Afrika als endlose Steppe oder als Inbegriff für Kriege, Krankheit und Katastrophen? Über dieses gängige Zerrbild kann Dr. Gabriele Köthe nur den Kopf schütteln. Die 77-jährige Gynäkologin hat den Kontinent in 37 Jahren anders erlebt - voller Lebensfreude, Energie und Menschlichkeit. Mit 20 Jahren schloss sich die gebürtige Bremerhavenerin der säkularen Gemeinschaft der Missionshelferinnen an, studierte Medizin in Würzburg und Heidelberg und ging 1972 für drei Jahre als Ärztin in das damalige Rhodesien (Simbabwe). Von 1978 bis zur Übergabe an einheimisches Personal im Jahr 2012 leitete sie in Ghana das Missionshospital St. Martin de Porres, wohin ihre Gemeinschaft seit 1959 immer wieder Schwestern schickte. Heute lebt Gabriele Köthe bei den Missionshelferinnen in Würzburg und hat gerade ihre Erinnerungen veröffentlicht. Ein Gespräch über ganz persönliche afrikanische Erfahrungen.
Gabriele Köthe: Ja, die einzelnen Länder sind wirklich sehr verschieden. Ich selbst kann nur über Ghana sprechen, da war ich 34 Jahre, und über meine drei Jahre in Rhodesien, dem heutigen Simbabwe. Als ich einmal zu Besuch in Uganda war, bin ich erschrocken: 30 Prozent der schwangeren Frauen waren HIV-positiv. Das war für Ghana damals unvorstellbar. Wir haben dann eine große Präventionskampagne gemacht, das zeigte Wirkung.
Köthe: Es ist dieses herzliche laute Lachen. Wenn man etwas Witziges sagt oder auch: Wenn es besonders ernst ist. Am Anfang habe ich mich darüber gewundert, dann habe ich verstanden: Sie haben in ernsten Situationen eine so große innere Anspannung, dass sie einfach loslachten. Oder die Musik: Ein paar Takten reichen, und die Frauen fangen an zu tanzen. Und andere Leute imitieren, das können die Ghanaer so wunderbar, dass man viel lachen muss.
Köthe: Wir hatten zum Beispiel eine Operation um sieben Uhr angesetzt. Aber die Helfer waren nicht da. Oder bei offiziellen Meetings der Regierung, angesetzt auf acht Uhr: Niemand anwesend. Im Dorf habe ich das verstanden, es gab ja keine Uhren. Unserem OP-Team haben wir als erstes Armbanduhren gekauft. Ansonsten hießt es immer: Ghanaische Zeit, da musste man eine halbe oder ganze Stunde dazurechnen. Was Pünktlichkeit angeht, haben wir ein ganz anderes Verständnis.
Köthe: Ich habe die Menschen in Ghana als wahnsinnig hilfsbereit erlebt. Das geht aber leider so weit, dass man auf eine Frage – zum Beispiel nach dem Weg – immer eine Antwort bekommt, auch wenn sich der Betreffende gar nicht auskennt.
Köthe: Die einfachen Leute im Busch möchten gefällig sein und können nicht zugeben, dass sie etwas nicht wissen. Auch bei Versprechen: Sie bedeuten in Ghana nur, dass man etwas ernsthaft versuchen will – ob man das Versprechen erfüllt, ist damit nicht gesagt.
Köthe: Nein. Der Doktor als solcher war in dem Land eine absolute Autoritätsfigur. Die Menschen waren heilfroh, dass ein Arzt im Busch ist. Und sie wussten, dass wir dafür große Opfer gebracht haben. Sie hatten eine große Achtung für uns. Und die Leute haben aus Dankbarkeit oft ihr Letztes hergegeben, ein Huhn oder eine Ziege. Wir wollten das eigentlich nicht annehmen. Aber andernfalls hätten wir die Menschen beschämt, weil sie das aus ganzem Herzen tun.
Köthe: Man fühlte sich oft beschämt. In Deutschland lädt man nur seine Freunde ein, man muss angemeldet sein. In Ghana liefen spontan alle zusammen und für die Gäste wurde das Beste gegeben.
Köthe: Ja, die Spontaneität und die Improvisation. Wenn zum Beispiel unser Wagen im Schlamm stecken blieb, fand unser Fahrer immer einen Trick, ihn da rauszuholen und weiterzufahren.
Köthe: Nicht wirklich Angst. Aber beim ersten Putsch gingen die Soldaten durch den Busch und haben Leute zusammengeschlagen. Sie kamen mit einem großen mächtigen Offizier dann auch in die Klinik, um zu sehen, ob etwas zu holen ist. Er war erst sehr ernst und wütend. Ich habe dann den Ältestenrat eingeschaltet. Was sie ihm gesagt haben, weiß ich nicht. Aber eine Woche später kamen die Militärs wieder – nicht, um zu plündern. Stattdessen versorgten sie uns im Hospital mit allem, was wir brauchten.
Köthe: Ich habe Afrika die besten Jahre meines Lebens gegeben, aber auch die besten Jahre meines Lebens zurückbekommen. Man wird wirklich bereichert durch eine andere Kultur, Natur und vor allen Dingen durch die Menschen. Es war ein Privileg, dort als Doktor zu arbeiten. Es gab immer etwas Neues, es war immer etwas los. Natürlich war es anstrengend – aber als ich zurückkam, fand ich das Leben hier zunächst sehr langweilig. Dann fand ich beim Malteserbesuchsdienst und als Hospizhelferin wieder Aufgaben, die mich forderten und erfüllten. Auch gibt es in der Gemeinschaft viel zu tun, weil wir die meisten Arbeiten noch selbst erledigen.
Köthe: Ich bin zwar Missionsärztin – aber ich habe mit meinen Händen missioniert, nicht mit dem Mund. Es gab ja auch bei den Christen dort einiges an Aberglauben. Die Menschen sind damit aufgewachsen und die meisten haben Angst vor einem Fetisch.
Köthe: Nein, in keiner Weise. Ich habe nicht gepredigt. In unserm Hospital haben wir zu 70 Prozent Muslime behandelt und in der Nähe war ein großes Dorf, wo 3000 Muslime wohnten. Ich wurde von der „Royal Family“ der Muslime oft eingeladen und hatte dort einige Freunde. Wir luden sie auch zu unserer großen Abschiedsfeier ein. Nach der Rede von einigen Politikern riefen sie im Sprechchor: „Dr. Gabi should stay! Dr.Gabi should stay!“ Soweit unser Verhältnis zu Muslimen…
Köthe: 50 Millionen Menschen wurden aus Afrika nach Amerika versklavt. Und die Deutschen haben bei diesem Sklavenhandel mitgemacht. Da hatte ich vor meiner Ankunft in Ghana richtig Angst, dass diese Geschichte negativ für meine Aufnahme sein könnte. Aber erlebt habe ich dann genau das Gegenteil – obwohl das Land komplett afrikanisiert und nur noch ein einziger weißer Bischof im Amt war.
Köthe: Ja, das hängt mit der Berichterstattung in den Medien und den negativen Schlagzeilen zusammen. Findet in einem der über 50 Länder ein Bürgerkrieg statt, wird das sofort wieder auf ganz Afrika übertragen. In meinem Buch beschönige ich nichts, beschreibe auch die dunklen Seiten, wie die grassierende Korruption. Noch immer bereichern sich Politiker. Aber das stand für meine Wahrnehmung nicht im Vordergrund.
Köthe: Wir sind auf unberechtigte Geldforderungen normalerweise nicht eingegangen. Nur einmal – da musste ich nach Accra fahren und auf dem Amt den Scheck für die kompletten Gehälter unseres Klinikpersonals holen. Nur: Um diesen Scheck zu bekommen, musste ich an fünf verschiedenen Stellen Schmiergeld bezahlen. Ich war gezwungen dazu. In anderen Fällen haben wir nicht bezahlt – dafür mussten wir fast ein Jahr warten, bis wir unsere Pässe zurückbekamen. Die Korruption zog sich durch viele Lebensbereiche. Wenn Eltern ihr Kind zur Schule anmelden wollten, mussten sie dem Direktor und später dem Lehrer Geld geben.
Köthe: Ja, das ist ein Faktor. Wir hatten auch Betrugsfälle im Hospital. Bei der Aufdeckung hieß es dann, sie hätten mit den Geldern die Großfamilie unterstützt. Wer Zugang zu Ressourcen hatte, stand unter diesem Druck. Deswegen haben auch ausgebildete Leute das Land verlassen.
Köthe: Der Kontinent wird ja weiterhin von Fremden ausgebeutet, nehmen Sie Rohstoffe wie Coltan oder das Erdöl. Und ich befürchte: Die Zukunft in Afrika gehört den Chinesen. Sie haben überall ihre Hände drin. Kamen die Bauarbeiter aus China vorher nur für die Projektlaufzeit, so bleiben sie jetzt im Land. Die Chinesen haben ihre Goethe-Institute, haben Zeitungen und sogar eigene Armeeabteilungen in afrikanischen Ländern. Viele Afrikaner studieren auch in China. Das meiste läuft subkutan und der Wesen bekommt nichts davon mit. Wir sind da ziemlich blauäugig.
Köthe: Nein. Egal wo ich gearbeitet habe – ich bin nie mehr zurückgekehrt. Immer aus Angst vor Enttäuschung. So ist es auch mit Ghana: Da gibt es bestimmt viele Veränderungen, die mir nicht gefallen würden. Das würde mir nur wehtun. Ähnlich ergeht es allen unseren Schwester. Vielleicht würde ich aber auch wieder Sehnsucht bekommen nach dem aufregenden Leben… Die Klinik in Eikwe jedenfalls unterstützen wir weiterhin.
Köthe: Ich habe die Ghanaer immer bewundert, wie sie die Unbill des Lebens oder des Alterns hinnehmen nach dem Motto: Es ist einfach so. Sie stehen über den Dingen, sind immer zuversichtlich, antworten mit einem Lachen: „Das wird schon.“ Anstatt ständig zu meckern, könnten wir ein Stück dieser Gelassenheit gut gebrauchen. Und natürlich: ein großes Gottvertrauen.