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Würzburg
Würzburg vor 100 Jahren: Aufruhr im Altenheim des Reiches
Im November 1918 machten auch die scheinbar so braven Würzburger mit beim Sturz der Monarchie. Sie hatten gute Gründe dafür. Die ersten Tage der Novemberrevolution 1918 und ihre Vorgeschichte
Wolfgang Jung
Wolfgang Jung
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:53 Uhr

Maria von Gebsattel ist bedeutend und sehr katholisch. Sagt sie was, schreiben Journalisten mit. So erfahren die Würzburger, dass sie am Revolutionssonntag gleich zwei Mal zum Beten in den Dom gegangen ist und dass sie die "Rotzbuben" schimpft. Der Würzburger General-Anzeiger findet sie gut: Die Baroness sei eine "entschiedene Gegnerin der den christlichen Geist der Familie zerstörenden Sozialdemokratie". Wer adelig, privilegiert und katholisch ist, hat dreifachen Grund, die Revolutionäre zu fürchten.

Am Donnerstag, den 7. November, demonstrieren in München wohl Hunderttausend für Frieden, Demokratie und den Sturz des Königs. Sie erobern, der Würzburger Bäckerssohn Felix Fechenbach voran, die Kasernen, ohne einen Schuss abzugeben, gründen einen Arbeiter- und Soldatenrat und wählen den Schriftsteller Kurt Eisner zum Ministerpräsidenten, der für sie die Republik im neuen Freistaat Bayern ausruft, alles am Nachmittag und in der Nacht dieses Tages. Sie setzen um, was die Gründer der SPD, Wilhelm Liebknecht und August Bebel, ihnen 1868 aufgeschrieben haben: "Die Emanzipation der arbeitenden Klassen muss durch die arbeitenden Klassen selbst erkämpft werden."

Meuternde Soldaten

Am Morgen des 8. November sitzen in Würzburg, in der Generalkommandatur in der Ludwigstraße 25, besorgte Herren beisammen. Sie wissen Bescheid, dank Telefon, und ahnen, dass die Revolution nach Würzburg kommt - das ganze Jahr lang schon brodelt und gärt es in der Stadt. Andreas Grieser, der Oberbürgermeister, will mit den Revolutionären verhandeln. Regierungspräsident Julius von Henle und General Ludwig von Gebsattel, der Vater von Maria von Gebsattel, wollen schießen. Grieser setzt sich durch, nicht zuletzt, weil Gebsattel schnell merkt, dass "eine reine Soldatenmeuterei der ganzen Garnison" ausgebrochen sei und ihm "keine fünf Mann" mehr zur Verfügung stehen.

Dabei scheint die Stadt nicht gemacht zu sein für Aufruhr und Umsturz. Die Fürstbischöfe haben den Würzburgern das Rebellieren blutig ausgetrieben. Nach Jahrhunderten voller Aufstände gegen die weltliche Herrschaft des Klerus war nach dem Bauernkrieg 1524/25 Schluss mit der würzburgischen Widerständigkeit. Jetzt, im November 1918, ist die rund 95.000 Einwohner zählende Stadt klerikal-konservativ geprägt, mit liberalen Einsprengseln. Dreiviertel der Bewohner sind katholisch, nur 44 Prozent erwerbstätig oder arbeitslos (52 Prozent in Bayern), die Zahl der Rentner und Privatiers ist höher als anderswo.

Revolutionäre: Der neue gewählte Ministerpräsident Kurt Eisner (vorne) und sein persönlicher Referent, der Würzburger Felix Fechenbach (links), glaubten nach Ende des Ersten Weltkriegs, dass ein dauerhafter Frieden nur durch einen Sturz des Kapitals möglich sei. Foto: Münchner Stadtmuseum
Foto: Münchner Stadtmuseum | Revolutionäre: Der neue gewählte Ministerpräsident Kurt Eisner (vorne) und sein persönlicher Referent, der Würzburger Felix Fechenbach (links), glaubten nach Ende des Ersten Weltkriegs, dass ein dauerhafter Frieden ...

Kaum anderswo im Kaiserreich ist der Anteil der Industriearbeiter an der Bevölkerung so niedrig wie hier: 19 Prozent. Der Historiker Ulrich Weber berichtet in seiner Untersuchung "Würzburg, vom Novemberumsturz zur Räterepublik" von einem "äußerst starken Anteil von Selbstständigen, vor allem der Eigentümer, Pächter und Handwerker". Einen größeren Anteil als die Industriearbeiter stellen laut Weber auch Beamte, Angestellte und Soldaten. Würzburg ist eine Pensionisten-, Beamten- und Garnisonsstadt, verspottet als "Altersheim des deutschen Reichs".

Die Arbeiter und die Handwerker schaffen Vermögen, aber sie haben nichts davon. Der Historiker Klaus Schoenhoven hat die Arbeitsverhältnisse der Handwerksgesellen im Würzburg von 1893 untersucht: Holzarbeiter arbeiteten 60 Stunden in der Woche, Schneider 85 Stunden, Schuhmacher bis zu 96 Stunden, Müller und Metzger bis zu 110 Stunden, für Löhne, die zu wenig mehr als dem Notwendigsten reichten.

Rechtloses Proletariat

Sie arbeiten viel und haben trotzdem keine Rechte. Im Königreich ist Bürger mit Wahlrecht nur, wer Steuern zahlt. 1908 dürfen nur 4050 männliche Würzburger wählen und sich wählen lassen. Die Armen, die Proletarier, haben auch die Kirche gegen sich, die mit den Mächtigen im Bunde ist. Schoenhoven berichtet von katholischen Geistlichen, die von ihren "Predigtstühlen Blitz und Donner gegen die sozialdemokratischen Sendboten der Hölle schleuderten".

Ausbeutung und Rechtlosigkeit, das Sterben im Krieg, der Hunger, weil die Lebensmittel knapp sind, eine tödliche Grippe-Epidemie - selbst die braven Würzburger sind reif für die Revolution. Am 8. November übernehmen die Revolutionäre die Stadt.

Spaltung von SPD und USPD

Aber wie überall, so sind sie auch in Würzburg nicht einig, was nach dem Sturz geschehen soll. Viele Sozialdemokraten, unter ihnen auch der spätere Reichspräsident Friedrich Ebert, streben nach einer parlamentarischen Monarchie. Die Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD), zu denen sich der neue bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner und sein Sekretär Felix Fechenbach zählen, spalten sich ab. Ihre Vordenker sind Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, der sagt, die Novemberrevolution sei nicht mehr gewesen als ein Versuch zur Überwindung des Krieges und seiner Folgen. Den Sozialdemokraten traut er nicht zu, einen Frieden "der Dauer und des Rechts" zu schließen, weil sie nicht an den Fundamenten des Kapitals rührten.

Liebknecht beschreibt "die Konkurrenz, das Wesen der kapitalistischen Produktion" als Brudermord. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung zu beseitigen, hält er für "die einzige Rettung des Proletariats aus dem dunklen Verhängnis seines Schicksals." Anders als die Sozialdemokraten glaubt er, mit parlamentarischen Methoden sei das nicht zu schaffen, hier sei "einzig und allein der außerparlamentarische, revolutionäre Kampf des Proletariats entscheidend."

Wohnungsmangel und Nahrungsknappheit

Im November halten SPD und USPD, verbunden durch die Gewerkschaften, noch zusammen. In Würzburg gründen sie einen Arbeiter- und Soldatenrat, über dessen erste Sitzung das Fränkische Volksblatt am 16. November berichtet. Die Hauptsorge der Revolutionäre gilt demnach die Sicherheit der Bevölkerung, und sie sehen sie, fünf Tage nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, von den zurückkehrenden Soldaten gefährdet, die sie zu Tausenden erwarten, deren Unterkunft und Verpflegung sie organisieren müssen. "Der Soldatenrat", so schreibt das Volksblatt, "missbillige das Abreißen der Achselstücke sowie die Beleidigungen der Offiziere und empfahl nochmals angelegenlichst Wahrung strengster Manneszucht zur Ruhe und Ordnung".

Der Sozialdemokrat Felix Freudenberger habe gemahnt, Republik bedeute nicht Umsturz: "Auch jetzt müsse Ruhe, Ordnung und Disziplin im Volke und Heere herrschen, Arbeiter, Soldaten, Bauern und Bürger müssen zusammenarbeiten." Maria von Gebsattels "Rotzbuben"-Rede allerdings erzürnt trotzdem Hunderte Soldaten dermaßen, dass sie vor ihrem Haus lautstark demonstrieren und nur mit Mühe zu beruhigen sind.

Bald wird die Allianz der Linken brechen, Maria von Gebsattel in den bayerischen Landtag gewählt werden und die Revolution in einem Blutbad enden.

 
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