Was einst an Science-Fiction-Filme erinnerte, ist in der Würzburger Franz-Oberthür-Schule bereits Realität: Während ein Techniker einen Schaltschrank repariert, kreuzt ihm ein Experte auf dem virtuell erzeugten Bild eines Beamers die Schraube rot an, die er als nächstes lösen soll. Dabei ist es egal, ob sich Techniker und Experte gerade auf unterschiedlichen Kontinenten oder im selben Raum aufhalten.
Wissenschaftler sprechen von Fernwartung mittels „Augmented Reality“ (AR). Unter dem Schlagwort versteht man eine Vorstufe zur virtuellen Realität. Dabei wird die normale Wahrnehmung eines Menschen, in diesem Fall des Technikers, durch künstliche Informationen angereichert. Drei Szenarien sind denkbar: Entweder der Techniker trägt eine interaktive Datenbrille, in deren Sichtfeld die einzelnen Reparaturschritte und Zeichnungen eingeblendet werden oder er hält ein Tablet in Händen. Die dritte Möglichkeit ist projektionsbasiert und bedeutet, dass die Informationen mit einem speziellen Beamer auf die dreidimensionale Oberfläche des Schaltschranks projiziert werden.
Augmented Reality: mit Tablet, Projektor oder Datenbrille
Egal ob Tablet, Projektor oder Datenbrille: Eine Kamera sendet ein Bild aus der Perspektive des Technikers an den Fernwartungsexperten. Dieser kann live an seinem Computer mitverfolgen, welche Schraube der Techniker gerade anfasst. Er kann ihn Schritt für Schritt anleiten, ihm in das virtuell erzeugte Bild Handlungsanweisungen einzeichnen. Der Techniker wiederum kann in eben jenes Bild mit einem interaktiven Stift Dinge markieren und somit nachfragen, wenn er etwas nicht verstanden hat.
Was hier im Technikraum der Franz-Oberthür-Schule zu sehen ist, gibt es noch nicht auf dem Markt. Es handelt sich um ein Forschungsprojekt, das vom bayerischen Wirtschaftsministerium unter dem Stichwort „Bayern.digital“ gefördert wird. Federführend sind die Diplominformatiker Doris Aschenbrenner und Florian Leutert vom Forschungsinstitut „Zentrum für Telematik“, die von den Studierenden Michael Rojkov und Nicolas Maltry von der Universität Würzburg unterstützt werden.
Die ersten, die die Prototypen fünf Wochen lang testen und bewerten, sind 90 Schüler der Franz-Oberthür-Schule. Es sind angehende Elektroniker und Mechatroniker, also genau diejenigen, die später mit dieser Technik umgehen werden, sagt Christian Götz, Fachbereichsleiter Elektrotechnik der Schule und ergänzt: „Normalerweise machen wir Exkursionen mit den Schülern, um uns den neuesten Stand der Technik anzusehen. Wenn solche Projekte zu uns ins Haus kommen, umso besser.“ Wichtig sei ihm, dass seine Schüler schon in der Entwicklung der Produkte das ein oder andere verbessern könnten.
Wissenschaftler dankbar über Feedback der Schüler
Die Wissenschaftler sind im Gegenzug „sehr dankbar über das hoch qualifizierte Feedback“, sagt Doris Aschenbrenner. „Gerade die Techniker haben ziemlich genaue Vorstellungen davon, was sie sich wünschen.“
45 Minuten lang dauert der Probelauf eines jeden Schülers. In dieser Zeit soll dieser mittels verschiedener Fernwartungsszenarien, bei denen er mit Hilfe eines Projektors, einer Datenbrille oder einem Tablet mit einem Experten in Kontakt steht, einen vermeintlich defekten Regler an einem Industrieroboter austauschen. Dafür hat die Firma KUKA Industries aus Obernburg (Lkr. Miltenberg) einen ihrer Roboter-Schaltschränke zur Verfügung gestellt. Der Roboter stellt normalerweise den Boden elektrischer Zahnbürsten her.
„Momentan wird das Problem der Fernwartung meist per Telefon gelöst“, sagt Doris Aschenbrenner. „Dabei fischt der Experte häufig im Trüben. Er kann nicht sehen, was der Techniker gerade tut.“ Im schlimmsten Fall reden die beiden aneinander vorbei. Dass ihre Methode der „Augmented Reality“ viele Vorteile gegenüber einer Papieranleitung oder einer Telefonhotline hat, davon sind die Experten überzeugt.
Welches Fernwartungsszenario ist das Beste?
Doch welches ihrer Fernwartungsszenarien das Beste sei, werde noch getestet. „Es hängt von den Anforderungen des jeweiligen Unternehmens ab“, sagt Aschenbrenner. „Jedes System hat seine Stärken und Schwächen.“ Bei der Datenbrille sieht der Experte permanent, was der Techniker gerade tut. Allerdings hat dieser ein schweres Gerät auf der Nase und die Projektionsfläche, auf der der Experte etwas einzeichnen kann, ist relativ klein. Der Bildschirm der Brille macht nur einen Teil des Sichtfeldes aus. „Eine reine Videobrille wäre zu gefährlich, denn im Normalfall liegt Hochspannung auf dem Schaltschrank“, ergänzt Aschenbrenner.
Im Laufe des Jahres sollen die Ergebnisse der Nutzerstudie wissenschaftlich veröffentlicht werden.