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WÜRZBURG
Würzburger Flüchtlingsprojekt bekommt Integrationspreis
Geigenlehrerin Anna Mavrommatis-Karaaslan übt mit Sarah Makhoul für den Auftritt am heutigen Donnerstag. Foto: Pat Christ
| Geigenlehrerin Anna Mavrommatis-Karaaslan übt mit Sarah Makhoul für den Auftritt am heutigen Donnerstag. Foto: Pat Christ
Pat Christ
Pat Christ
 |  aktualisiert: 27.04.2023 05:30 Uhr

Musik ist eine Kunst wie keine andere. Sie verbindet Menschen über Schranken und Schicksale hinweg. Diese Kraft der Musik wollte Jonas Hermes nutzen, um Kindern in Flüchtlingsunterkünften nach oft schrecklichen Erlebnissen das Ankommen in Würzburg zu erleichtern. Aus dieser vor drei Jahren geborenen Idee, „Willkommen mit Musik“ (WiMu) genannt, entwickelte sich die „Solidarische Musikschule WiMu“. Am heutigen Donnerstag erhält die Initiative den Integrationspreis der Regierung von Unterfranken.

„Dass wir heute eine Musikschule sind, daran ist Sarah schuld“, schmunzelt Jonas Hermes. Irgendwann erzählte ihm die ehemalige Mönchbergschülerin, dass sie in ihrem Heimatland Syrien das Geigenspiel erlernte. Dann kam der Krieg. In die Musikschule zu gehen, war nicht mehr möglich. Die Familie versuchte, wie so viele andere Syrer, sich nach Deutschland in Sicherheit zu bringen. Das gelang. Doch was in Syrien zu Friedenszeiten selbstverständlich war, rückte in der neuen Heimat mangels Geld in weite Ferne: Sarah Makhouls Eltern konnten ihrer Tochter keinen Musikunterricht mehr finanzieren.

Mehr als 30 Menschen erlernen ein Instrument

Im Mai 2015 begann Sarah Makhoul, ihr Geigenspiel bei WiMu-Lehrerin Anna Mavrommatis-Karaaslan weiterzuentwickeln. Damit erweiterte WiMu zugleich seine Gruppenangebote um Einzelunterricht. Zwischen 30 und 35 Kinder, Jugendliche und Erwachsene erlernen derzeit bei WiMu-Musiklehrern ein Instrument.

Sarah, stellte sich heraus, hat ein ganz beachtliches Musiktalent. Beim Quali wählte sie Musik als Prüfungsfach. Der heute 18-Jährigen gelang es, Bestnoten zu ergattern: Zweimal eine Eins. „Dieses Talent wäre ohne WiMu brachgelegen“, unterstreicht Jonas Hermes. Wie so viele andere Begabungen, die Flüchtlingskinder mit nach Deutschland bringen.

Das Projekt „WiMu“, das zwischenzeitlich ins Theater am Neunerplatz integriert wurde, entwickelte sich rasant weiter.

„Nicht nur Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sind benachteiligt“, so Jonas Hermes. Viele Jungen und Mädchen aus einheimischen Familien hätten ebenfalls keine Chance, ihre musischen Begabungen zu entfalten. Ihre Eltern leben entweder von Hartz IV oder haben aufgrund eines prekären Jobs kaum Einkommen. Auch an sie wendet sich WiMu. Seit genau einem Jahr nennt sich die Initiative deshalb „Solidarische Musikschule“.

Wie in jeder anderen Musikschule, kostet der Unterricht Geld – schließlich handelt es sich bei den 16 Lehrerinnen und Lehrern um Profis, die von der Musik leben. 32 Euro wird pro Stunde veranschlagt. Wobei Familien, die genug Geld haben, ärmere Familien nach dem Solidarprinzip mitfinanzieren. Hermes: „Über 90 Prozent unserer Schüler werden unterstützt.“

Wer kein Geld hat, bekommt kostenlosen Unterricht

Väter und Mütter, die sich für WiMu interessieren, werden zum Gespräch eingeladen. Stellt sich heraus, dass kein Geld für Musikunterricht vorhanden ist, werden die Kinder kostenlos oder für einen deutlich reduzierten Beitrag aufgenommen. Bescheinigungen lässt sich das WiMu-Team nicht vorlegen. Denn das empfinden viele Betroffene als demütigend.

Neben dem Musikunterricht gibt es weiterhin kostenlose Angebote. Musikpädagogin Rosa Faerber besucht zum Beispiel regelmäßig den Familienstützpunkt im Heidingsfelder Reuterhaus. Hier musiziert sie mit Kindern ab einem Jahr. Familien aus dem ganzen Stadtteil, vor allem aber Mütter aus der Flüchtlingsunterkunft, nehmen an dem Angebot teil. Auch in der Schweinfurter Unterkunft ist WiMu aktiv.

Aktuell steht WiMu vor einem weiteren Schritt: Sarah Makhoul möchte mit zwei oder drei anderen Jugendlichen ein eigenes Projekt realisieren. „Die Idee ist, an Weihnachten in ein Seniorenheim oder in ein Krankenhaus zu gehen und dort Musik zu machen“, sagt Hermes. Die Teenager sollen sich überlegen, wohin sie genau gehen und welches Programm sie anbieten möchten. Auf diese Weise erleben sie, dass sie, die so lange Zeit in der Situation waren, Unterstützung annehmen zu müssen, selbst etwas auf die Beine stellen und anderen eine Freude machen können.

Ein Teil des Preisgelds von 2500 Euro soll in diese neue Projektidee fließen.

Noch hat Sarah Makhoul keinen Kopf, um ihr erstes eigenes Projekt anzupacken – steht sie doch zunächst vor einer anderen Herausforderung: Bei der Preisverleihung wird sie mit Fengrui Jiang, der bei WiMu Klavierunterricht erhält, einen Satz aus einer Komposition von Oskar Rieding vortragen. Lange übten sie und Fengrui mit Anna Mavrommatis-Karaaslan daran.

Vor Integrationsministerin Emilia Müller und Regierungspräsident Paul Beinhofer zu spielen, ist zweifellos eine aufregende Sache. Auf wie viele Feinheiten beim Vortrag zu achten ist! „Was ihr eben gespielt habt, klingt noch nicht abwechslungsreich genug“, meint Anna Mavrommatis-Karaaslan. „Denkt mal darüber nach: Was will das Stück erzählen?“ Sarah und Fengrui beginnen noch einmal von vorn: „Viel besser!“ Jetzt klingt die Passage deutlich tänzerischer: „Lasst sie richtig frech und aufmüpfig klingen, das darf nicht gefällig sein!“

Nicht nur Sarah Makhoul, die bei ihrem Quali glänzte, wurde dank WiMu ein Erfolgserlebnis beschert. Auch Fengrui Jiang, dessen Familie aus China stammt, bewies vor kurzem, wie großartig er Klavier spielt: Bei „Jugend musiziert“ gewann der 14-Jährige den dritten Preis. Ein syrischer WiMu-Teilnehmer gelang sogar der Sprung in eine Berufsfachschule: Seit kurzem studiert er in Bad Königshofen.

Der Integrationspreis der Regierung von Unterfranken wird am heutigen Donnerstag um 16 Uhr in der Alten Synagoge in Kitzingen verliehen.

„Lasst sie richtig frech und aufmüpfig klingen!“
Anna Mavrommatis-Karaaslan, WiMu-Lehrerin
Anna Mavrommatis-Karaaslan mit Fengrui Jiang bei einer Probe. Foto: Pat Christ
| Anna Mavrommatis-Karaaslan mit Fengrui Jiang bei einer Probe. Foto: Pat Christ
 
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