Die neue "Tanz-Theater-Performance" von Sophie Charlotte Becker in der Würzburger Theaterwerkstatt ist ausgesprochen wortreich. Zum Glück kann die Ausführende auch das: sprechen, nicht nur tanzen. Beides geschieht höchst theatralisch und schlägt doch immer wieder kleine Volten in den Alltag oder mitten in den Publikumsraum hinein.
Die Handlung, genauer gesagt: das Konzept der Performance "Müdigkeit" umfasst zwei Vormittage im Leben einer jungen Managerin, die sehr bewusst an der Krankheit Kapitalistische Müdigkeit leidet und in vielen kleinen Monologen vom ihrem Verhältnis zum Schlaf erzählt – sie tut es nur für die Firma –, von den Geräusch- und anderen Belästigungen auf dem Arbeitsweg, von Hotelnächten mit ihrer Freundin. Der Texter Arne Holst brachte viele Gedanken zusammen, die irgendwie mit dem Titelthema zu tun haben. Die einzelnen Passagen inszenierte sein Bruder Jonathan Holst als Klage, Bericht, Bekenntnis – und besonders gut als Aktion.
Tanz-Solo unter Plastik
Visualisiert wird das in der Kellerbühne zwischen denkbar naheliegenden Kulissen: Kopfkissen und Plumeaus am Boden. Eine besonders schöne Szene gestaltet die Tänzerin, indem sie einfach und allein zwei dieser weißen Ausstattungsstücke mit violetter Bettwäsche bezieht. Im Hintergrund bläht sich dünne Abdeckfolie und reflektiert seidig das Scheinwerferlicht. Eins der wenigen längeren Tanz-Soli spielt unter diesem Plastik – und bringt nebenbei die Kunstgattung Skulptur mit auf die Bühne.
Das sind aber nur zwei bis drei Beispiele für das, was in "Müdigkeit" geschieht. Es gibt derer viele. So oft wie die verbale Vorlage immer wieder neu ansetzt, so viele Techniken verwendet Becker zu ihrer Verkörperung. Das beginnt bei der stummfilmhaften Übertreibung ihrer Mimik; die entsprechende Gestik kann jederzeit in choreografierte Bewegung übergehen. Und endet noch lange nicht bei klassischem modernen Ballett, akrobatisch forderndem Rollen, Robben und Gliederspreizen auf dem Boden. Wobei, wichtig: Die tänzerischen Elemente sind selten bloße Illustration des gesprochenen Worts. Sie passen zum Text, haben aber ein Eigenleben. Das ist so stark, dass Beckers Körper-Performance als selbstständige Ebene über der Textebene liegt; manchmal löst sie sich ganz davon ab – große Momente!
Große Leidenschaft
Etwas kritischer betrachtet erscheinen diese beiden Ebenen als zwei Patchwork-Decken, weil Texter, Regie und Choreografie möglichst viele Techniken und Stile einfach mal ausprobieren wollten – und ja auch müssen: Wie sollen sich junge Künstler denn sonst entwickeln? Sie sind in diesem Prozess schon ziemlich weit. Denn physische Präsenz ohne Muskelanspannung zu erzeugen und über den Bühnenrand zu bringen – so eine Fähigkeit kommt nicht von allein. Sophie Charlotte Becker beherrscht sie. Und auch, hier natürlich mit Hilfe des Worts: Räume öffnen, was ja überhaupt eine grundlegende Kategorie im Tanztheater ist. Über allem schafft sie es, die erwähnten Flickenteppiche kraft ihrer Person zusammenzuhalten und dem – an sich doch recht verzettelten – Stück seine verdiente Einheit zu geben.
Man kann annehmen, das junge Münchner Team hat all das mit großer Leidenschaft betrieben, und sich daran freuen, dass es sein Publikum nun dran teilhaben lässt. Oder, in den Worten unserer Jungmanagerin: "Ich bin ein multifunktionsfähiger Büffel – Muuuh!"
Bis 28. Mai in der Theaterwerkstatt, Rüdigerstraße 4, Würzburg, (0931) 59400. www.theater-werkstatt.com