Bewegung ist gesund. Und doch fällt es im Arbeitsalltag oft schwer, genügend körperliche Aktivität zu entfalten oder regelmäßig Sport zu treiben. Ist Sitzen wirklich „das neue Rauchen“, wie es provokant in einem Buchtitel heißt?
Wir sprachen mit Prof. Dr. Olaf Hoos, Sportwissenschaftler und seit 2012 wissenschaftlicher Leiter des Sportzentrums an der Universität Würzburg und damit verantwortlich für die Sportlehrerbildung. Der 45-Jährige hat sich 2012 an der Uni Marburg für die Disziplinen Trainingswissenschaft und Sportbiologie habilitiert.
Seine Forschungsschwerpunkte sind die Bereiche Leistungs-, Bewegungs- und Gesundheitsdiagnostik sowie Entwicklungsförderung im Kinder-, Jugend- und Inklusionssport.
Hoos arbeitet mit den Basketball-Profis von s.Oliver Würzburg seit einigen Jahren in der Leistungsdiagnostik und im Trainingsmonitoring zusammen – und begleitet „Move It“, den am Montag startenden, zwölftägigen Schritte-Wettbewerb der Baskets mit Teams aus 24 Unternehmen der Region.
Frage: Herr Hoos, haben wir verlernt, uns zu bewegen?
Olaf Hoos: Ich würde nicht sagen „verlernt“, aber wir haben es vergessen. Dabei ist der Mensch ein Bewegungstier. Aber wir gestalten unseren Alltag gerade in der Dienstleistungsgesellschaft so, dass wir Bewegung, von der wir eigentlich abhängig sind, ein Stück weit vergessen.
Warum ist das so?
Hoos: Weil der Alltag es nicht mehr so erfordert. Evolutionär gesehen, sind die Wege weggefallen, die wir früher zurückgelegt haben, um Nahrung zu sammeln oder uns zu verteidigen. Wir können alles motorisiert machen – das ist verlockend und bequem. Und im hektischen Alltag ist damit viel mehr in kürzerer Zeit zu erledigen. Dieses Effizienzdenken in Verbindung mit der Motorisierung verdrängt die eigene Bewegung.
Mit negativen Folgen für unsere Gesundheit? Gibt es konkrete Verbindungen zu Krankheitsbildern wie Rückenleiden?
Hoos: Das ist nachweislich so, etwa im orthopädischen Bereich – Stichwort chronischer und unspezifischer Rückenschmerz. Der hat oft damit zu tun, dass der Rücken wie der Körper insgesamt zu wenig bewegt werden. Andere Problematiken sind Adipositas, also Übergewicht, und Diabetes-Erkrankungen, die sich mangels Bewegung stärker herausbilden. Das ist statistisch belegt.
Das heißt, Bewegung ist Medizin?
Hoos: Definitiv! Vergleichsstudien zeigen, dass Bewegung eine medikamentöse oder vielleicht sogar eine bessere Wirkung hat. So konnte nach der Intervention mit Bewegung in einer Gruppe von Diabetes-Patienten das eine oder andere Medikament weggelassen werden.
Geht es nur um spezifische Krankheiten oder das Allgemeinbefinden, zum Beispiel die Stärkung des Immunsystems?
Hoos: Es geht natürlich auch um das allgemeine Wohlbefinden und um psychische Aspekte: Sport wirkt stimmungsaufhellend. Wir haben Belege dafür, dass Sport als Therapie bei psychischen Erkrankungen in Verbindung mit medikamentöser Behandlung und Gesprächstherapie durchaus mithalten kann.
Wie viel Bewegung ist denn nötig, um für sich einen spürbaren gesundheitlichen Effekt zu erzielen?
Hoos: Es geht darum, einen zusätzlichen Energieverbrauch zu erzeugen, der im Regelfall unseren Grundumsatz um mindestens 1000, eher 1500 bis 2000 Kilokalorien pro Woche übersteigen sollte. In Schritten gezählt landen wir dann schnell bei sinnvollen 10 000 Schritten pro Tag, was ungefähr acht Kilometern entspricht.
Diesen empfohlenen Wert hat die Weltgesundheitsorganisation WHO festgesetzt. Warum 10 000 Schritte täglich?
Hoos: Es gibt die Empfehlung von zweieinhalb Stunden zusätzlicher Aktivität pro Woche in Form von Ausdauertraining – wenn man es sportlich umsetzt. Bei diesem Maß können Sie im Sinne einer Dosis-Wirkung-Beziehung gesundheitliche Effekte feststellen. Aber nur, wenn die Aktivität über einen Mindestzeitraum geht. In der Regel sind es vier bis sechs Wochen, bis ein positiver Effekt für das Herz-Kreislaufsystem entsteht.
Wie schwer ist es, täglich 10 000 Schritte zu erreichen?
Hoos: Der typische Büromensch absolviert im Schnitt 6000 bis 7000 Schritte am Tag – ohne Extra-Aktivitäten. Das heißt, hier müsste noch die Hälfte dazukommen. Etwa auf dem Weg zur Arbeit, durch Treppe statt Fahrstuhl, Bewegung in der Mittagspause. Oder wie wäre es, ein Mitarbeitergespräch auch mal beim Spaziergang zu machen? Hier muss man etwas flexibel und kreativ sein.
Kann eine Gruppe hilfreich sein, um in Bewegung zu kommen?
Hoos: Absolut. Wenn man Sport im Verein aufnimmt, hat man feste Termine. Das kann helfen – so wie man auch für sich selbst der sportlichen Aktivität genauso einen festen Termin einräumen sollte wie für andere Aufgaben. Und da schafft die Gruppe einen Rahmen, der diszipliniert. Verabredungen, auch zu zweit, hält man in der Regel besser ein, als wenn man sich nur allein etwas vornimmt.
Ist so gesehen die bevorstehende Schritte-Challenge der Unternehmen mit den Baskets von s.Oliver Würzburg motivationsfördernd?
Hoos: Auf jeden Fall. Ich würde sogar sagen, das ist der Haupteffekt. Denn gesundheitliche Effekte, wie wir sie sonst in 100-Tage-Studien beobachten, werden wir hier in zwölf Tagen nicht erreichen können. Was aber in dieser Zeit sehr wohl möglich ist: Jeden Teilnehmer zu sensibilisieren für mehr Bewegung im Tagesablauf. Das heißt auch festzuhalten, wie viel oder wenig ich mich tatsächlich bewege.
Also sich selbst besser kennenlernen. . . Dafür gibt es heute mit Fitnesstrackern und anderen Geräten technische Hilfsmittel. Ist diese Vermessung des Selbst sinnvoll oder wird es übertrieben?
Hoos: Beides ist zu finden. Es kann als Hilfsanker sehr sinnvoll sein, um in Bewegung zu kommen. Denn die Dokumentation von Aktivität gibt mir eine objektive Einschätzung und kann mir die richtigen Ansatzpunkte zeigen. Die Kehrseite: Im Digitalzeitalter zählt das, was nicht digital erfasst ist, schnell nichts mehr. Da müssen wir im Sport bremsen: Es muss nicht alles vermessen werden.
Noch ein Tipp für Einsteiger: Mit welcher Art von Bewegung kommen wir am besten in die Gänge? Gehen, Laufen, Fitness-Studio. . .?
Hoos: Grundsätzlich empfehle ich, an die eigene Bewegungsbiografie anzuschließen. Das heißt: Wo war ich früher schon aktiv, was ich aus Zeitgründen jetzt nicht mehr mache? Und dann prüfen: Sind es wirklich die Zeitgründe oder werden sie nur vorgeschoben? Also schauen, was am besten zu einem passt – egal ob Gehen, Yoga oder Radfahren. Wichtig sind die Regelmäßigkeit und die Nachhaltigkeit über einen längeren Zeitraum.
Was läuft in der Regel schief, wenn es mit der sportlichen Aktivität nicht klappt?
Hoos: Oft fehlt die Geduld und die Betroffenen steigern zu schnell die Intensität. Da spüren gerade die weniger Sport- und Fitness-Affinen eine Art Überforderung. Sie haben dann keine Freude beim Sporttreiben. Sie tun es unter Zwang und fühlen sich nicht gut dabei. Das ist nicht nachhaltig. Viel besser ist es, langsam aufzubauen.
Zur Bewegung motivieren – das will ab diesem Montag zwölf Tage lang die zweite Schritte-Challenge mit den Basketball-Profis von s. Oliver Würzburg. Bei der Premiere vor einem Jahr waren 14 Unternehmen und Einrichtungen vertreten, 258 Starter insgesamt. Sie legten stolze 40 000 Kilometer zurück – und jedes Team schaffte auch das Ziel von durchschnittlich 10 000 Schritten pro Tag. In diesem Jahr fordern 24 Teams mit 574 Teilnehmern aus regionalen Firmen und Institutionen die Profi-Basketballer heraus. Während diese ihre Tracker (Schrittezähler) in die Sportschuhe schnüren, wird die Aktivität aller anderen über Fitness-Uhren von Garmin gemessen. Das Unternehmen ist Ausrüster und technischer Partner der Aktion.
Gewinner ist das Team, das bis 16. März durchschnittlich die meisten Schritte macht. Auto stehen lassen, Treppe statt Aufzug, Mittagspause mit Kollegen an der Luft: „Mehr Bewegung in den Alltag einzubauen, ist gar nicht so schwer“, sagt Steffen Wienhold von s. Oliver Würzburg. „Man muss es nur machen!“ Die Challenge soll für eine Initialzündung sorgen.
Alle Infos und Zwischenstände kann man mitverfolgen unter:
www.moveit-challenge.de
www.mainpost.de/moveit-live
dann muss der Weg zur Kaffeemaschine
aber ein sehr weiter sein