte die schlecht ausgerüstete Bürgermilz in dem 10 000 Einwohner großen Ort keine Chance.
Von allen Seiten wuchern die Pflanzen langsam über den Boden der Küche. Durakovic ist damals über verschiedene Umwege nach Deutschland gekommen und ist heute Imam der bosnisch-islamischen Gemeinschaft in Würzburg. Über 300 Familien aus Bosnien-Herzegowina leben in Würzburg und Umgebung. Viele von ihnen sind wie Durakovic damals geflohen. Sie verbindet die gemeinsame Geschichte und die gemeinsame Heimat, die nur ein paar Autostunden von Würzburg entfernt ist.
Diese Heimat und die Probleme, die zur Zeit Bosnien erschüttern, zeigte Durakovic nun einer Gruppe Würzburger, die die Geschichte, Kultur, Religionen und Situation in dem geteilten Land kennenlernen wollten.
Die Begegnung mit dem zerstörten Land hat bei den Teilnehmern tiefe Eindrücke hinterlassen. Denn noch heute sind in allen Teilen des Landes die Spuren des Bürgerkrieges vor 20 Jahren sichtbar. „Dies ist schwer zu begreifen, wenn man komplett im Frieden aufgewachsen ist“, sagt Paulina, eine 19-jährige Abiturientin, die den Krieg im ehemaligen Jugoslawien nur aus Erzählungen kennt.
„Es war so schockierend, es war so aktuell“, beschreibt der 19-jährige Felix seine Gefühle von der Begegnung mit Hasan inmitten der 8000 Gräber in Srebrenica. Hasan hatte als 19-Jähriger – im gleichen Alter wie Felix – als einer der wenigen seiner Familie das Massaker in der nordbosnischen Stadt überlebt. „Es ist unfassbar, dass in Den Haag immer noch keine Urteile über die festgenommenen Kriegsverbrecher Karadzic und Mladic gefällt wurden. Und dass sich bei uns bekannte Kriegsverbrecher nach wie vor unbehelligt in unserer Gesellschaft bewegen“, sagt Hasan: „Solange wir uns unserer Geschichte nicht stellen, bleibt Bosnien ein Unruheherd.“
„Man muss wahrnehmen, was war und wie es heute ist“, sagt Pfarrer Klaus Beurle, der zusammen mit Zahir Durakovic die Reise organisiert hatte: „Es ist die Hölle, wenn Religionen sich zu ethnischen Zwecken missbrauchen lassen“, sagt Beurle rückblickend.
Tatsächlich sind die Probleme in Bosnien heute nicht geringer. Bei einer Arbeitslosigkeit von bis zu 60 Prozent leben viele an der Armutsgrenze. „Die soziale Krise ist sehr stark, weil im Krieg die ganze Industrie vernichtet wurde“, sagt Durakovic. Durch das jetzige Hochwasser in der Region wird die Lage noch verschlimmert.
Durakovic und die Bosnienfreunde aus der Zellerau sammeln derzeit deshalb Spenden, um vor Ort direkt zu helfen. „Die Menschen hoffen auf eine Zukunft in Europa, sie blicken nach Westen“, sagt Durakovic. „Es muss weitergehen, damit wieder ein Miteinander von Menschen und Ethnien in Bosnien passieren kann“, sagt Johanna Falk von der Nagelkreuz-Initiative.
Bosnien ist dabei ein vergessenes Land, ist sich Beurle sicher: „Wenn nicht wirtschaftlich investiert wird, hat das Land keine Chance.“ Deshalb will die Gruppe aus der Zellerau das geschundene Land Bosnien-Herzegowina zurück ins Bewusstsein der Deutschen bringen und gleichzeitig versuchen, Europapolitiker dazu zu bewegen, sich für das Land auf dem Balkan und eine politische Lösung der derzeitigen Teilung in eine Föderation Bosnien-Herzegowina und die Serbische Republik einzusetzen.
Und sie haben noch ein weiteres Ziel: Sie wollen sich für eine versöhnte Gesellschaft engagieren, in der Menschen verschiedener Tradition lernen, sich gegenseitig zu respektieren.
Deshalb wird auch das Gebet der Religionen des Interreligiösen Gesprächskreises am Donnerstag, 3. Juli, um 18 Uhr im Vogel Convention Center in der Zellerau ergänzt um Bitten für Frieden und Aussöhnung in Bosnien-Herzegowina, das noch immer unter den Folgen des Bürgerkrieges leidet.
Bei diesem Gebet werden Vertreter der drei bosnischen Ethnien ihre Friedensbitten vortragen: der serbisch-orthodoxe Priester Radoslav Pajic, Gemeindepfarrer der serbisch-orthodoxen Diözese Mitteleuropa, zuständig für Unterfranken, Nordost-Hessen, Nordost Baden-Württemberg und West-Thüringen, der bosnisch-islamische Imam der Würzburger Gemeinde Zahir Durakovic und als Vertreter der katholischen Kirche Pfarrer Werner Vollmuth aus der Zellerau.