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WÜRZBURG
Würzburger Arzt an Georg Büchners Totenbett
Von unserem Gastautor Johannes Dietl
 |  aktualisiert: 18.10.2013 17:51 Uhr

Johann Lucas Schönlein – von 1817 bis 1832 am Juliusspital in Würzburg als Internist tätig – betreute den an Typhus erkrankten Georg Büchner 1837 in seinen letzten Tagen. Beide wurden auf unterschiedlichen Wegen durch die politischen Wirren des deutschen Vormärz nach Zürich vertrieben. Als es mit Büchner zu Ende geht, treffen sich beide in Büchners Wohnung in der Spiegelgasse 12.

Die Vorgeschichte: Johann Lucas Schönlein wurde am 30. November 1793 – vor 220 Jahren – in Bamberg als Sohn eines Seilermeisters geboren, studierte von 1811 bis 1816 in Landshut und Würzburg Medizin und habilitierte sich 1817 an der Universität Würzburg. 1824 wurde er zum ordentlichen Professor und Leiter der Medizinischen Klinik am Juliusspital ernannt. Er galt einerseits als sehr fortschrittlich, andererseits als fauler Wissenschaftler, weil er in 14 Jahren nur drei kleine Arbeiten publizierte.

Obwohl Schönlein politisch nach außen wenig in Erscheinung trat, verhehlte er seine liberale Haltung nicht. Er gehörte dem Kreis fortschrittlicher Würzburger Professoren an, wie auch der damalige freiheitlich gesinnte Bürgermeister Wilhelm Josef Behr. Sie trafen sich fast täglich in der Geist’schen Bierstube neben dem Juliusspital in der Kühgasse, der sogenannten „Rauschhöhle“.

Gelegentlich nimmt an diesen Sitzungen auch einer der eifrigsten Schüler Schönleins Johann Gottfried Eisenmann teil. Dieser ist Herausgeber des „Bayerischen Volksblattes“, ein für Pressefreiheit sich einsetzendes unabhängiges oppositionelles Blatt. Als Folge des Hambacher Festes wird es 1832 beschlagnahmt und Eisenmann, der schon immer polizeilich beobachtet worden war, verhaftet. Zeitgleich mit dem Hambacher Fest hält Hofrat Behr am 27. Mai 1832 eine mutige Rede am Gaibacher Fest und wird daraufhin aus seinem Amte als Bürgermeister entlassen.

Nun gerät auch Schönlein wegen der „konspirativen Treffen“ in der „Rauschhöhle“ ins Visier der Ermittler. Gefördert durch die „Gesinnungsschnüffelei“ und persönlicher Intrigen einiger Kollegen wird er am 17. November 1832 seiner Professur an der Universität Würzburg enthoben. Er sollte als Kreismedizinalrat nach Passau versetzt werden. Dem kommt Schönlein mit der Bitte um vorzeitige Entlassung aus dem Bayerischen Staatsdienst zuvor. Er trägt sich mit dem Gedanken, sich in Frankfurt niederzulassen.

In der Zwischenzeit hat er aber von dem ausgeschriebenen Lehrstuhl an der Universität Zürich erfahren und bewirbt sich ohne Umschweife auf diese Stelle. Nach ergangenem Ruf beginnt Schönlein Anfang 1833 mit den Verhandlungen in Zürich. Seine Rückreise aus Zürich unterbricht Schönlein mit einem Aufenthalt in Frankfurt, wo er dem Hause Rothschild noch eine ärztliche Konsultation abstattet. Baron Rothschild nimmt ihn aber länger als beabsichtigt in Anspruch, so dass er sich am 3. April 1833, am Tag des „Frankfurter Wachensturms“ noch in Frankfurt aufhält.

Der Frankfurter Wachensturm war der gescheiterte Versuch, durch einen Überfall auf die Hauptwache eine Revolution in Deutschland auszulösen. Pfarrer Friedrich Weidig, der zusammen mit Georg Büchner den „Hessischen Landboten“ verfasste, war im Vorfeld an dieser Aktion der Opposition beteiligt. Büchner weilte damals allerdings noch in Straßburg.

Als politisch Verdächtiger des freiheitlichen Würzburger Professorenkreises wird Schönlein zur Fahndung ausgeschrieben. Laut Rudolf Virchow soll er sich durch Flucht auf einem Kahn mainabwärts nach Zell zu Friedrich Koenig – dem Erfinder der Schnellpresse – der Verhaftung entzogen haben. Noch in Zürich wird Schönlein wegen der angeblichen Beteiligung am „Frankfurter Wachensturm“ im Auftrag der Bayerischen Regierung verhört.

Drei Jahre nach Schönlein kommt Georg Büchner nach Zürich in die Spiegelgasse 12. Auch Büchner wird wegen des „Hessischen Landboten“ steckbrieflich gesucht und findet Asyl in Zürich. Er bleibt im brieflichen Kontakt mit seiner Verlobten in Straßburg. Am 27. Januar 1837 schreibt er ihr, die in großer Sorge um ihn war: „Mein lieb Kind, Du bist in zärtlicher Besorgnis und willst krank werden vor Angst; ich glaube gar, Du stirbst – aber ich habe keine Lust zum Sterben und bin gesund wie je.“

Und doch, Büchner hatte sich bereits infiziert.

In Zürich wohnte Büchner Tür an Tür mit Caroline und Wilhelm Schulz, deren Freundschaft er seit Straßburg sehr schätzte. Am 2. Februar 1837 lehnte Büchner einen gemeinsamen Spaziergang mit dem Ehepaar Schulz ab, „weil er sich nicht ganz wohl fühlte“. Die darauffolgenden Tage fesselte ihn das Fieber ans Bett und Caroline schreibt in ihr Tagebuch: „Wir beschlossen noch einen Arzt kommen zu lassen und zwar Schönlein“.

Am 12. Februar kam in Vertretung Schönleins, der gerade verreist war, sein Hauswirt und Arzt Johann Ulrich Zehnder. Am Morgen des 14. Februar „kam Schönlein und billigte ganz das bisherige Verfahren des Dr. Zehnder… Büchner sprach sehr vernünftig mit ihm, bekam aber schon während der Anwesenheit der Ärzte starke Hitze, …“.

Mit Datum des 15. Februar notierte Caroline: „Um 12 Uhr kam Schönlein … Schon als Schönlein eintrat, sagte er: ,Welch ein Geruch!', ließ sich den Stuhlgang zeigen, der ganz schwarz war und aus dickem Blut bestand, betrachtete den Kranken und sagte zu mir: ,Alles passt zusammen; es ist das Faulfieber und die Gefahr ist sehr groß.'“

Dieses Faulfieber, den Thyphus abdominalis putridus, hat Schönlein als besonders gefährliche Verlaufsform beschrieben. Kennzeichnend sind Ausscheidungen von „stinkendem dissolutem Blute aus dem After, der Nase, Bluterguss unter der Haut… . Der Harn ist eigenthümlich alieniert, er ist mehr braun, geht schnell in Fäulnis über und entwickelt Ammoniak“.

Caroline Schulz schreibt unter dem 17. Februar in ihr Tagebuch: „Schönlein wunderte sich, ihn am Morgen noch lebend zu finden; er kam täglich zweimal und nahm den größten Anteil.“

Inzwischen war Büchners Verlobte Wilhelmine aus Straßburg eingetroffen. Man ließ sie zunächst nicht an das Bett des Todkranken. Am 19. Februar heißt es bei Caroline Schulz: „Endlich geht Schönlein mit ihr an sein Bette, nach langem Anstarren, da meldet sich sein großer verwirrter Blick und die krampfhaft verzogene Miene gestaltet sich zu einem leisen Lächeln – er erkennt sie einen Augenblick und sinkt wieder in das grässliche Delirium zurück… Schönlein hat ihn aufgegeben“.

Am 19. Februar mittags um halb vier stirbt Georg Büchner, 23 Jahre alt. Seine Verlobte Minna kann ihm noch die Augen schließen.

Schönlein folgte 1839 einem Ruf an die Universität Berlin. 1846 verlor er seine Frau Therese ebenfalls an Typhus und zehn Jahre später auch seinen einzigen Sohn Philipp bei einer botanischen Exkursion im westlichen Afrika. Anfang 1859 zog er sich in seine Heimatstadt Bamberg zurück – ein Verlängerungsangebot der Medizinischen Fakultät lehnte er ab. Schönlein starb am 23. Januar 1864 in Folge der „Zunahme eines Kropfübels“.

Der Autor: Prof. Dr. Johannes Dietl ist Direktor der Würzburger Universitäts-Frauenklinik.

Früher Tod: Der Schriftsteller Georg Büchner auf einer undatierten Zeichnung.
Foto: DPA | Früher Tod: Der Schriftsteller Georg Büchner auf einer undatierten Zeichnung.
 
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