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WÜRZBURG
Würzburger Ansichten: Bloß keine Monokultur!
Weihnachtsfeier Ausländer- und Integrationsbeirat       -  Der Ausländer- und Integrationsbeirat hat mit über 100 Leuten aus vielen Nationen ein Weihnachtsfest gefeiert.
Foto: Daniel Peter | Der Ausländer- und Integrationsbeirat hat mit über 100 Leuten aus vielen Nationen ein Weihnachtsfest gefeiert.
Wolfgang Jung
Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 12.12.2017 11:35 Uhr

Bayern, sagt der bayerische Ministerpräsident, muss Bayern bleiben. Also hat die CSU ein Gesetz geschrieben und im Landtag verabschiedet, das der Präambel zufolge die „identitätsbildende Prägung unseres Landes“ wahren und schützen soll. Und sie nannte das Gesetz „Bayerisches Integrationsgesetz“.

Im Artikel 2 des Gesetzes, überschrieben mit „Begriffsbestimmungen“, steht definiert, was unter „Migranten“ zu verstehen ist. Da steht aber nicht geschrieben, wie die CSU „Bayern“ definiert und was sie mit „Leitkultur“ meint, von der sie schreibt. Das liegt wohl daran, dass es viele Ideen von Bayern gibt und keine von „Leitkultur“, die zum Grundgesetz passt.

Das geistige Klima in Würzburg hat sich grundlegend verändert

Bayern ist vielfältig und dynamisch. Oberbayern definieren das Land anders als Unterfranken, Katholische anders als Atheisten, Arme anders als Reiche. Bayern verändert sich stetig, Würzburg ist ein gutes Beispiel dafür: Der Einfluss der katholischen Kirche schwindet, die CSU stellt ein Drittel der Stadtratsmitglieder und nicht mehr die Mehrheit. Der Trausaal ist offen für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften, der einst verfemte Schriftsteller Leonhard Frank ist rehabilitiert. Die Stadt ist international geworden: 14.000 der 128.000 Würzburger haben keinen deutschen Pass.

Einer von ihnen ist Joaquin Balladares. Der gebürtige Ecuadorianer, Vorsitzender des Ausländer- und Integrationsbeirats, kam 2005 der Liebe und des Studiums wegen nach Würzburg. Über seine zweite Heimat sagt er, was vor 30 Jahren niemand gesagt hätte: „Multikulti“ sei die Stadt, „so viele kulturelle Veranstaltungen“ gebe es hier zu besuchen.

Kulturen bekämpfen sich nicht - sie fließen zusammen

Vor 20 Jahren hat der Stadtrat den Ausländerbeirat eingesetzt, nachdem die CSU sich lange dagegen gewehrt hatte. Alle sechs Jahre, analog zur Stadtratswahl, sind die ausländischen Würzburger aufgerufen, die 15 Beiratsmitglieder zu wählen. Diese Wahl zu organisieren ist ein hartes Geschäft. Die Leute kommen aus über 130 Ländern, die Kommunikation ist nicht leicht.

Am Samstag hat der Beirat zum ersten Mal ein Weihnachtsfest gefeiert, in den Barockhäusern. Da zeigte sich – vermutlich – ein anderes Bayern als das, was Seehofer meint.

Über 100 Würzburgerinnen und Würzburger waren da, mit allen Farbschattierungen von schwarzer bis weißer Haut, mit mal eher runden, mal eher mandelförmigen Augen, unterschiedlichen Pässen, Sprachen, Kulturen und Weltanschauungen, mit und ohne Kopftuch. Da geschah, was der bulgarisch-deutsche Schriftsteller Ilija Trojanow in seinem Buch „Kampfabsage“ so beschreibt: „Kulturen bekämpfen sich nicht – sie fließen zusammen.“

Es gibt noch anderes als in einer Flüchtlingsunterkunft zu sitzen

Leute aus über einem Dutzend Nationen traten als Musiker und Schauspieler auf. Sie spielten kontemplative arabische Musik auf der Oud, der Mutter der europäischen Laute, Musik aus der Karibik und aus westlichen Hitparaden – ein kunterbunter Mix.

Unter den Organisatoren ist Anna Saribekyan. Vor sechs Jahren ist sie aus Armenien geflüchtet. Vier Jahre lang lebte sie in der Gemeinschaftsunterkunft in der Veitshöchheimer Straße, sie gehört zum Vorstand des Ausländerbeirats. Sie sagte, das Gremium habe zur Feier eingeladen, um die Leute „ein bisschen aus dem Alltag rauszuholen“, um ihnen „zu zeigen, es gibt auch noch etwas anderes in Deutschland, als in der Unterkunft zu sitzen“.

Sie war alleine, als sie nach Deutschland kam, sie kannte niemanden, hatte „keine Freunde, nichts. Nur ein Zimmer und vier Wände“. Der zwischenmenschliche Kontakt habe ihr arg gefehlt, sagt sie. Im Beirat engagiere sie sich, weil sie den Neuankömmlingen „das Leben freundlicher machen will, ein bisschen“. Während sie erzählt, wuseln Kinder umher, lauschen Leute der Musik oder stehen plaudernd zusammen, und Saribekyan freut sich, weil sie viele lächeln sieht.

Wer Angst schürt anstatt zusammenführen, verändert das Land auch

Bayern ist viel mehr als das, was Seehofer und die CSU propagieren. Es ist international, multi- und auch areligiös, hier fließen Kulturen aus der ganzen Welt zusammen und bilden eine neue. Das ist bayerischer Alltag, in den Städten mehr, auf dem Land weniger.

Bayern verändert sich trotz des Integrationsgesetzes.

Die Frage ist: Wie? Wer Angst schürt statt zusammenzuführen, verändert das Land auch. Besser aber ist zu tun, was Menschen seit Jahrtausenden tun: Sich das Fremde vertraut machen, damit es nicht mehr fremd ist, und mit dem Neuen zusammenwachsen. Dabei muss die Freiheit, die wir uns mit dem Grundgesetz gewähren, für alle gelten. Das ging nicht ohne Reibungen und Anstrengungen und wird auch künftig nicht ohne gehen.

Zur Katastrophe aber führt die Monokultur. Die hatten wir schon.

Weihnachtsfeier Ausländer- und Integrationsbeirat       -  _
Foto: Daniel Peter (www.danielpeter.net)
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Foto: Daniel Peter (www.danielpeter.net)
 
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  • rid.cully
    "Da steht nicht geschrieben, wie die CSU „Bayern“ definiert und was sie mit „Leitkultur“ meint, von der sie schreibt. Das liegt wohl daran, dass es viele Ideen von Bayern gibt und keine von „Leitkultur“, die zum Grundgesetz passt." - wie eben auch die CSU richtig weiß. Aber damit sein Feindbild auch stimmt, folgt dann "Bayern ist viel mehr als das, was die Seehofer und die CSU propagieren." Steht schon ein klein bisschen im Widerspruch zu oben, aber was gilt Fairness schon schreibenden Ideologen, wenn's denn der eigenen Sache dienen kann.
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  • matthiasr
    Genau so, wie Sie die Weihnachtsfeier erlebt haben, so offen und vielfältig soll Bayern bleiben.

    Dazu brauch es Integration und die Bereitschaft bei so einer Feier mitzumachen und nicht zuhause in einer Paralellwelt zu leben.

    So einfach kann ein Großteil der Umsetzung des Integrationsgesetzes sein zwinkern
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