Holm Ullrich sitzt auf einem kleinen Sessel, an den Wänden um ihn herum hängen zig Uhren mit Kästen aus dunklem Holz. Er zeigt auf ein Foto, Anfang 1940 wird es aufgenommen worden sein. An langen Tischen stehen dunkle Holzstühle, rechts die Theke, vorne links eine kleine Bühne.
"Es gab noch einen Nebenraum, da haben wir oft gesessen und gegessen", erzählt Ullrich. "Wir" – das sind Holm Ullrich, seine Geschwister, Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten. Die Szene spielt in der Weizenbierhalle, einem Konzert- und Speisehaus, das es bis 1945 am Dominikanerplatz in Würzburg gab. Ullrichs Großvater Georg, Vater Valentin und Onkel Georg Junior betrieben das Lokal damals.
Die hauseigene Kapelle spielte fast täglich
Am 16. März 1945 wurde die Weizenbierhalle zerbombt, sie brannte komplett aus. Lediglich den Steinway-Flügel und ein paar wenige Habseligkeiten konnte die Familie retten. "Die nicht gerade armen Ullrichs hatten nach dem Krieg nichts mehr", sagt Holm Ullrich. Seine Großeltern verkauften das Grundstück, sie zogen zu Bekannten in die Zellerau.
Als das Speisehaus zerstört wurde, war Holm Ullrich sechs Jahre alt. Er erinnert sich, dass die Weizenbierhalle ein sehr bekanntes Lokal gewesen sei. Vor 20 bis 30 Jahren habe er öfter noch Leute getroffen, die zu ihm sagten: "In der Weizenbierhalle, da ging es immer lustig zu!"
Um seine Gäste auch in Kriegszeiten dauerhaft bewirten zu können, habe Großvater Georg im Keller sogar ein Stromaggregat eingebaut. Denn als der Krieg begann, sei der Strom öfter ausgefallen oder absichtlich von der Stadt abgestellt worden. "Großvater ist dann runter in den Keller und kurz darauf wurde es wieder Tag", sagt Ullrich.
Knapp 300 Sitzplätze gab es, fast täglich spielte die Kapelle Lier mit sieben bis acht Mann auf der Bühne. "Werbe-Konzerte mit humoristischen Einlagen" ist auf einem alten Plakat zu lesen. Einmal seien sogar acht Sängerinnen aus Ungarn für etwa zwei Monate da gewesen, sagt Ullrich.
0,8 Liter Weizenbier für 58 Pfennig
Eintritt hat man keinen zahlen müssen, ab und zu gab es Getränkeangebote. Da kosteten 0,8 Liter Weizenbier dann statt 78 nur noch 58 Pfennig, die gleiche Menge Schützenhofbräu gab es für 60 statt 83 Pfennig. Geworben wurde mit preiswerten Frühstücken sowie reichhaltigem Mittag- und Abendtisch. Auf einer alten Speisekarte stehen unter anderem: zwei fränkische Bratwürste für 40 Pfennig, Salzrippchen mit Kraut für 60 Pfennig, Kalbskopf auf Schildkrötenart für 70 Pfennig.
Für das Essen sei seine Großmutter zuständig gewesen, erzählt Ullrich. Etwa fünf bis sechs Helfer müsse sie in der Küche gehabt haben. Um die Musik habe sich sein Vater gekümmert, ein gelernter Geigenbauer. Und hinter der Theke stand der Großvater, ein Knüppel hing immer greifbar in seiner Nähe. "Damit hat er die Theke verteidigt", sagt Ullrich und lacht.
Der Knüppel sei nötig gewesen, da es bei so viel Bier und Wein ab und zu zu Schlägereien gekommen sei. Einmal seien Mitglieder der Metzger-Innung und einige Schweden, die zu Gast waren, aufeinander losgegangen. Die Polizei habe den Tumult aufgelöst, die Schweden mussten Deutschland am nächsten Tag verlassen.
Bier aus der eigenen Brauerei
Das Weizenbier, das ausgeschenkt wurde, kam aus der hauseigenen Brauerei, dem Weissbrauhaus. Die ehemalige Würzburger Weizenbierbrauerei befand sich am Letzten Hieb in der Rottendorfer Straße. Gegründet hatten sie Fritz Heindl und Martin Kirmeier im Jahr 1909. Nachdem Kirmeier seine Anteile aufgab und Heindl 1928 starb, übernahm Georg Ullrich die Brauerei.
Sein Sohn Georg Junior stieg um 1930 mit in das Geschäft des Weissbrauhauses ein. In den Jahren danach erweiterten die Ullrichs ihr Sortiment stetig: Neben Weizenbier brauten sie unter anderem Bockbier, Spezialbier und Sekt-Weizenbier. "Zu der damaligen Zeit war Weissbier etwas ganz Besonderes", sagt Holm Ullrich. Die Brauerei wurde wie die Weizenbierhalle 1945 zerstört.
Holm Ullrich ist einer der wenigen, die noch erzählen können, wie es in Würzburg während und nach dem Krieg war. Er selbst ist Juwelier geworden, seit über 50 Jahren betreibt der 82-Jährige ein kleines Geschäft in Höchberg. Aus der Zeit der Weizenbierhalle bleiben ihm neben ein paar Fotos noch ein Krug, eine Gabel, ein Messer – und jede Menge Erinnerungen.