
Mein Vater war beruflich stark eingespannt. Häufige Termine ließen nicht viel Zeit für uns Kinder. Es gab aber eine Ausnahme: Für das Bauen einer Weihnachtskrippe fand sich immer Zeit. So war das gemeinsame Krippenbauen für mich der Höhepunkt des Vater-Sohn Jahres, auf den ich mich immer freute.
In meiner frühen Kindheit beschränkte es sich auf ein einfaches Häuschen, in das die Heilige Familie gestellt wurde. Darum herum wurden Moos und Wurzeln gelegt. Und einen Hirten mit einigen Schäfchen, die auf dem Moos grasten, gab es schließlich auch noch.
Später wurde die Krippe dann aufwendig in eine der Vitrinen des neuen Einbauschrankes eingepasst. Unsere schlichten Figuren wichen kunstvoll geschnitzten Rhöner Krippenfiguren. Neben der heiligen Familie und dem Hirten mit seinen Schafen gab es nun auch Ochs und Esel sowie eine ganze Reihe weiterer Figuren.
Mit fortschreitenden Jahren verlor mein Vater jedoch mehr und mehr seine handwerklichen Fähigkeiten. So beschlossen meine Frau und ich, zum nächsten Weihnachtsfest eine neue Krippe für meinen Vater zu bauen.
Es sollte etwas Besonderes werden: Neben einer Scheune für die heilige Familie bauten wir nach historischen Fotos ein altes Haus aus Langenleiten, dem Heimatort meines Vaters, maßstabsgetreu nach. Besonders aufwendig war es, die Holzschindelfassade des Hauses nachzubilden. Aus Furnierholz entstanden Miniatur-Holzschindeln, die wir anschließend mit einem speziellen Verfahren auf das Haus aufbügelten.
Schließlich war unser Werk fertig: Aus dem geschindelten Haus trat eine alte Frau heraus. Sie blickte auf die heilige Familie, die sich unter dem Vordach der gegenüberliegenden Scheune niedergelassen hatte. Ochs und Esel lagen daneben. Auf dem Weg zwischen Haus und Scheune trieb ein Schäfer eine kleine Schafherde Richtung des im Hintergrund zu sehenden Kreuzberges. Der Sternenhimmel mit (astronomisch korrekt angeordneten) beleuchteten Sternen zusammen mit den angestrahlten Krippenfiguren schafften räumliche Tiefe.
Am Weihnachtstag bauten wir die Krippe unter größter Geheimhaltung im Wohnzimmer meiner Eltern auf. Der große Moment kam: die Krippe wurde enthüllt. Die Überraschung war perfekt. Mein Vater war sprachlos – ich hatte ihn selten so erlebt.
Er schob seinen Sessel vor die Vitrine, setze sich und betrachtet reglos die vielen Details, die wir eingebaut hatten. Er saß von da an bis zum Ende der Weihnachtszeit täglich viele Stunden vor der Krippe. Diese Begeisterung hielt an. Später blieb die Krippe sogar ganzjährig stehen.
Beflügelt von unserem Erfolg wollten wir nach einigen Jahren eine neue Krippe bauen. Das aber wollte mein Vater nicht. Er wollte alles genauso belassen, wie es war. Diese Krippe war etwas ganz Besonderes für Ihn. Er war, was das Thema Krippe anging, damit angekommen.
Clemens Voll ist Präsident des Lions Club Würzburg-Löwenbrücke.
In der Kolumne "Würzburger Adventskalender" schreiben Menschen aus der Region Würzburg Anekdoten und Gedanken rund um Advent und Weihnachtsfest.