
Narzissmus hat viele Facetten: von "normalen" Ausdrucksformen bis hin zu schweren narzisstischen Störungen. Zum Teil wird das Wort heute sehr inflationär gebraucht, doch was steckt wirklich dahinter? Dominique Schmitt, Psychologischer Psychotherapeut aus Würzburg, über Ursachen und Ausprägungen von Narzissmus – und wann man sich als Angehöriger eines Narzissten Hilfe suchen sollte.
Dominique Schmitt: Unter Narzissmus versteht man in der psychologischen Forschung zunächst einmal völlig wertfrei eine von vielen Persönlichkeitseigenschaften, die sich in unterschiedlicher Ausprägung bei allen Menschen finden lässt. Wir alle sind also mehr oder weniger narzisstisch, genauso wie wir mehr oder weniger gewissenhaft oder intelligent sind. Narzissmus beschreibt ein besonderes Bemühen um soziale Aufmerksamkeit. Menschen mit hoher narzisstischer Ausprägung investieren viel Energie, um sich in sozialen Situationen großartig zu fühlen. Sie sind ansprüchlich und streben nach Bewunderung und Status. Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung (NPS) haben eine krankhafte und extreme Ausprägung in diesem Persönlichkeitsmerkmal. Sie sind statistisch gesehen selten und weisen zusätzlich einen Mangel an Empathie auf. Sie haben oft ein übertriebenes Gefühl der eigenen Wichtigkeit und erwarten, von anderen als überlegen anerkannt zu werden.
Schmitt: Menschen mit ausgeprägter narzisstischer Persönlichkeit wirken im ersten Moment oft attraktiv und charismatisch. Sie können durchsetzungsstark, erfolgreich und mitreißend sein und investieren viel Energie in zwischenmenschliche Beziehungen. Zugleich kümmern sich narzisstische Menschen mehr um ihr Äußeres, reagieren sehr empfindlich auf Kritik und sprechen lauter und viel, vor allem von sich und ihren Leistungen.

Schmitt: Es spricht vieles dafür, dass die Neigung zu besonders ausgeprägtem Narzissmus angeboren ist und später durch bestimmte Lebensumstände verstärkt wird. Übermäßige Bewunderung, aber auch Vernachlässigung oder Missbrauch können dazu führen, dass Kinder ein verzerrtes Selbstbild entwickeln. Bei entsprechender genetischer Veranlagung können diese Erfahrungen dann dazu führen, dass Menschen zunehmend soziale Aufmerksamkeit auf sich ziehen, um sich immer wieder grandios und überlegen zu fühlen. Das zieht zwar langfristig viele Nachteile in Beziehungen nach sich, dient aber kurzfristig oft als Schutz gegen tiefsitzende Unsicherheiten und Selbstzweifel.
Schmitt: Zunächst einmal ist Narzissmus nichts, was automatisch als krank oder gefährlich bewertet werden sollte, sondern ein weit verbreitetes Persönlichkeitsmerkmal. Erst in hoher oder extremer Ausprägung führt Narzissmus zu Leid und Nachteilen in Beziehungen, so wie das bei anderen Wesenszügen in ihrer Extremform auch ist. Es gibt zunehmend gute Therapieansätze bei extrem ausgeprägten Persönlichkeitsmerkmalen. Diese fruchten allerdings nur, wenn eine Person auch ausreichend motiviert ist, was meist erst bei einem hohen eigenen Leidensdruck der Fall ist.
Schmitt: Manipulative und fordernde Narzissten gehören zu den Menschen, mit denen der Umgang am schwierigsten ist. Sie können gleichermaßen faszinierend und sehr verletzend sein, wodurch nicht selten toxische Beziehungen entstehen. Partnerinnen und Partner fühlen sich dann besonders verantwortlich für das Befinden des Narzissten und vernachlässigen eigene Bedürfnisse. Oft hilft es, wieder eine emotionale Distanz zu einer narzisstischen Persönlichkeit herzustellen. Man sollte aufhören, die betreffende Person ändern zu wollen und das unangemessene Verhalten der Person zunächst einmal akzeptieren. Schenkt man der narzisstischen Person die nötige soziale Aufmerksamkeit, entspannen sich Konflikte mitunter. Vor allem ist es aber wichtig, gut auf eigene wunde Punkte und Bedürfnisse Acht zu geben und sich zu fragen, bis zu welcher Grenze man diese Beziehung wirklich aufrechterhalten möchte.
Schmitt: In Beziehungen mit narzisstischen Persönlichkeiten kann es passieren, dass eigene Prinzipien und Gewohnheiten über Bord geworfen werden. Man sollte daher besonders hellhörig werden, wenn Menschen aus dem Umfeld die Rückmeldung geben, dass man sich grundlegend verändert hat oder dass man zu Vieles mit sich machen lässt. Außerdem sollte es ein wichtiges Warnsignal sein, wenn man in der Beziehung zu einer Person immer wieder dieselben negativen Gefühle (z.B. Schuld) empfindet, obwohl man das aus anderen Beziehungen nicht gewohnt ist. Sich aus einer solchen verstrickten Beziehung zu lösen ist sehr schwer und gelingt oft nur mit einem therapeutischen Beistand. Gute Anlaufstellen können hier die psychotherapeutischen Beratungsstellen der Region sein, z.B. das evangelische Beratungszentrum, die Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle der Diözese, die psychotherapeutische Beratungsstelle des SKF, die Familienberatungsstelle der Stadt Würzburg oder die psychotherapeutische Beratungsstelle des Studierendenwerks.