An einem kalten Samstag Anfang Dezember 1960 kam ein fahrender Christbaumhändler in unser Dorf. Erst fuhr er langsam mit seinem Lieferwagen durch die Straßen und pries per Lautsprecher seine Christbäume an. Er wollte auf dem Platz vor der Bäckerei seinen Stand aufbauen und dort seine Bäume verkaufen. Aber das Geschäft wollte an diesem kalten und nebligen Tag nicht so recht laufen.
Ich war damals acht Jahre alt und mein Freund Robert war ein Jahr jünger. Wir waren einfach neugierig und lungerten an dem Christbaumstand herum, um zu sehen, was passierte. Aber wie schon gesagt, das Geschäft verlief zäh und so richtig aufregend war nichts. Der Verkäufer bat uns, doch mal in der Nachbarschaft zu fragen, wer noch keinen Christbaum hat. Als "Erfolgsprämie" versprach er uns einen Baum. Wir gingen also von Haus zu Haus und hatten tatsächlich ein wenig Erfolg.
Dann fiel uns ein, dass bei uns im Haus unter dem Dach ein alter Mann mit seiner kranken und bettlägerigen Frau wohnte. Er war beim Ungarnaufstand 1956 aus seiner Heimat geflohen und wohnte unter ärmlichen Verhältnissen bei uns im Dachgeschoss. Wir Kinder nannten ihn alle nur Opa Johann. Als wir ihn fragten, ob er einen Christbaum bräuchte, sagte er, dass er sich so einen Baum nicht leisten könne. Aber er würde sich freuen, wenn er ein paar Tannenwedel bekommen könnte, die er sich dann schmücken würde.
Mein Freund und ich wussten sofort, was zu tun ist. Mit voller Energie klopften wir weiter an die Haustüren und tatsächlich konnten wir noch einige Leute animieren, einen Christbaum zu kaufen.
Als es langsam dunkel wurde, belud der Händler seinen Wagen. Wir bekamen – wie versprochen – einen Baum geschenkt. Es war eine kleine verwachsene Fichte mit krummer Spitze und auch sonst nicht so prächtig anzusehen. Aber für uns war es natürlich der schönste Weihnachtsbaum überhaupt.
Rasch zogen wir heimwärts, um Opa Johann stolz unseren Baum zu präsentieren. Er dachte erst, dass er sich nur einige Zweige vom Baum schneiden dürfe. Erst als wir ihm versicherten, dass wir uns den Christbaum "ehrlich verdient" hatten und ihm den ganzen Baum schenken wollen, kamen ein Lächeln und auch ein paar Tränen in sein Gesicht. Abends, vor dem Einschlafen, fühlte ich mich richtig gut, weil wir Opa Johann offenbar eine große Freude bereitet hatten.
Am Heiligen Abend rief der alte Mann uns zu sich, um stolz seinen Baum zu zeigen. Christbaumkugeln oder Lametta hatte er nicht, aber der Baum war mit allerlei bunten Sachen geschmückt und auch ein paar kleine rotbackige Äpfel hingen an dem Bäumchen. Für meinen Freund und mich hatte er ein paar Plätzchen gebacken und überreichte uns diese als Weihnachtsgeschenk. Irgendwie waren dies auch die besten Plätzchen der ganzen Weihnachtszeit…
Alfred Endres ist Vorsitzender des Hilfsfonds Waldbüttelbrunn e.V..
In der Kolumne "Würzburger Adventskalender" schreiben Menschen aus der Region Würzburg Anekdoten und Gedanken rund um Advent und Weihnachtsfest.