
Ist der freiheitliche Rechtsstaat bedroht? Innenminister Horst Seehofer (CSU) will den politischen Islamismus intensiver beobachten und hat dazu einen zehnköpfigen Kreis von Experten aus der Wissenschaft berufen. Dieser soll "Teil des Gesamtansatzes zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus" sein. Dem Gremium gehört auch der Würzburger Staatsrechtler Prof. Kyrill-Alexander Schwarz an, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität. Ein Gespräch über die islamistische Gefahr, den tödlichen Messerangriff von Würzburg und Religionsfreiheit.
Prof. Kyrill-Alexander Schwarz: Ich denke ja. Man kann das an einer zunehmenden Radikalisierung von Muslimen beobachten – und zwar nicht nur im religiösen Sinne, sondern politisch. Es geht um den Geltungsanspruch einer politisch verstandenen Religion, der mit den Maßstäben des Grundgesetzes nur schwer kompatibel ist.
Schwarz: Der politische Islamismus – klar zu trennen vom Islam als Religion – stellt Grundaussagen dieses Staates in Frage, betrachtet andere Werte als maßgeblich und will unsere Gesellschaftsordnung durch eine andere ersetzen. Beispiel Ablehnung der Gleichberechtigung, demokratischer Grundsätze, von Freiheitsrechten. Es geht hier um eine religiös fundierte Herrschaftsform.
Schwarz: Islamismus ist eine Form von Extremismus, als religiös geprägte Ausrichtung.
Schwarz: Ich glaube, diese Gefährdungslage ist seit Beginn der islamistischen Anschläge im Kontext des 11. September 2001 latent vorhanden. Und befindet sich der Islamismus in den Augen der Weltöffentlichkeit auf dem Rückzug, wächst die Tendenz, sich durch mehr oder weniger spektakuläre Anschläge wieder in Erinnerung zu rufen.
Schwarz: Eine zentrale Zielsetzung von Terrorismus ist es, eine Gesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen und damit die Freiheitlichkeit dieser Gesellschaft in Frage zu stellen.

Schwarz: Es steht mir nicht zu, polizeilichen oder staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen vorzugreifen. Den Medienberichten zufolge gibt es zwei mögliche Motivbündel: Das eine ist eine psychische Erkrankung – hier geht es um die Frage der Schuldfähigkeit. Zum anderen gibt es vereinzelte Indizien aufgrund von Zeugenaussagen, die einen islamistischen Hintergrund zumindest denkbar erscheinen lassen. Aber auch hier gilt: Nicht jede Straftat eines Muslims ist eine islamistische Straftat.
Schwarz: Ich denke schon. Sie kann ein möglicher Mosaikstein sein, wenn man die gewachsene Radikalisierung eines Täters soziologisch betrachtet. Dazu können negative Erfahrungen im Aufnahmeland kommen, wie Ausgrenzung oder enttäuschte Erwartungen. Radikalisierung bis hin zu einer dschihadistischen Tat kann eine Vielzahl von Gründen haben und entsteht teilweise erst im Zufluchtsland.
Schwarz: Ich sehe mich gefordert, auch Grenzen aufzuzeigen, die sich aus dem Grundgesetz ergeben, selbst wenn man politisch bestimmte Maßnahmen ergreifen wollte. Gleichzeitig gilt es Spielräume auszuloten, die von der Politik möglicherweise nicht gesehen werden. Von daher verstehe ich mich als Wegbegleiter.
Schwarz: Darauf ist natürlich zu achten, das ist der eine Part. Aber der andere ist die Schutzverpflichtung des Staates für die gesamte Bevölkerung: Was kann, was muss der Staat tun, um sie zu schützen? Natürlich ohne die Grundrechte dabei aus den Augen zu verlieren.
Schwarz: Es ist ein Ringen – und es geht darum, Kollisionslagen zu vermeiden. Die Religionsfreiheit als zentrales Grundrecht ist ein hohes Gut. Aber wieweit muss sie sich in gegebene Strukturen fügen? Vereinfacht gesagt: Muss sich das deutsche Grundgesetz dem Islam anpassen oder umgekehrt? Eine zentrale Aussage des politischen Islamismus ist, die eigene religiöse Herrschaft über ein anderes gesellschaftliches System stellen zu wollen. Hier muss der Verfassungsstaat klare Grenzen aufzeigen.
Schwarz: Wir wollen Handlungsempfehlungen für Deradikalisierungskonzepte aufzeigen, für die Politik wie für die Zivilgesellschaft – jenseits herkömmlicher Muster in der Logik des starken Staates, etwa die Beobachtung durch Sicherheitsbehörden. Aber man könnte sich auch Aufklärungskampagnen in Schulen oder sozialen Netzwerken denken, bevor man mit den Mitteln des repressiven Staates tätig wird. Es geht in dem Gremium darum, Handlungsoptionen aufzuzeigen. Die Entscheidung liegt dann bei der Politik.