Von Luisa Heese
Es nieselte viel in jenem Dezember 2011 an der Themse, wie üblich. London lag im Nebel, während sich schneebedeckte Winterlandschaften aus Watte hinter den Scheiben des berühmten Kaufhauses Harrods erstreckten. Jeden Morgen fuhr ich mit dem Bus an diesen beliebten „Christmas Windows“ vorbei, um nach Kensington zu gelangen und im Goethe-Institut als Assistentin die kulturelle Programmarbeit zu unterstützen. Meine Zeit in der britischen Hauptstadt neigte sich bereits dem Ende zu, nach einigen wunderbar erlebnisreichen Monaten würde ich die Stadt wieder verlassen und das Weihnachtsfest zu Hause bei der Familie in Deutschland verbringen.
Nun waren also die Koffer gepackt, die letzten Projekte abgeschlossen und das Ticket für die Heimreise gebucht: Der EuroStar sollte es sein. Ich stellte mir das sehr romantisch vor: Abschied von „meinem“ London nehmen, indem ich am 22. Dezember in die Bahn steige, um auf den Schienen die südenglische Landschaft zu durchgleiten, bevor der Hochgeschwindigkeitszug im Tunnel unter dem Ärmelkanal verschwinden und in Frankreich wieder auftauchen würde. Umstieg in Paris, ein Pain au Chocolat auf dem Weg, und dann in Ruhe und Besinnlichkeit das Weihnachtsfest wie jedes Jahr mit den Liebsten verbringen.
Soweit der Plan – bis wenige Tage vor meiner Abreise der EuroStar mitten unter dem Ärmelkanal steckenblieb. Die eisigen Temperaturen in Calais hatten die Technik völlig lahmgelegt und der Tunnel wurde gesperrt, ich und viele andere standen plötzlich vor dem Szenario, es möglicherweise nicht pünktlich zu Weihnachten nach Hause zu schaffen – welch Graus!
Also musste es wohl doch, wenn auch weniger romantisch, das Flugzeug sein, um noch rechtzeitig anzukommen für den geliebten Familienspaziergang, das gemeinsame Kochen und Beisammensein unter den leuchtenden Kerzen des Weihnachtsbaums. Doch nachdem auch dieses Ticket gebucht war, nahm das Drama seinen Lauf mit einer Wendung, die in England wirklich nur alle Jubeljahre vorkommt: Es begann zu schneien. Und hörte nicht mehr auf.
In der Nacht vor meiner Abreise verfolgte ich mit Schrecken in den Nachrichten, wie ein Flughafen nach dem anderen seinen Betrieb einstellte und sendete Stoßgebete, dass es nicht auch Stansted treffen würde. Dieses eigentlich wunderbare Bild – London im Schnee – konnte ich auf dem Weg zum Flughafen also nicht wirklich genießen. Doch das Schicksal blieb gnädig, als eine der letzten Maschinen startete mein Flieger am frühen Morgen des 23. Dezember und ich landete erleichtert und glücklich auf Hannoveraner Boden.
In diesem Dezember, in dem doch alles so anders als sonst ist, erinnere ich mich oft an das Erlebnis und vor allem das Gefühl, mit dem dieses gemeinsame Ritual der Weihnachtstage verbunden ist. Das Ritual behalten wir in der Familie bei – verlegen es aber dieses Mal auf Ostern. Da fällt dann zumindest kein Schnee mehr, der die Anreise erschweren könnte. Und die Schokolade schmeckt genauso gut im Osterhasengewand.
Luisa Heese ist Leiterin des Museums im Kulturspeicher Würzburg.
In der Kolumne „Würzburger Adventskalender“ erzählen Menschen aus der Region Würzburg Anekdoten rund um Advent und Weihnachtsfest.