Stark, dumm, dick und böse – ganz kleine Kinder brauchen starke Nerven für den Räuber Hotzenplotz im Theater am Neunerplatz. Wenn sie die mitbringen, die Nerven, oder wenn sie schon vier, fünf Jahre alt sind, dann kann dieser Theaterbesuch sie fürs Leben prägen. Und zwar gut.
Knapp zwei Stunden reine Spielzeit, eine Viertelstundenpause mittendrin, das ist die zweite Herausforderung für das Nachwuchspublikum. Diese Herausforderung können Kinder hier bestehen, weil auf der Bühne wirklich ständig was zum Wundern passiert. Zum Beispiel die Räuberhöhle von außen, eine Kulissenwand von zwei auf zwei Metern, bewachsen, weil sie im Wald steht – aber wenn man sie umdreht, dann ist sie das Innere der Räuberhöhle... Dann die Kostüme, sehr beeindruckend! Und darin stecken hervorragende Schauspieler und Sängerinnen.
Denn Erhard Drexlers Adaption des Kinderbuchs von Otfried Preußler ist musikalisch. Ein Instrumentalquartett spielt mehr als nur Begleitmusik; schließlich geht es bei dem Stück um eine besondere gestohlene Kaffeemühle: Wenn die Großmutter an der Kurbel dreht, erklingt Musik. Außerdem wird gesungen, ja sogar gerappt (von Kasperl und Seppel, gespielt von Jonas und Matthias Drexler). Manchmal verständigen sich die Darsteller mit Pantomimen. Kurz, das Stück zieht alle Register der dramatischen Kunst, steckt ein junges Publikum mit Staunen an, und zwar in manchem Fall so nachhaltig, dass aus den heutigen Kindern später wohl regelmäßige Theatergänger werden.
Nachwuchs-Theatergucker kommen gut durch die lange Aufführungszeit, weil die in viele kurze Szenen unterteilt ist und jede einen Extra-Applaus verdient hat. Drexler, der in einem pädagogischen Beruf arbeitet, kennt sich mit Aufmerksamkeitsspannen aus. Und er kennt sein Team: Er steht mit seiner eigenen Familie und Freunden auf der Bühne.
Jörg Ewert bringt die Statur für einen beeindruckenden Räuber mit. Beim Singen muss er sich grob geben, sicher singt er an sich ebenso gut wie Hermann Drexler, der den glänzenden Zauberer Petrosilius Zwackelmann gibt. Als ausgebildete Opernsängerin bringt Charlotte Emigholz eine besonders musikalische Großmutter auf die Bühne. Aus dem mit schwarzem Tuch verhängten Orchester tritt gelegentlich die Cellistin Thea Eberlein hervor und spielt dann die Fee Amaryllis. Fehlt nur noch Wachtmeister Dimpfelmoser! Den gibt Hermann Drexler in Doppelrolle, wobei seine Figuren wirklich nicht zu verwechseln sind: Als Zauberer wunderbar schmierig und hintergründig, als Gesetzeswächter hütet er auch den mainfränkischen Dialekt.
Das Ganze ist ein Lehrstück für Fantasie. Denn an sich ist es doch fraglich, ob Kinder in unserer Streaming-Zeit etwas mit einer musikalischen Kaffeemühle anfangen können. Kann das überhaupt funktionieren? Doch, sobald Großmutter zum ersten Mal an der Mühlenkurbel dreht und das Ensemble im selben Takt losspielt, ist es klar: Der Zauber von richtiger, handgespielter Musik funktioniert. Da braucht keiner die Playlist von der Oma.
Das Stück ist bis 10. Juli zu wechselnden Anfangszeiten zu sehen. Weitere Infos unter www.neunerplatz.de