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WÜRZBURG
Würzburger Paar zeigt, wie deutsch-griechische Liebe geht
Tsipas-Merkel graffiti in Athens       -  Deutsch-griechisches Paar: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras auf einem Graffito in Athen.
Foto: Orestis Panagiotou, dpa | Deutsch-griechisches Paar: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras auf einem Graffito in Athen.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:53 Uhr

Die Diskussion um den richtigen Umgang mit Flüchtlingen hat das Thema Griechenland etwas an den Rand der politischen Debatte gedrängt. Dabei ist die Krise dort noch lange nicht vorbei. Nach dem Sieg der Linkspartei Syriza bei der Parlamentswahl im Januar 2015 spitzte sich der Streit zwischen dem Mittelmeerstaat und seinen europäischen Partnern zu. Nach langwierigen Debatten, vielen Drohungen, einem Referendum und einer erneuten Wahl gab Ministerpräsident Alexis Tsipras in vielen Punkten klein bei. Seine Landsleute machen vor allem Kanzlerin Angela Merkel für die Sparauflagen verantwortlich. Das deutsch-griechische Verhältnis ist vielfach getrübt. Warum das so ist, dazu äußern sich im Interview Dimitra und Michael Will. Die Griechin und der Deutsche, die in Würzburg wohnen, haben 2015 geheiratet.

Frage: Nie stand es um das Verhältnis zwischen Deutschen und Griechen so schlecht wie 2015. Was sagen Sie, wenn Sie so eine Schlagzeile lesen?

Dimitra Will: Wir finden solche Zeilen recht amüsant, schließlich haben wir, eine Griechin und ein Deutscher, 2015 nach griechisch-orthodoxem Ritus auf deutschem Boden geheiratet. Mehr deutsch-griechische Gemeinsamkeit geht nicht, oder? Es war ein wunderschönes Fest.

Wenn das Alexis Tsipras und Angela Merkel wüssten.

Michael Will: Vielleicht sollten wir ihnen ein Hochzeitsbild schicken.

Schöne Idee. Aber im Ernst. Spielt die Griechenland-Debatte in Ihrem Alltag eine Rolle?

Dimitra Will: Natürlich verfolgen wir beide die politische Entwicklung recht intensiv. Es geht schließlich um meine Heimat. Der größte Teil meiner Verwandtschaft lebt auf Kreta, mein Bruder arbeitet dort im Tourismus. Da macht man sich Sorgen, wenn man Bilder wie im Sommer sieht, mit den langen Schlangen der Menschen vor den Geldautomaten. Oder die soziale Not in den Städten. Da geht es meiner Familie zum Glück besser.

Griechisch-deutsches Paar: Dimitra und Michael Will bei ihrer Hochzeit am 26. September 2015 in der griechisch-orthodoxen Kirche in Frankfurt.
Foto: Katharina Trutzl | Griechisch-deutsches Paar: Dimitra und Michael Will bei ihrer Hochzeit am 26. September 2015 in der griechisch-orthodoxen Kirche in Frankfurt.
Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, sind aber griechische Staatsbürgerin.

Dimitra Will: Ja. Ich glaube, nach derzeitigem Recht könnte ich die doppelte Staatsbürgerschaft beantragen. Das überlege ich mir auch. Aber meinen griechischen Pass würde ich nie hergeben. Niemand wird mir vorwerfen können, ich sei nicht integriert. Ich habe sogar Germanistik studiert (lacht). Aber ich bin in der griechischen Gemeinde in Frankfurt groß geworden, fühle mich da zugehörig. Und ich träume nach wie vor auf Griechisch.

Michael Will: Und Du fluchst auf Griechisch.

Dimitra Will: Stimmt. Ist aber weniger geworden, seit ich Dich kenne . . .

Also doch kein Klischee, dass die Griechen emotionaler und temperamentvoller, eben laut, verschwenderisch und chaotisch sind, die Deutschen stattdessen immer pünktlich, arbeitsam, sparsam und eher spaßbefreit . . .

Michael Will: Da haben Sie jetzt aber kein Vorurteil ausgelassen.

Ich zitiere nur, was so im Umlauf ist.

Dimitra Will: Ich bin immer pünktlich.

Michael Will (lacht): Die große Ausnahme. An solchen Beschreibungen ist schon was dran. Es ärgert mich aber, wenn die Eigenschaften, die so den Griechen zugeordnet werden, durch die Bank negativ bewertet werden. Ich erlebe das bei Dimitras Verwandten und griechischen Freunden ganz anders. Die sind oft laut und temperamentvoll, aber dabei ungemein herzlich, offen. Wenn die griechisch-orthodoxe Kirchengemeinde feiert, das ist immer ein Fest. Die Leute sind großzügig, auch wenn sie finanziell vielleicht gar nicht so gut dastehen. Das hat eine besondere Qualität. Ich bin sehr glücklich darüber, wie herzlich sie mich aufgenommen haben. Als Mensch, nicht als Vertreter deutscher Politik.

Sie sind sogar der griechisch-orthodoxen Kirche beigetreten.

Michael Will: Das war die Voraussetzung, um nach dem traditionellen griechisch-orthodoxen Ritus heiraten zu können. Ich bin im Spessart römisch-katholisch getauft und erzogen worden, später als Student aus der Kirche ausgetreten. Ich bin jetzt nicht plötzlich vom Saulus zum Paulus geworden, aber mich beeindrucken die Menschen dort in der Gemeinde, ihr selbstverständlicher Umgang mit dem Glauben. Das wirkt auf mich entspannter, freudiger, als ich es gewohnt war.

Ein Beispiel?

Michael Will: Die Gottesdienste sind ein gutes Beispiel. Offiziell dauert die Messe von 9 bis 12.30 Uhr. Aber die wenigsten Besucher sind von Anfang an da. Erst kurz vor dem Abendmahl, gegen 11.30 Uhr, ist es dann rappelvoll. Die Leute verlassen die Kirche zwischendurch auch mal, um zu rauchen oder über die Fußballergebnisse vom Samstag zu diskutieren.

Sehen Sie Parallelen zur Politik?

Michael Will: Ich glaube schon. Das Unverständnis, auf das Griechenland bei den übrigen Europäern stößt, rührt meiner Meinung nach auch von unterschiedlichen Denkweisen her. Die Griechen denken vielleicht nicht immer geradeaus auf einen Endpunkt hin. Das heißt aber nicht, dass sie nicht denken. Die finden immer eine Lösung, denken auch mal um die Ecke, machen manchmal Umwege und improvisieren viel. Dabei lassen sie sich ungern reinreden, sie können auch ganz schön stur und hartnäckig sein. Gell, Schatz. (lacht)

Aber man sieht doch, wo solches Denken hingeführt hat. Die wirtschaftliche Not, die enormen Schulden, die fehlende Steuergerechtigkeit, das ist doch Realität.

Michael Will: Ja, da ist schon einiges im Argen, aber unsere deutschen Realitäten sind ja auch nicht immer so toll wie sie verkauft werden. Aber dass man dem Arzt erst ein Trinkgeld, das sogenannte Fakelaki, geben muss, bevor er einen behandelt, darf natürlich nicht sein.

Dimitra Will: Selbstverständlich muss sich was verändern. Das Schlimmste in Griechenland ist die Parteienwirtschaft. Die linke Pasok und die rechte Nea Dimokratia haben sich das Land über die Jahrzehnte aufgeteilt. Es ist dabei verrottet. Nach jeder Wahl haben die Sieger neue Posten für die Günstlinge ihrer jeweiligen Partei geschaffen. Der Beamtenapparat ist ohne Ende aufgebläht. Gut, dass jetzt Syriza an die Macht gekommen ist. Ich glaube schon, dass Tsipras und seine Leute diese Mentalität verändern können. Aber man muss ihnen Zeit geben. Die Regierung ist erst ein Jahr im Amt. Wenn da jetzt gesagt wird, die tun nichts, macht mich das wütend. Das ist unfair.

Müssen Sie Griechenland oft verteidigen?

Dimitra Will: Nein, im Alltag eher weniger. Meine Freunde und Kollegen sehen die Dinge zum Glück differenzierter als die Boulevardmedien auf beiden Seiten. Ein Würzburger Professor hat mir sogar zum Sieg von Syriza gratuliert.

Wie haben Sie den umstrittenen Finanzminister Yanis Varoufakis wahrgenommen?

Dimitra Will: Anfangs habe ich mich gefreut, dass da jemand gegen den Strom geschwommen ist. Aber der Auftritt bei Jauch war eindeutig ein Fehler, die persönlichen Angriffe gegen Schäuble und Merkel waren undiplomatisch. Dann noch die Hochglanzbilder vom Salon-Linken im französischen Magazin „Paris Match“. Ich finde es schade, aber es ist nach all dem sicher besser, dass er nicht mehr im Amt ist.

Ist der „Grexit“, der Ausstieg aus Euro und Europäischer Union, eine Alternative?

Dimitra Will: Kann schon sein, dass sich die Wirtschaft mit der Drachme eher wieder berappelt. Da müssen Sie die Experten fragen. Aber ein Ausstieg aus der EU? Das wäre der Anfang vom Untergang Europas.

Wirklich so dramatisch?

Michael Will: Aber ja. Ohne die griechische Kultur, ohne die antiken Philosophen, Dichter, bildenden Künstler, Mathematiker, Architekten gäbe es dieses Europa doch gar nicht. Griechenland ist unser aller Fundament.

Dimitra Will: Schön, wie Du das sagst. Wird Zeit, dass Du mal mit in meine Heimat kommst.

Michael Will: Es ist mir etwas peinlich. Aber ich war noch nie in Griechenland. Mein Vorsatz fürs neue Jahr ist, endlich mal nach Kreta zu reisen. Mit Dimitra natürlich.


Dimitra und Michael Will

Dimitra Will, geborene Maragoudakis, ist 1986 in Frankfurt/Main geboren. Ihr Vater kam in den 70er Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland, arbeitete zunächst als Kraftfahrer, später dann als Chemiker bei Hoechst. Sie besuchte sowohl deutsche Schulen als auch die griechische Nachmittagsschule (bis zur neunten Klasse). Nach dem Abitur an einem Frankfurter Gymnasium studierte sie in Würzburg Musikwissenschaft, Germanistik und Dirigieren. Derzeit promoviert sie am Institut für Musiktheater der Universität Bayreuth. Bereits seit 2006 ist Dimitra Will die Dirigentin des Würzburger „Ensemble Pizzicato“, in dem 50 junge Hobbymusiker musizieren.

Michael Will ist 1962 in Lohr geboren und in Rechtenbach (Lkr. Main-Spessart) als Sohn eines Bäcker- und Konditormeisters groß geworden. Nach dem Abitur in Lohr studierte er in Würzburg Germanistik und Romanistik. Im Zuge seiner Promotion beschäftigte er sich mit Georg Büchners Erzählung „Lenz“. Will ist heute Akademischer Oberrat am Institut für Deutsche Philologie (Neuere Abteilung) der Uni Würzburg. Unter anderem arbeitet er an der digitalen Ausgabe des Nachlasses des oberfränkischen Dichters Jean Paul. Text: Micz

 
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