Seit die deutsche Luftwaffe 1942 in der Schlacht über England ihre Kräfte erfolglos abgenutzt hatte, konzentrierten sich die Luftangriffe der Alliierten unmittelbar auf das Gebiet des „Dritten Reiches“ und zogen in einem bislang unbekannten Ausmaß die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft. Zwar richtete sich die gegnerische Luftoffensive vorrangig gegen die Rüstungsindustrie und die Verkehrsanlagen, doch nachdem Sir Arthur Harries 1942 den Oberbefehl der Bomberverbände der Royal Air Force übernommen hatte, sollten Flächenangriffe auf deutsche Großstädte Moral und Widerstandskraft der Bevölkerung brechen.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1944 und Anfang 1945 erreichten diese Einsätze ihren Höhepunkt: Nürnberg, Frankfurt, Darmstadt, Heilbronn, Dresden und viele andere Städte fielen in Schutt und Asche. Harris wurde bis zum Kriegsende von Churchill unterstützt und zog trotz interner Kritik seine Konzeption bedingungsloser Luftangriffe mit allen zivilen Schäden bis zum Sieg durch: Beide gingen davon aus, dass das Flächenbombardement den Krieg entscheiden und einen verlustreichen Landkrieg möglicherweise erübrigen würde.
Würzburg, von Hitler beim Besuch des Würzburger Oberbürgermeisters Memmel 1939 auf dem Obersalzberg als „Juwel unter den deutschen Städten“ bezeichnet, war trotz seiner Bedeutung als Verkehrsknoten in den ersten Kriegsjahren vom Bombenkrieg verschont geblieben. Dies war Anlass zu den verschiedensten Gerüchten: Churchill schone Würzburg, da er an der Alma Julia studiert habe; Würzburg sei zur „Lazarettstadt“ bzw. zur „offenen Stadt“ erklärt worden, und dies hätten die Alliierten akzeptiert. Die späteren Ereignisse belegen, dass nichts davon zutraf.
Juli 1944: Erster großer alliierter Angriff
In der Stadtratssitzung vom 26. Januar 1943 wurde vom Leiter des Kriegsschädenamtes ein Bombenabwurf durch ein einzelnes Flugzeug der Royal Air Force (RAF) vom 21. Februar 1942 mit dem beträchtlichen Schaden von 86 024,41 Reichsmark beziffert. Am 21. Juli 1944 erlebt die Bürgerschaft zum ersten Mal die verheerende Wirkung eines größeren alliierten Angriffs. Acht schwere Bomber öffneten über der Stadt ihre Bombenschächte und trafen mit ihrer tödlichen Last zahlreiche Häuser am Fuß des Nikolausberges zwischen Löwenbrücke und Leistenstraße – 42 Menschen starben, zahlreiche wurden verletzt.
Auch für Würzburg rückte spürbar die Kriegsgefahr näher. Bis Ende des Jahres 1944 wurden die meisten der benachbarten größeren Städte wie Schweinfurt, Nürnberg, Stuttgart, Heilbronn und Aschaffenburg schwer bombardiert. Die Alliierten überschritten den Rhein und versuchten, in einer gewaltigen Luftoffensive das frontnahe Straßen- und Eisenbahnnetz auszuschalten.
In der nichtöffentlichen Ratssitzung vom 22. November 1944 wurde Oberbürgermeister Memmel mit der Frage konfrontiert, wieso Würzburg keine Bunker habe. Er verwies lapidar darauf, dass Würzburg bisher nicht als besonders luftgefährdet galt und daher unter Androhung von Zuchthaus kein Kilo Eisen und kein Sack Zement hierfür bisher verwendet werden durfte. Zudem sei der Bunkerbau Sache des Polizeipräsidenten. Schließlich habe die Erfahrung anderer Städte gezeigt, dass die Verteilung von Bunkerscheinen größte Unruhe hervorrufe. Der städtische Oberbaurat Suppinger bemerkte indes, dass Stollenbauten in Arbeit seien, so an der Füchsleinstraße für 2500 Personen oder an der Mergentheimer Straße für rund 1000 Menschen. Da es an Bohrmaschinen fehle, kämen die Arbeiten allerdings nur langsam voran.
Unter dem Eindruck der Bombardements vom 4. und 5. Februar 1945, die so überraschend erfolgt waren, dass kein Fliegeralarm gegeben werden konnte, warnte Gauleiter Otto Hellmuth in der Mainfränkischen Zeitung vom 6. Februar 1945 die Bevölkerung mit dem Hinweis, es bestehe kein Grund, dass Würzburg verschont bliebe. Tatsächlich folgten im Februar nachts zwei weitere Minenangriffe und am 3. März 1945 eine Offensive mit schweren Sprengbomben. Danach waren über 200 zivile Opfer zu beklagen.
Lückenloses Sirenen-System errichtet
Andererseits blieben Luftschutzleitung und Stadtverwaltung nicht untätig. Einsatzpläne wurden auf den neuesten Stand gebracht, Aufgaben zwischen behördlichem und zivilem Luftschutz verteilt, Bombenschäden beseitigt und der bebaute Stadtbereich mit einem lückenlosen System von Sirenen überzogen. Zwischen Altstadt und Main sowie zwischen den Kellern im Zentrum der Stadt durchbrach man die Mauern, um Fluchtwege zu schaffen. Für die besonders gefährdeten Zonen legte man am Residenzplatz, am Wagnerplatz und vor der Gehörlosenschule großvolumige Löschwasserbehälter an. Offene Reservoirs stellte man bei der Augenklinik am Glacis, am Zeller Tor, vor dem Luitpoldkrankenhaus, am Paradeplatz, am Marktplatz und am Dominikanerplatz auf.
Für zahllose aus dem Inferno flüchtende Menschen bedeuteten diese Becken am 16. März 1945 die Rettung. Eine offizielle Evakuierung war indes weder von der Stadt noch von der Gauleitung durchgeführt worden, doch hatte man alte Leute, Mütter und Kinder insbesondere aus den luftgefährdeten Bezirken von Altstadt, Mainviertel und Grombühl ausquartiert.
Wie aus der am 31. Januar 1945 verfassten Luftzielliste der Alliierten hervorgeht, war Würzburg noch nicht für einen Großangriff vorgesehen. Erst am 8. Februar 1945 rückte die Stadt in der Kategorie der industriellen Ausweichziele hinter die Städte Kassel, Nürnberg, Hannover, Zwickau, Hildesheim, Flensburg, München, Mannheim und Gera auf die zehnte Stelle. Mehrere der in dieser Liste aufgeführten Städte hatten aber bereits einen Großangriff durchstehen müssen.
Die Bomberkommandos von Royal Air Force und US Air Force hatten sich zur Aufgabenteilung entschlossen. Die Briten flogen nachts Flächenangriffe gegen deutsche Städte, die US-Luftflotte führte bei Tage Attacken gegen Schlüsselpositionen der deutschen Industrie durch. Für die Nacht vom 16. zum 17. März 1945 nahm sich die Royal Air Force einen entscheidenden Schlag auf Würzburg und Nürnberg vor. Um die deutsche Luftabwehr von den großen Bomberpulks abzulenken, sollte auf Hanau ein Scheinangriff geflogen werden. Diese dramatischen Ereignisse werden Thema eines späteren Beitrags sein.
Autor: Historiker Dr. Ulrich Wagner war von 1997 bis 2014 Leitender Archivdirektor am Stadtarchiv Würzburg.